Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 5606887 times)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14550 am: 30.09.2024 12:16 »
Die Frage der Wohnortwahl solltet ihr hier - denke ich - nicht zu diskutieren anfangen. Denn sie ist entschieden. Dem Grundsicherungsempfänger kann es wegen der in Deutschland aus Art. 11 Abs. 1 GG geltenden Freizügigkeit nicht untersagt werden, auch an Orten mit höchsten Unterkunftskosten zu leben. Dem Beamte muss diese Möglichkeit als Folge seines Sonderstatusverhältnis explizit gegeben sein, da er in genau jener Freizügigkeit eingeschränkt ist, nämlich verpflichtet ist, seinen Wohnort so zu wählen, dass davon seine Dienstgeschäfte nicht eingeschränkt werden. Das gilt ausnahmslos für alle Beamte, da es in Deutschland nur das eine unteilbare Berufsbeamtentum gibt, wie das das Bundesverfassungsgericht 2018 in seiner Streikverbotsentscheidung ausgeführt hat.

Hinsichtlich der Wohnortswahl heißt es in der Rn. 60 des aktuellen Judikats:

"Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE)."

Darüber hinaus hebt die Rn. 61 hervor:

"Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <172>). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten (Orts-)Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 <345 ff.>), wie es derzeit regelmäßig bei einer Auslandsverwendung (vgl. § 1b Abs. 1 Nr. 1 LBesG BE i.V.m. § 52 Abs. 1 BBesG i.d.F. vom 6. August 2002) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art. 94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 <238, 243 ff.>; 117, 330 <350 f.>). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit."

Über die Folgen dieser letzten Ausführungen der Rn. 61 kann man diskutieren, denke ich. Über die Rn. 60 wäre eine Diskussion müssig, weil es hier sachlich als Folge der Randnummer nichts mehr zu diskutieren gibt.

@ Nelson

Diese Aussage lässt sich nicht erhärten und würde ich bestreiten:

"Selbst wenn ich hier eine gewisse, durch Kinder bedingte Einschränkung des Lebensstandards hinnehme, lässt sich aus diesen Vorgaben kein  Modell entwickeln, in dem keine signifikante Übervorteillung entsteht (die dann ihrerseits erneut in einer verfassungsrechtlichen Problematik endet)."

Eine amtsangemessene Alimentation ist unter den bislang noch eher sachten Auswirkungen der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Alimentationsprinzip weiterhin ohne Übervorteilung möglich und wird als Folge der jahrzehntelangen "Sonderopfer", die Prof. Huber seit mindestens 25 Jahren bestehend deutlich anklingen lässt und die seitdem noch jeweils verschärft worden sind, recht teuer werden, worin sich zu einem großen Teil der notwendige Nachholeffekt offenbart, der Folge der jahrzehntelange Abkopplung von Besoldung und Alimentation von der allgemeinen Lohnentwicklung zu betrachten ist.

Allerdings kommt hier nun mit dem aktuellen Judikat eine weitere Ebene hinzu: Nämlich dass das Bundesverfassungsgericht sich schon dort gezwungen sieht, die Bedeutung der Dritten Gewalt und des Berufsbeamtentums für den auch hier offensichtlich etwas begriffsstutzigen Besoldungsgesetzgeber zu präzisieren. Folge solcher Präzisierung ist, dass es teuer wird. Denn die institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums und seine herausgehobene Bedeutung für die öffentliche Verwaltung werden - sofern diese in weiteren Nachhilfestunden dem Besoldungsgesetzgeber erklärt werden müssen - in nicht mehr allzu ferner Zukunft zu Besoldungs- und Alimentationshöhen führen müssen, die dann tatsächlich irgendwann der Bevölkerung nur noch schwerlich zu erklären wären. Diese Erklärungsarbeit wird dann weiterhin als Aufgabe des Besoldungsgesetzgebers im Zuge seiner Begründungspflicht zu leisten sein. Das Bundesverfassungsgericht wird sich hingegen auch zukünftig dazu veranlasst sehen, dem Besoldungsgesetzgeber das Berufsbeamtentum zu erklären, wenn sich die Begriffsstutzigkeit nicht ändert.

Darüber hinaus ist eine der beiden Deiner Prämissen nicht richtig:

"B) Der Beamte ist amtsangemessen zu besolden. Nichtleistungsbezogene Zulagen (wie Familienzuschläge) sind auf das absolute Minimum zu begrenzen. Binnenabstände sind zu wahren."

Auch die sozialen Besoldungskomponenten sind sachgerecht zu gewähen und dürfen sich also an den tatsächlichen Bedarfen orientieren. Auf ein absolutes Minimum sind sie nicht zu begrenzen, wobei niemand den Besoldungsgesetzgeber daran hindern kann, sie auf ein absolutes Minimum zu begrenzen, sofern er auch auf dieser Grundlage die amtsangemessene Alimentation gewährleistete. Worin er sich gehindert sieht, ist, sie in solchen Höhen zu gewähren, dass wir hier ein Beamtenprivileg feststellen müssten, das sich nicht vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen ließe, da damit der staatliche Gleichbehandlungsgrundsatz aller Kinder verletzt werden würde.

MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14551 am: 30.09.2024 12:24 »

Nimmt man den Durchschnittswert jedoch aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland, ergibt sich für das Jahr 2023 ein Bruttodurchschnittsgehalt von 4.479 € Brutto bzw. rund 2.860€ Netto/Monat.

und das Medianeinkommen liegt so bei 3700 Brutto, also ~2355 netto
https://www.capital.de/karriere/medianeinkommen--so-viel-verdienen-die-deutschen-im-mittel-31108506.html
https://www.finanz.de/gehalt/
A3 Stufe 1 aktuell Bund 2706 Brutto +30% 3517 € Brutto also 2918 Netto abzüglich 300€ PKV = 2600€ Netto

Wenn man also der Auffassung ist, dass das die geringste Netto-Besoldung über dem Medianeinkommen der Bevölkerung liegen muss, damit der Beamte amtsangemessen bezahlt ist, dann soll man das doch auch so sagen.

Ich frage mich nur ob dies Karlsruhe irgendwann mal sagen wird.



MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14552 am: 30.09.2024 12:27 »
Demzufolge dürften auch Bürgergeldempfänger nicht mehr in den big seven und weiteren leben oder würde diesen das Privileg weiter zugestanden?
Nein, der Beamte hat eine freie Wohnortwahl und dem Gesetzgeber steht es frei die unterschiedlichen aufwände die der Beamte benötigt via Ortszuschläge o.ä. abzufedern.
Solange er diesen nicht macht, müssen alle Beamten entsprechend der teuersten Wohnortwahl bezahlt werden.

MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14553 am: 30.09.2024 12:30 »
Und die Zulagenorgie für untere Besoldungsgruppen mit vielen Kindern- steht in den Sternen.
Ich halte jede Zulagenorgie, die gestaffelt nach Besoldungsgruppen abschmilzt für Pfusch und verfassungswidrig.
Wenn Zulagen dann für alle gleich, bzw. für die höheren Besoldungsgruppen müssen die Zulagen für Kinder ansteigen, damit Netto identische Beträge rauskommen.

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14554 am: 30.09.2024 12:36 »
Ich weiß nicht, warum das nicht realistisch sein sollte. Vielleicht nicht in der Wahrnehmung des Haushaltsgesetzgebers. Aber wenn in den unteren Besoldungsstufen die 15% über Bürgergeld nicht eingehalten sind und darauf aufbauend eine lineare Tabelle der Besoldung erfolgt, die sicherlich schon was die Ämterwertigkeit und den Mindestabstand angeht auf Kante genäht ist, dann wird der Gesetzgeber eigentlich in Richtung 30% gehen müssen. Es sei denn der Gesetzgeber hofft auf eine Anordnung aus Karlsruhe, um sich die Hände in Unschuld zu waschen. Dann allerdings dürften die 30% noch wohlwollend bemessen sein.

Leider nein, diese 30% sind nicht darstellbar. Hier genügt ein Blick in die Stellungnahme des Richterbunds, in der die Eingangs- und Endämter mit dem Durchschnittsgehalt von Beschäftigten mit gleichem Anforderungsniveau tabellarisch verglichen werden. Es fällt zwar auf, dass die Besoldung klar erkennbar unterhalb der "Außenwelt" liegt, eine 30%ige Erhöhung würde das allerdings deutlich überkompensieren.

Ferner -und ich glaube, dass haben viele noch gar nicht verstanden- führen die hier ins Feld geführten, verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Besoldung insbesondere in den ganz unten liegenden Gruppen zu einem mathematisch nicht auflösbarem Problem.

Konkret:

A) Der Beamte hat Anspruch auf eine Nettoalimentation für sich und seine Familie, die oberhalb des Existenzminimums zu liegen hat.

B) Der Beamte ist amtsangemessen zu besolden. Nichtleistungsbezogene Zulagen (wie Familienzuschläge) sind auf das absolute Minimum zu begrenzen. Binnenabstände sind zu wahren.

Für eine 4k-Familie mit 2 Kindern unter 14 Jahren beträgt der Umrechnungsfaktor im Nettoäquivalenzeinkommen bei 2,1. Im Bürgergeldbezug (also dem Existenzminimum) liegt dieser sogar fast bei 3.

Selbst wenn ich hier eine gewisse, durch Kinder bedingte Einschränkung des Lebensstandards hinnehme, lässt sich aus diesen Vorgaben kein  Modell entwickeln, in dem keine signifikante Übervorteillung entsteht (die dann ihrerseits erneut in einer verfassungsrechtlichen Problematik endet).

Das "Problem" ist die 4K-Familie und der Faktor, um den sich der finanzielle Bedarf gegenüber einer Einzelperson bei ungefähr gleichem Lebensstandard unterscheidet. "Technisch" betrachtet lässt sich das nur lösen, wenn wesentliche Teile der Alimentation der Familie nicht über das Grundgehalt oder Zulagen realisiert werden.

Noch mal: Das geht nicht "gegen" Beamte, oder soll Euch eine verdiente Aufstockung der Bezüge verwehren ... Mit den vorgegebenen Regeln und Leitplanken lässt sich das alles nur gar nicht abbilden.

Ich halte die 30% auch für darstellbar. Vergleicht man die Gehälter von Beamten und Angestellten untereinander so erkennt man eindeutig, dass das Durchschnittsgehalt von vollzeitbeschäftigten nicht-Akademikern weit über dem der nicht-Akademiker Beamten liegt.

2023 lag das Durchschnittsgehalt bei 41.000€ für nicht-Akademiker

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1184292/umfrage/bruttojahresgehaelter-in-deutschland-nach-bildung-und-berufserfahrung/#:~:text=Bruttojahresgeh%C3%A4lter%20in%20Deutschland%20nach%20Bildungsabschluss%202023&text=Laut%20StepStone%20Gehaltsreport%20betrug%20das,genau%20in%20der%20Mitte%20liegt.

In der Besoldungstabelle erkennt man, dass nicht einmal in A8 das Durchschnittsgehalt erreicht wird.
Ab A9 gD ist bereits ein Studium notwendig.

https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/vergleich/

Hier erkennt man, dass die Durchschnittsgehälter der nicht-Akademiker Beamten weit angehoben werden müssen. Als Folge erhöhen sich logischerweise auch die Akademiker Gehälter von Beamten.

tinytoon

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14555 am: 30.09.2024 12:43 »
Demzufolge dürften auch Bürgergeldempfänger nicht mehr in den big seven und weiteren leben oder würde diesen das Privileg weiter zugestanden?
Nein, der Beamte hat eine freie Wohnortwahl und dem Gesetzgeber steht es frei die unterschiedlichen aufwände die der Beamte benötigt via Ortszuschläge o.ä. abzufedern.
Solange er diesen nicht macht, müssen alle Beamten entsprechend der teuersten Wohnortwahl bezahlt werden.

Ich glaube Du hast meine Frage nicht richtig aufgefasst. Die entsprechende Antwort worauf ich mit der Frage abzielte hat Swen danach gegeben. Es ging nämlich darum, dass die zitierte Aussage von Organisator so nicht funktioniert.

Imperator

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14556 am: 30.09.2024 12:58 »

Nimmt man den Durchschnittswert jedoch aller Vollzeitbeschäftigten in Deutschland, ergibt sich für das Jahr 2023 ein Bruttodurchschnittsgehalt von 4.479 € Brutto bzw. rund 2.860€ Netto/Monat.

und das Medianeinkommen liegt so bei 3700 Brutto, also ~2355 netto
https://www.capital.de/karriere/medianeinkommen--so-viel-verdienen-die-deutschen-im-mittel-31108506.html
https://www.finanz.de/gehalt/
A3 Stufe 1 aktuell Bund 2706 Brutto +30% 3517 € Brutto also 2918 Netto abzüglich 300€ PKV = 2600€ Netto

Wenn man also der Auffassung ist, dass das die geringste Netto-Besoldung über dem Medianeinkommen der Bevölkerung liegen muss, damit der Beamte amtsangemessen bezahlt ist, dann soll man das doch auch so sagen.

Ich frage mich nur ob dies Karlsruhe irgendwann mal sagen wird.

Hallo MoinMoin,

m. M. n. ist der Vergleich eines Beamten der zu 100% beschäftigt ist mit dem Median aus vielen verschiedenen Gründen äußerst fraglich. Betrachtet man die wöchentliche Arbeitszeit, hat der Beamte 41 Stunden/Woche an Arbeitsleistung zu erbringen. Der Durchschnittswert des Median liegt bei gerade einmal 34,3 Stunden/Woche aufgrund vieler Teilzeit/geringfügigen Beschäftigungen. Der Median ist ausschlaggebend für den gesamten Arbeitsmarkt, während der Beamte einer speziellen Berufsgruppe zugeordnet wird.

Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/woechentliche-arbeitszeitl.html#:~:text=34%2C3%20Stunden%20betrug%20die,jedoch%20getrennt%20voneinander%20betrachtet%20werden.

Es gibt viele weitere Gründe, warum der Beamte differenziert gegenüber einem Medianbeschäftigten betrachtet werden muss.

Aber schon alleine aufgrund der Arbeitszeit, finde ich, ist der Vollzeitbeschäftigte dem Beamten näher anzusiedeln als der Medianbeschäftigte.

NelsonMuntz

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14557 am: 30.09.2024 13:02 »
Hallo Swen,

meine Antwort auf Deinen letzten Post steht ja eigentlich noch aus, aber ich habe aktuell leider doch sehr viel zu tun.  :-\

Deshalb in aller Kürze: Auch in der Stellungnahme des Richterbunds war zu lesen, dass es gegen die Amtsangemessenheit verstoßen würde, wenn zu hohe nichtleistungsbezogene Zulagen gewährt werden. Ich habe das semantisch mal auf das "absolute Minimum" verkürzt (Was sicherlich juristisch nicht korrekt ist, aber den Kern der Sache weitestgehend erfasst ;)) -  Ich zitiere:

... Selbst an einem Wohnort der Mietenstufe IV (z. B. Berlin) wird das Bruttoeinkommen des verheirateten Beamten mit zwei Kindern und dem untersten Grundgehalt noch das eines unverheirateten und kinderlosen Beamten der Besoldungsgruppe A 10 in Stufe 1 erreichen, dem ersten Beförderungsamt der Laufbahngruppe des gehobenen Dienstes.

Auf diese Weise wird der Bruttoverdienst nicht mehr maßgeblich durch die dem Dienstherrn erbrachten Dienste bestimmt, sondern durch Umstände in der Person der Beamtin oder des Beamten. Viel mehr als durch Tätigkeit für den Dienstherrn lässt sich das Einkommen durch Heirat und Kinderzahl erhöhen. 

Damit ist die Amtsbezogenheit der Besoldung nicht mehr gewährleistet.


Eine Lösungsidee bleibt der Richterbund hier schuldig. Noch mal zur Verdeutlichung der Dimension: Im Bürgergeld liegt der Faktor, um den sich der Bedarf bei einer 4-köpfigen gegenüber dem einer Einzelperson erhöht bei 3!

Es wird durch diesen Faktor also immer zu einer Übervorteilung kommen. Diese entsteht dabei zwischen Beamten in Partnerschaft mit zwei Kindern und kinderlosen Singles. Je nach Ausgestaltung tritt das auf der gleichen Ebene zu Tage, oder wie in obigem Zitat eben über viele Besoldungsgruppen hinweg.

Eine "3" scheint eine kleine Zahl, aber sie hat hier eben eine enorme Wirkmacht.

Aber anders: Wenn wir den Bedarf für Frau und Kinder bei jenen 115% fixieren, dann würde der Faktor mit steigender Besoldung immer kleiner werden. Man müsste in diesem Falle noch definieren, wie stark eine Einschränkung im Lebensstanard durch Kinder ausfallen darf, um so einen Grundsold im untersten Einstiegsamt zu definieren, der wirklich allen Regeln entspricht. Er wäre auf das Jahr gesehen aber in jedem Falle 6-stellig.

NelsonMuntz

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14558 am: 30.09.2024 13:10 »

Ich halte die 30% auch für darstellbar. Vergleicht man die Gehälter von Beamten und Angestellten untereinander so erkennt man eindeutig, dass das Durchschnittsgehalt von vollzeitbeschäftigten nicht-Akademikern weit über dem der nicht-Akademiker Beamten liegt.

2023 lag das Durchschnittsgehalt bei 41.000€ für nicht-Akademiker

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1184292/umfrage/bruttojahresgehaelter-in-deutschland-nach-bildung-und-berufserfahrung/#:~:text=Bruttojahresgeh%C3%A4lter%20in%20Deutschland%20nach%20Bildungsabschluss%202023&text=Laut%20StepStone%20Gehaltsreport%20betrug%20das,genau%20in%20der%20Mitte%20liegt.

In der Besoldungstabelle erkennt man, dass nicht einmal in A8 das Durchschnittsgehalt erreicht wird.
Ab A9 gD ist bereits ein Studium notwendig.

https://oeffentlicher-dienst.info/beamte/vergleich/

Hier erkennt man, dass die Durchschnittsgehälter der nicht-Akademiker Beamten weit angehoben werden müssen. Als Folge erhöhen sich logischerweise auch die Akademiker Gehälter von Beamten.

Ich persönlich blicke auf die zitierte Tabelle in der Stellungnahme des Richterbunds:

im mD liegt die Spanne zu vergleichbaren AN zwischen 72% und 108%. Bei einer Erhöhung um 30% läge sie zwischen 94% und 140% - im Mittel ware die Besoldung dann also höher.

Ferner ist zu beachten, dass wir es hier mit einen Bruttowert zu tun haben. Die SV-Abzüge beim AN sind in der Regel deutlich höher, als die Beiträge zur PKV.

MoinMoin

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14559 am: 30.09.2024 13:35 »
Hallo MoinMoin,

m. M. n. ist der Vergleich eines Beamten der zu 100% beschäftigt ist mit dem Median aus vielen verschiedenen Gründen äußerst fraglich. Betrachtet man die wöchentliche Arbeitszeit, hat der Beamte 41 Stunden/Woche an Arbeitsleistung zu erbringen. Der Durchschnittswert des Median liegt bei gerade einmal 34,3 Stunden/Woche aufgrund vieler Teilzeit/geringfügigen Beschäftigungen. Der Median ist ausschlaggebend für den gesamten Arbeitsmarkt, während der Beamte einer speziellen Berufsgruppe zugeordnet wird.
Ja, wenn der Median sich nicht auf VZ bezieht, dann ist die Zahl natürlich Quatsch.

Ansonsten hat der Median natürlich eine andere Aussagekraft, als das Durchschnittsgehalt.

Worum es bei diesem Vergleich geht, ist doch die Aussage, dass, wenn man das Grundgehalt um 30% erhöhen muss, der A3er eine Besoldung bekommen muss, die höher ist als die Bezahlung von rund ~50% der Bevölkerung ist.

Ergo: Ein A3er ist erst dann amtsangemessen besoldet.
Und damit sagt man über die Amtsangemessenheit aus.


Zitat
Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-3/woechentliche-arbeitszeitl.html#:~:text=34%2C3%20Stunden%20betrug%20die,jedoch%20getrennt%20voneinander%20betrachtet%20werden.

Es gibt viele weitere Gründe, warum der Beamte differenziert gegenüber einem Medianbeschäftigten betrachtet werden muss.

Aber schon alleine aufgrund der Arbeitszeit, finde ich, ist der Vollzeitbeschäftigte dem Beamten näher anzusiedeln als der Medianbeschäftigte.
Auch wenn man das Durchschnittsgehalt nimmt, kommt man doch zur gleichen Aussage, nämlich das ein A3 (nach ein paar Jahren) eine Besoldung zu erhalten hat, die dem Durchschnittsgehalt der Bevölkerung entspricht.

Und diese Aussage ist es doch, die Organisator & Co stutzig macht und die politisch schlecht vermittelbar ist.

und für mich stellt sich in der Tat Frage, ob diejenigen die behaupten, dass nur ein 30% plus für alle, der einzige gangbare Weg ist, tatsächlich der Meinung sind, dass alle Single Beamten ab A3 zu der oberen Einkommenshälfte gehören müssen, damit sie amtsangemessen besoldet sind.

Oder ob da evtl. doch eine andere Lösung her muss.

(Und nochmals, damit da keine Missverständnisse aufkommen, der A3 muss Geld in dieser Höhe vom Staat zur Verfügung haben, wenn er 2 Kinder und Partner hat, aber das ist eine andere Fragestellung, für die der Staat eine Lösung finden muss)

Organisator

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14560 am: 30.09.2024 13:37 »
Die Frage der Wohnortwahl solltet ihr hier - denke ich - nicht zu diskutieren anfangen. Denn sie ist entschieden. Dem Grundsicherungsempfänger kann es wegen der in Deutschland aus Art. 11 Abs. 1 GG geltenden Freizügigkeit nicht untersagt werden, auch an Orten mit höchsten Unterkunftskosten zu leben.

Korrekt. Jedoch hat der Grundsicherungsempfänger nicht das Recht, dass bei einem Umzug dann gestigende Kosten der Unterkunft auch vom Grundsicherungsträger übernommen werden.

Dem Beamte muss diese Möglichkeit als Folge seines Sonderstatusverhältnis explizit gegeben sein, da er in genau jener Freizügigkeit eingeschränkt ist, nämlich verpflichtet ist, seinen Wohnort so zu wählen, dass davon seine Dienstgeschäfte nicht eingeschränkt werden.

Und da ist ja in der RN 61 schön angegeben, dass eben keine Ausrichtung an Extremwerten erforderlich ist. Insoweit können auch Durchschnittswerte angenommen werden (für die Grundbesoldung) und mit Zulagen für Extremfälle (z.B. A3/1 in München) gearbeitet werden.

Nur darauf will ich hinaus - das unterste Minimum der Grundbesoldung ist eben nicht der schlechtbezahlteste Beamte in der teuersten Stadt!

BVerfGBeliever

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #14561 am: 30.09.2024 13:39 »
Das "Problem" ist die 4K-Familie und der Faktor, um den sich der finanzielle Bedarf gegenüber einer Einzelperson bei ungefähr gleichem Lebensstandard unterscheidet. "Technisch" betrachtet lässt sich das nur lösen, wenn wesentliche Teile der Alimentation der Familie nicht über das Grundgehalt oder Zulagen realisiert werden.

Welches "Problem"?

Wenn die Grundgehälter aller Beamten um 30% angehoben würden, bekäme ein lediger und kinderloser A3, der jede Woche 41 Stunden Dienst leistet, eine Jahresbruttobesoldung von 42.229 €. Seine Nettoalimentation läge somit bei 31.435 € (ohne steuerliche Berücksichtigung der Basis-KV/PV).

Bei einem A6 wären es 32.770 € und bei einem (studierten!) A9 wären es 38.120 €

Zum Vergleich: Eine verheirateter Bürgergeldempfänger mit zwei Kindern, der jede Woche 0 Stunden arbeitet, bekommt laut DRB eine Grundsicherung von bis zu 48.902 € netto.

Organisator

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« Antwort #14562 am: 30.09.2024 13:43 »
Und diese Aussage ist es doch, die Organisator & Co stutzig macht und die politisch schlecht vermittelbar ist.

Korrekt. Wie will der Abgeordnete seinem Wahlkreis klarmachen, dass der kleinste Beamte (unverheiratet/kinderlos) mindestens so viel Einkommen haben sollte, die der Durchschnittsdeutsche?

Von daher kann nur eine - vom BVerfG ausdrücklich zugelassene - andere Alternative die notwendige Mehrheit in der Bevölkerung und somit auch beim Gesetzgeber finden.

Organisator

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« Antwort #14563 am: 30.09.2024 13:46 »
Das "Problem" ist die 4K-Familie und der Faktor, um den sich der finanzielle Bedarf gegenüber einer Einzelperson bei ungefähr gleichem Lebensstandard unterscheidet. "Technisch" betrachtet lässt sich das nur lösen, wenn wesentliche Teile der Alimentation der Familie nicht über das Grundgehalt oder Zulagen realisiert werden.

Welches "Problem"?

Wenn die Grundgehälter aller Beamten um 30% angehoben würden, bekäme ein lediger und kinderloser A3, der jede Woche 41 Stunden Dienst leistet, eine Jahresbruttobesoldung von 42.229 €. Seine Nettoalimentation läge somit bei 31.435 € (ohne steuerliche Berücksichtigung der Basis-KV/PV).

Bei einem A6 wären es 32.770 € und bei einem (studierten!) A9 wären es 38.120 €.

Zum Vergleich: Eine verheirateter Bürgergeldempfänger mit zwei Kindern, der jede Woche 0 Stunden arbeitet, bekommt laut DRB eine Grundsicherung von bis zu 48.902 € netto.

Welchen Sinn soll dieser Vergleich mit unrealistischen Zahlen haben?

NelsonMuntz

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« Antwort #14564 am: 30.09.2024 13:59 »
Das "Problem" ist die 4K-Familie und der Faktor, um den sich der finanzielle Bedarf gegenüber einer Einzelperson bei ungefähr gleichem Lebensstandard unterscheidet. "Technisch" betrachtet lässt sich das nur lösen, wenn wesentliche Teile der Alimentation der Familie nicht über das Grundgehalt oder Zulagen realisiert werden.

Welches "Problem"?

Wenn die Grundgehälter aller Beamten um 30% angehoben würden, bekäme ein lediger und kinderloser A3, der jede Woche 41 Stunden Dienst leistet, eine Jahresbruttobesoldung von 42.229 €. Seine Nettoalimentation läge somit bei 31.435 € (ohne steuerliche Berücksichtigung der Basis-KV/PV).

Bei einem A6 wären es 32.770 € und bei einem (studierten!) A9 wären es 38.120 €.

Zum Vergleich: Eine verheirateter Bürgergeldempfänger mit zwei Kindern, der jede Woche 0 Stunden arbeitet, bekommt laut DRB eine Grundsicherung von bis zu 48.902 € netto.

Das Problem entsteht, wenn der A3er heiratet und zwei Kinder bekommt. Dann muss er eine Nettoalimentation in Höhe von grob 58k erhalten. Wird dies über familienbezogene Zulagen gelöst, kann er im Rahmen der Bruttobesoldung eben "besser" als jener A6er oder A9er ohne Kinder dastehen, was wiederum der Amtsangemessenheit widerspricht.

Das ist das Problem.