Nun gut, dann gehen wir das Thema noch einmal in Anlehnung an die genannte Untersuchung systematisch an. Das BVerfG betrachtet in der Bemessung der Nettoalimentation – also der Entsprechung der sich aus der Bemessung des Grundsicherungsniveaus ergebenden Mindestalimentation, die also 15 % oberhalb jenes liegt – das Gehalt als Ganzes: Neben dem Grundgehalt sind daher solche Bezügebestandteile zu berücksichtigen, die allen Beamten einer Besoldungsgruppe gewährt werden (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn. 73). Die zu Grunde zu legenden Besoldungsbestandteile sind dabei in der Regel das Grundgehalt, der Familienzuschlag und Sonderzahlungen, sofern letztere allen Beamten einer Besoldungsgruppe gewährt wird (ebd., Rn. 147; deshalb sind Amtszulagen i.d.R. hier nicht zu berücksichtigen, nämlich sofern sie innerhalb der zu betrachtenden untersten Besoldungsgruppe zur Besoldungsdifferenzierung dienen). Zulagen zur Beamtenbesoldung werden dabei vom BVerfG generell als eine Detailregelung aufgefasst, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweist (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 06. März 2007 – 2 BvR 556/04 –, Rn. 57.).
Damit liegt im aktuellen Gesetzesentwurf bereits eine offensichtlich Problematik vor. Bastel hat gestern morgen deshalb zurecht gefragt, ob die Erhöhung der Grundbesoldung durch Zulagen um über 50 % möglich sein sollte. Und das ist offensichtlich nicht möglich, da die Zulagen so keine Detailregelung mehr sind, sondern vielmehr einen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweisen: Denn ohne deren entsprechende Höhe würde die Nettoalimentation – auf Grundlage einer deutlich zu geringen Grundbesoldung – augenscheinlich im gehörigen Maße unterhalb der Mindestalimentation verbleiben, was verfassungsrechtlich nicht statthaft ist. Wer‘s anders sieht, sollte das – denke ich – präzise anhand der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts begründen (natürlich können auch einfach Meinungen und die eigenen Empfindungen dazu geäußert werden: Man kann das als richtig oder falsch, schön oder hässlich, gut oder schlecht empfinden – nur spielen unsere subjektiven Empfindungen mit Blick auf die Judikatur des BVerfG offensichtlich keine maßgebliche Rolle). Eine solche Regelung ist aber evident sachwidrig: Denn sie entzieht der Grundbesoldung ein erhebliches materielles Gut, da nun eine Besoldungsdifferenzierung vorliegt, womit – da kein sachlicher Grund für sie gegeben ist – ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG – dem allgemeinen Gleichheitssatz – vorhanden ist, wie nachfolgend gezeigt werden soll.
Grundlage der gleichheitswidrigen Regelung ist zunächst, dass Beamte mit einer vierköpfigen Familie nicht schlechter gestellt wären, wenn keine Besoldungsdifferenzierung vorgenommen, sondern die Familienzuschläge vollständig in die Grundbesoldung integriert werden würden; ihre Besoldungshöhe als Ganze würde sich in diesem Fall nicht ändern. Als sachlicher Grund für diese Besoldungsdifferenzierung könnte also nicht genannt werden, dass Familien besser gefördert, entlastet, deren höhere Kosten somit Berücksichtigung erfahren würden etc. Denn durch die geplante Regelung werden sie nicht besser gestellt, da das ihnen zuerkannte materielle Gut identisch bliebe; dahingegen werden allerdings Beamte, die die Besoldungsdifferenzierung nicht zugesprochen bekommen, schlechter gestellt. Und eine solche Schlechterstellung ist dem Besoldungsgesetzgeber verfassungsrechtlich gestattet – jedoch nicht mit schlicht ergriffenen Zahlen, denn Schätzungen ins Blaue hinein genügen nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Juli 2014 – 1 BvL 10, 12/12 u.a. –, Rn. 83). Insofern lässt sich zunächst einmal festhalten: Eine verfassungsrechtliche Detailregelung, die keinen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation aufweisen kann, weist genau diesen zwingenden Bezug zur Angemessenheit der Alimentation auf, wenn sie zu einer über 50 %-igen Erhöhung der Grundbesoldung führt, womit eine Schätzung ins Blaue hinein vorliegen muss. Denn diese stellt eben nicht – wie gerade gezeigt – die Beamten einer vierköpfigen Familie besser, sondern die unverheirateten Beamten sowie die verheirateten ohne Kinder bzw. mit einem Kind schlechter, und zwar evident sachwidrig, wie sich anhand der zu beachtenden Judikatur des BVerfG zeigt – denn da diese nicht beachtet wird, erfolgt eine sachwidrige Schätzung ins Blaue hinein:
Um entsprechende Schätzungen zu unterbinden, hat das BVerfG in der Vergangenheit entsprechend direktiv gehandelt: Geht es doch solange, wie eine amtsangemessene Alimentation vorliegt, regelmäßig davon aus, dass der Kindesunterhalt einer Familie mit einem oder zwei Kindern ganz überwiegend aus den allgemeinen, d.h. „familienneutralen“ Gehaltsbestandteilen bestritten werden kann, weshalb die hinzutretenden kinderbezogenen Gehaltsbestandteile erheblich unterhalb der Beträge bleiben können, die die Rechtsordnung als Regelsätze für den Kindesunterhalt als angemessen erachtet und veranschlagt (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 30. März 1977 – 2 BvR 1039/75 –, Rn. 65). Die familienbezogenen Zuschläge einschließlich des Kindergelds können deshalb den zusätzlichen Bedarf, der der Beamtenfamilie beim ersten und zweiten Kind erwächst, nicht annähernd ausgleichen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. März 1990 – 2 BvL 1/86 –, Rn. 48). Denn unter der Prämisse, dass die Grundbesoldung eine mindestens hinreichende Höhe hat, ist es Beamten mit einem oder zwei Kindern dennoch möglich, sich neben den Grundbedürfnissen auch ein „Minimum an Lebenskomfort“ leisten zu können und gleichzeitig die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Familie zu erfüllen (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 –, Rn. 35 f. i.V.m Rn. 38). In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass das BVerfG aktuell ebenfalls direktiv fordert, dass das Grundgehalt von vornherein so bemessen wird, dass eine bis zu vierköpfige Familie – zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden Kinder – amtsangemessen unterhalten werden kann (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn. 47).
Bevor wir uns gleich die Regelsätze für den Kinderunterhalt anschauen, soll noch einmal festgehalten werden, wie nun offensichtlich (a) die vom Bund vorgesehenen Gesamtbeträge aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 aussehen sollen und wie sich diese Beträge verändern, wenn (b) noch das Kindergeld hinzugefügt wird. Denn das BVerfG geht ja – wie gerade dargestellt – davon aus, dass die familienbezogenen Zuschläge einschließlich des Kindergelds den zusätzlichen Bedarf, der der Beamtenfamilie beim ersten und zweiten Kind erwächst, nicht annähernd ausgleichen können, was solange sachlich begründet werden kann, wie die Alimentation als Ganzes amtsangemessen ist.
(a) Gesamtbeträge aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 (s. meinen gestrigen Beitrag):
I 460,16 €
II 582,16 €
III 708,16 €
IV 855,16 €
V 993,16 €
VI 1.137,16 €
VII 1.303,16 €
(b) Gesamtbeträge aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 unter Addition des Kindergelds in Höhe von 219,- € pro Kind:
I 898,16 €
II 1020,16 €
III 1.146,16 €
IV 1.293,16 €
V 1.431,16 €
VI 1.575,16 €
VII 1.741,16 €
Unabhängig davon, dass die Spanne zwischen der Stufe I und der Stufe VII mit 843,- € recht hoch ist und damit eventuell bereits innerhalb der Familienstufe 3 keine gleichheitsgerechte Regelung vollzogen wird (die Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 liegen in der Stufe VII um über 180 % höher als in der Stufe I), sind die Werte der Tabelle b augenscheinlich – eventuell mit Ausnahme der Stufe I – allesamt nicht mit der dargelegten Judikatur des BVerfG in Einklang zu bringen:
Die Regelsätze für den Kindesunterhalt bemisst die deutsche Rechtsordnung nach der Düsseldorfer Tabelle (vgl. z.B. BGH: Beschluss vom 16.09.2020 – XII ZB 499/19 –, Rn. 15; wer sich hier nicht auskennt, kann sich in einem präzisen Überblick informieren:
https://www.haufe.de/recht/familien-erbrecht/neue-duesseldorfer-tabelle-zum-112021_220_531764.html). Die Regelsätze für den Kindesunterhalt sind nach dem Nettoeinkommen vorzunehmen; sie sind darüber hinaus nach drei Altersstufen gegliedert. Zur Bemessung ist der nach 18 Lebensjahren differenzierte durchschnittliche Regelsatz für zwei Kinder heranzuziehen. Die Regelsätze sehen dann wie folgt aus:
Nettoeinkommen Regelsatz für den Kindesunterhalt von zwei Kindern
bis 1.900 € 914,66 €
1.901 – 2.300 € 961,33 €
2.301 – 2.700 € 1.007,33 €
2.701 – 3.100 € 1.052,66 €
3.001 – 3.500 € 1.098,66 €
3.501 – 3.900 € 1.172,00 €
3.901 – 4.300 € 1.245,33 €
Die Problematik liegt nun auf der Hand: Die Gesamtbeträge aus Familienzuschlägen sowie Ergänzungszuschlägen für die Familienstufe 3 unter Addition des Kindergelds liegen offensichtlich eventuell in der Stufe I noch erheblich unterhalb der Regelsätze für den Kindesunterhalt, aber kaum in einer anderen. Als Folge greift die entsprechende Besoldungsdifferenzierung in allen anderen Fällen auf „familienneutrale“ Gehaltsbestandteile zurück, die so der Grundbesoldung entzogen werden, weshalb diese offensichtlich zu niedrig ausfällt. Damit aber liegt eine evident sachwidrige Regelung vor – eine Schätzung ins Blaue hinein –, die nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang zu bringen ist. Denn unverheirateten Beamten, verheirateten Beamten ohne Kinder bzw. mit einem Kind wird sachwidrig ein ihnen zustehendes materielles Gut verwehrt, dass Beamten einer vierköpfigen Familie gewährt wird: Letztere werden so instandgesetzt, aus den familienbezogenen Bestandteilen mit jeder weiteren Stufe zunehmend deutlichere „familienneutrale“ Rücklagen zu bilden, was den zuvor genannten Gruppen von Beamten nicht möglich gemacht wird. Die getroffene Regelung ist deshalb offensichtlich gleichheitswidrig und als solche nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen. In diesem Sinne war meine gestrige Darlegung gemeint.