Deine Ausführungen haben alle Substanz Swen und ich verstehe das durchaus und habe sogar Verständnis dafür.
Mir kommt dabei trotzdem immer die Frage in den Sinn, ob man dies bei aller Kompliziertheit der Sache dann noch als rechtsstaatlich verkaufen kann. Wie schon beschrieben gibt es ja durchaus die Fallkonstellationen, in denen Klägern keine unmittelbare Gerechtigkeit mehr zu teil wird, weil sie vorher wegsterben. Oder selbst bei einer Entscheidung über einen sich im Ruhestand befindlichen Beamten, der nun endlich seine 500.000 € Nachzahlung für die letzten 30 Jahre bekommt. Das Haus baut man nicht als Rentner, ebenso gründet man im Regelfall keine Familie mehr. Und bis heute bekommt man außer dem vorenthaltenen Geld auch keine Entschädigung. Stattdessen könnte der Rechtsstaat nach Kenntnis der Verfahrensdauern doch auch sagen "wir zahlen unter Vorbehalt der Rückforderung die auf x errechnete Summe aus", bevor jemand womöglich zu seinen Lebzeiten gar nichts mehr bekommt.
Was ich meine ist, dass diese Vorgehensweise doch völlig entkoppelt ist von der Lebensrealität der Menschen.
Das könnte man jetzt alles unter den Argumenten "diese Zeit wird benötigt, um eine Dogmatik zu schaffen, die später die Verfahren beschleunigt" und getreu dem Motto "einer muss den Heldentod für die anderen sterben" abtun. Das greift mir aber zu kurz. Denn es bedeutet am Ende, dass neben den unzähligen Geschädigten eben auch Einzelnen in einem Rechtsstaat manchmal gar keine Gerechtigkeit mehr zuteil wird. Post mortem bringt das auch nichts. Das hat mit meinem Verständnis eines Rechtsstaats und seiner eigentlichen Ziele nichts mehr zu tun. Noch viel schlimmer macht dies die Tatsache, dass es hier um die eigenen Bediensteten dieses Rechtsstaats geht.
Neben alldem führen wir scheinbar eine Diskussion auf der Grundlage einer Ewigkeitsgarantie der Bundesrepublik Deutschland oder unserer Verfassung. Ewigkeitsklauseln sind gut und recht, mir kann aber keiner das X für ein U verkaufen, dass unser Grundgesetz stattdessen nicht von bösgewillten abgeschafft bzw. ersetzt werden könnte.
Wie uns die Geschichte lehrt können Staatsgebilde und somit auch Verfassungen schneller untergehen oder ersetzt werden, als diese Dogmatik ausgearbeitet ist.
Was, wenn wir eines Tages an einem Punkt angekommen sind, an dem sich eine komplette Neuregelung vieler Dinge für die politischen Entscheidungsträger als die immer breiter lächelnde Alternative darstellt? Zurecht betonst Du oft Battis Aussagen bezüglich der Aushöhlung des Rechtsstaats. Ich beobachte die aktuellen Entwicklungen mit größter Sorge und habe die Befürchtung, dass wir den "point of no return" bereits überschritten haben.
Ich sehe keinen Silberschweif am Horizont, der uns die Richtung in eine goldene Zukunft Deutschlands weist oder uns sogar nur etwas Zuversicht gibt. Ich sehe kein Gesamtkonzept, das uns weiterbringen soll. Stattdessen sieht man die Grabenkämpfe aller Gruppierungen in ihren jeweils eigenen Blasen. So gesehen ist das in unserem Fall nichts anderes. Wenn wir aus dieser "Beamtenbubble" ausbrechen und die Realität sehen wollen, dann erscheint es schier gar unmöglich, dass die Grundgehaltssätze wie in manchen Rechnungen zwar fundiert dargelegt, jedoch wirklich jemals zur Realität werden könnten. Urteile hin oder her. Wenn dafür der Staatsbankrott die Konsequenz wäre, wird das nicht kommen. Und da in der Politik trotz Haushaltsurteil die Maxime auch weiterhin lautet "mehr Geld drauf" bei gleichzeitigem Abbau der Grundlagen dessen, woher dieses "mehr Geld" kommen soll, wird irgendwann der Moment der Wahrheit kommen. Wir sehen doch weiterhin auch nach dem Urteil kein grundsätzliches Umdenken in der Politik. Das Ziel ist und bleibt das Gleiche, nur der Weg dahin muss jetzt anders beschritten werden. Es hat keine paar Tage nach dem Urteil gedauert, bis neue Sondervermögen im Gespräch waren. Das eigene Handeln wird doch gar nicht erst hinterfragt. Deshalb erwarte ich auch keine grundsätzliche Umkehr in anderen Feldern wie z.B. der Besoldung. Es sind dafür schlicht keine Anzeichen erkennbar.
Vielmehr sehen wir doch genau deshalb heute schon die sich ausbreitenden Anfänge der Konsequenzen dieses konzentrierten Verfassungsbruchs. Wenn eine neue Dogmatik ausgearbeitet ist, dann werden in Zukunft Entscheidungen schneller gefällt werden. Theoretisch mag das stimmen, dazu braucht man auf lange Sicht aber eben auch genügend Richter. Und genau hiergegen wird durch diese Praxis der Besoldungsgesetzgeber ja seit Jahrzehnten indirekt -wenn vielleicht auch ungewollt, wenn man es gut meint- politisch vorgegangen. Selbst wiederkehrende Rüffel des EuGH haben bis dato nichts daran geändert.
Es bleibt am Ende die Frage, ob wir nicht bereits zu weit gegangen sind, um noch umkehren zu können. Das wird die Zukunft zeigen.