@ ChRosFw
Es ist, wie Du schreibst: Es gibt die von Balbund in den Raum geworfene Mehrheitsmeinung in den Rechtswissenschaften nicht. Es gibt das, was ich heute genannt habe: Die Auslegung der neuen - also seit 2012 zunehmend weiter konkretisierte - bundesverfassungsgerichtlichen Besoldungsdogmatik durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die mit den genannten drei Gerichten entsprechende Vorlagebeschlüsse gefasst hat. Es gibt das wiederholte und deutliche Plädoyer der beiden genannten berufsständischen Verbände, das auch von weiteren berufsständischen Verbänden wie in Schleswig-Holstein dem Bund Deutscher Rechtspfleger nicht anders gesehen wird. Es gibt die beiden Stellungnahmen des jeweiligen wissenschaftlichen Diensts - und es gibt die Darlegungen Martin Stuttmanns und Ulrich Battis'. Jede einzelne dieser Stimme wird ebenso sachliche Regelungen für verfassungskonform erachten, die einen regionalen Ergänzungszuschlag in gewisser Höhe regeln. Genauso werden hinsichtlich der amtsangemessenen Alimentation die Familienzuschläge für die ersten beiden Kinder in einem angemessenen Rahmen erhöht werden können.
Jedoch ist offensichtlich, dass allein damit weder im Bund noch in den Ländern die gewaltige Lücke zwischen der vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Mindestalimentation und der derzeit gewährten Nettoalimentation in den unteren Besoldungsgruppen überwunden werden kann. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich Berlins von einer "teilweise drastische[n] Abkopplung der Besoldung der Richter und Staatsanwälte von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung in Berlin, wie sie nicht zuletzt in den Tarifabschlüssen zum Ausdruck gekommen ist", gesprochen (Rn. 177). Das bezog sich nicht allein auf Richter und Staatsanwälte mit Familien, sondern auf alle Richter und Staatsanwälte - und erfolgte nicht zuletzt auch anhand der gerade genannten Lücke zwischen Mindest- und Nettoalimentation, umfasste also ebenso die Beamtenschaft.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner aktuellen Entscheidung 2 BvL 4/18 die Frage, wann Grundgehaltssätze als zu gering bemessen zu prüfen seien, in der aktuellen Rechtsprechung bereits beantwortet: genau das wird u.a. im Mai-Heft der ZBR erörtert - und da die dort veröffentlichten Beiträge vor der Annahme einem strengen peer review-Verfahren unterworfen werden (nicht umsonst gilt sie als eine der wichtigsten beamtenrechtlichen Fachzeitschriften), wäre es verwunderlich, wenn jener Beitrag dort nicht als argumentativ schlüssig betrachtet worden wäre, was - davon dürfte man ausgehen - dem Autor auch entsprechend so mitgeteilt worden ist.
Das, was BalBund als Mehrheitsmeinung annimmt, findet sich zugleich nicht in den juristischen Fachzeitschriften, weil der Kreis derer, die in den letzten Jahren wiederholt über das Alimentationsprinzip veröffentlicht haben, anzahlmäßig überschaubar ist. Jeder dieser Autoren ist dabei darauf bedacht, sachlich präzise zu argumentieren - denn andernfalls dürfte er sich nachfolgend entsprechender Kritik ausgesetzt sehen, die von ihm nicht zu entkräften wäre. Das würde in der Fachöffentlichkeit Renommeé kosten - und das setzt von den Genannten keiner auf's Spiel, da das in der akademischen Welt ihr höchstes Gut ist.
@ Kaldron
BalBund hat insofern Recht, als dass das Bundesverfassungsgericht die "vierköpfige Alleinverdienerfamilie [...] [als] eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, nicht Leitbild der Beamtenbesoldung" betrachtet" und hinsichtlich des breiten Gestaltungsspielraums festhält, es bestehe "insbesondere keine Verpflichtung, die Grundbesoldung so zu bemessen, dass Beamte und Richter ihre Familie als Alleinverdiener unterhalten können" (Rn. 47; Hervorhebung wie im Original). Etwas anderes könnte es auch nicht formulieren, da der Gesetzgeber verfassungsrechtlich über die Möglichkeit verfügt, die heutige Rechtslage so zu verändern, dass in ihr das Zweiverdienermodell der Regelfall wäre.
Dass das aber bereits heute der Regelfall wäre, dass also das Alleinverdienermodell heute ohne Weiteres bereits als überholt angesehen werden könnte, dürfte mit guten Gründen bezweifelt werden. Nicht umsonst hat das OVG Schleswig-Holstein mit Blick auf die zu beachtende Rechtslage erst unlängst unmissverständlich hervorgehoben:
"Der Gesetzgeber hat im Bürgerlichen Gesetzbuch keineswegs das Modell einer Familie mit zwei Verdienern als den Regelfall manifestiert. § 1360 BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung regelt, dass die Ehegatten einander verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten (Satz 1) und dass, wenn einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen ist, dieser seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts erfüllt (Satz 2). Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass die Eheleute keineswegs gehalten sind, beide einer Beschäftigung nachzugehen, um ihrer Verpflichtung nachzukommen. Das Bürgerliche Gesetzbuch typisiert vielmehr die Familie mit einer Alleinverdienerin oder einem Alleinverdiener als ein (Regel-)Modell, welches nach wie vor in der Gesellschaft vertreten wird und daher einer entsprechenden Regelung bedarf." (OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 23.03.2021 - 2 LB 93/18 -, Rn. 107).
Wer also das Alleinverdienermodell ersetzen wollte, müsste zunächst einmal diese Argumentation entkräften. Der § 1360 BGB besagt. "Die Ehegatten sind einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Ist einem Ehegatten die Haushaltsführung überlassen, so erfüllt er seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts." Die rechtliche Regelung formuliert nun aber spätestens im zweiten Satz ein ziemlich dickes Brett, das das Land Schleswig-Holstein in seiner aktuellen Gesetzgebung auch weiterhin nicht durchschlagen konnte, weshalb es das gar nicht erst versuchte, sondern hier nur paraphrasierend vorging (vgl. SH-Drs. 19/3428 v. 01.12.2021, S. 47-49) und dabei die Argumentation des OVG erneut nicht zur Kenntnis nahm. Denn der Satz 2 stellt die Führung des Haushalts der Verpflichtung zur Arbeit hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtungen der Familie gleich. Juristisch gesehen verbleibt damit das Alleinverdienermodell zunächst einmal der oder zumindest ein Regelfall.
Darüber hinaus dürften sicherlich noch einmal die besonderen Schutzwirkungen, die sich aus dem Alimentationsprinzip ergeben, zu betrachten sein, da das Besmtenverhältnis nicht so ohne Weiteres einem Arbeitsverhältnis gleichgesetzt werden kann, worauf auch hier bereits wiederholt hingewiesen worden ist. Nicht umsonst gilt es beispielsweise, sicherlich die Möglichkeit der Versetzung, auf die Du zurecht hinweist, besonders in den Blick zu nehmen, wenn das Beamtenverhältnis als ein besonderes Gewaltverhältnis zu betrachten wäre. Denn entsprechende Versetzungen können Auswirkungen auf die Verdienstmöglichkeiten des Ehepartners haben, ohne dass dieser einem besonderen Gewaltverhältnis unterliegt, jedoch von diesem mittelbar betroffen sein kann. Es dürfte also zu diskutieren sein, ob damit nicht die Wahlfreiheit des Partners eingeschränkt werden würde oder könnte, was wiederum mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Pflicht des Dienstherrn, den Beamten und seine Familie lebenslang amtangemessen zu alimentieren, zu betrachten wäre.