Nee, nee, nee, BW, so schnell kippe ich nicht vom Stuhl... Aber Du hast Recht, ich habe logischerweise nun mal den Bleistift gespitzt und den Taschenrechner zur Hand genommen. Schauen wir uns also mal wie gehabt die Bemessungen des Grundsicherungsniveaus, der Mindest- und geplanten Nettoalimentation an. Hier findet man zunächst hinsichtlich der Bemessung der Mindest- und gewährten Nettoalimentation das mittlerweile in Gesetzgebungsverfahren übliche evident sachwidrige und evident unzureichende Vorgehen (vgl. ab der S. 55).
Die Wohnkosten werden anhand der Mietenstufe des WoGG ermittelt. Der Entwurf begründet das wie folgt: "Eine an den Wohnsitz des Alimentationsberechtigten anknüpfende Abstufung der Mindestalimentation ist mit dem Alimentationsprinzip vereinbar (vgl. BVerfG, ebd. [Rn. 61]). Daher stellt der Gesetzentwurf zur realitätsgerechten Ermittlung der Wohnkosten auf die unterschiedlichen Mietenstufen der WoGV, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes der Wohngeldempfängerinnen und -empfänger zugeordnet sind, ab" (vgl. S. 56).
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch solche Bemessungen als sachwidrig betrachtet und im direkten Vorfeld der Rn. 61 der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben:
"Eine Übernahme der in den Existenzminimumberichten angewandten Methode kommt nicht in Betracht. Im streitgegenständlichen Zeitraum wurden darin neben dem gesamtdeutschen Mietenniveau der Wohngeldempfänger der für die Mietenstufen I bis IV nach Fallzahlen gewichtete Durchschnittswert zugrunde gelegt (vgl. BTDrucks 16/11065, S. 3; BTDrucks 18/3893, S. 4; nunmehr aber BTDrucks 19/5400, S. 5) und damit gerade die Mieten der (damals) höchsten Mietenstufen V und VI nach § 12 WoGG außer Ansatz gelassen (vgl. Modrzejewski, Existenzsicherung in Ehe und Familie im Einkommensteuerrecht, 2018, S. 138). Dass die Auffassung der Bundesregierung, diese Methodik sei auch für die Bestimmung der Mindestalimentation heranzuziehen, nicht zutreffen kann, folgt schon daraus, dass sie in ihrer Stellungnahme die Beamten ausdrücklich auf den Wohngeldbezug verweist. Der Besoldungsgesetzgeber kann sich seiner aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtung aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen; die angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden (vgl. BVerfGE 44, 249 <269 f.>; 70, 69 <81>)." (Rn. 56; Hervorhebung durch mich)
Eine weitere Betrachtung des Gesetzentwurfs erübrigt sich von daher eigentlich bereits. Der Entwurf nimmt an zentraler Stelle eine evident sachwidrige Bemessung vor, die der Bundesregierung explizit untersagt worden ist und führt von daher den "konzertierten Verfassungsbruch" ebenfalls wissentlich und willentlich weiter fort. Die für München auf Grundlage der WoGV zugrunde gelegten kalten Unterkunftskosten von 1.171,50 € unterschreiten das aktuelle 95 %-Perzentil für Bayern um mehr als 200,- €; es liegt für das Jahr 2021 bei 1.379,- €. Damit führt das evident sachwidrige Verfahren zu einer evident unzureichenden Bemessung der entsprechenden Kosten, die nicht realitätsgerecht erfolgt und um rund 15 % zu gering bemessen werden.
Für die realitätsgerechte Bemessung der Heizkosten ist in Bayern auf eine 90 qm große Wohnung abzustellen. Der aktuelle Heizspiegel mit den Werten für das Vorjahr legt 25,91 € für (1. ) Wärmepumpen und 24,71 € für (2.) Fernwärme je Quadratmeter zugrunde. Da weiterhin vom tatsächlichen Bedarf auszugehen ist, ist hier der höhere Wert zu beachten. Die jährlichen Herizkosten belaufen sich folglich auf (1) 2.331,90 € bzw. (2) 2.223,90 € bzw. auf monatlich (1) 194,33 bzw (2.) 185,33 € und nicht auf 129,72 €, die der Entwurf zugrunde legt (S. 56). Damit werden mindestens 30 % zu geringe Heizkosten angesetzt.
Weiterhin fehlt bei der Bemessung der Mindestalimentation die Beachtung der Betreuungskosten für unter Dreijährige, die das Bundesverfassungsgericht bei den Sozialtarifen als von "erheblicher praktischer Bedeutung" betrachtet, weshalb es den Gesetzgeber dazu verpflichtet hat, sie bei der Bemessung zu beachten (Rn. 69). Sie kann ich hier nicht abbilden, da mir keine validen Daten vorliegen. Nimmt man aber moderate monatliche Kosten von 250,- € je Kind in den ersten beiden Lebensjahren an, dann wären gewichtet auf 18 Lebensjahre noch einmal rund 56 € hinzuzurechnen, was ich hier nicht tue; zugleich lege ich den niedrigeren Wert für die Heizkosten zugrunde, da er in jedem Fall vom Bundesverfassungsgericht anerkannt werden würde. Als Ergebnis der höheren warmen Unterkunftskosten muss von einem Grundsicherungsniveau in Höhe von 3.211,75 € ausgegangen werden. Die Mindestalimentation beträgt auf der beschriebenen Grundlage 3.693,51 € und nicht 3.390,94 €, wie der Entwurf es postuliert.
Der Gesetzentwurf legt als Bruttogrundgehalt 2.650,03 € (S. 56) und damit die fünfte Erfahrungsstufe der Besoldungsgruppe A 4 zugrunde, die zum Erreichen der Mindestalimentation zur neuen untersten Besoldungsgruppe erklärt wird. Der § 27 soll dafür wie folgt verändert werden (vgl. Art. 1, Ziff. 18):
„Mit der ersten Ernennung mit Anspruch auf Dienstbezüge im Anwendungs-
bereich dieses Gesetzes wird das Grundgehalt der Stufe 1 festgesetzt, soweit
nicht Erfahrungszeiten nach § 28 Absatz 1 bis 3 anerkannt werden. Abwei-
chend von Satz 1 erster Halbsatz wird bei der Einstellung von Beamten
1. in ein Amt der Besoldungsgruppe A 4 oder A 5 jeweils das Grundgehalt
der Stufe 5 festgesetzt,
2. in ein Amt der Besoldungsgruppe A 6 das Grundgehalt der Stufe 3 fest-
gesetzt und
3. in ein Amt der Besoldungsgruppe A 7 das Grundgehalt der Stufe 2 fest-
gesetzt.“
Damit wird ein weiteres Mal der Abstand zwischen den Besoldungsgruppen ohne erkennbaren sachlichen Grund deutlich verringert. Das gesteht der Gesetzentwurf auch ganz frank und frei ein:
"Im einfachen Dienst ist die Erbringung einer vollwertigen Leistung kaum von einer berufli-
chen Erfahrung abhängig, so dass auch ohne Vorerfahrung eine entsprechende Leistung
erbracht werden kann. Es ist demnach sachlich gerechtfertigt, in einer höheren Stufe zu
beginnen. Für die weitere berufliche Entwicklung stehen dann bei Beamtinnen und Beam-
ten im einfachen Dienst sowie Soldatinnen und Soldaten noch drei höhere Erfahrungsstufen
zu Verfügung. Im mittleren Dienst gilt dies in geringerem Maße, so dass der Einstieg je nach
Besoldungsgruppe auf die Stufen 3 und 2 angehoben wird. Letztlich dient der reguläre Ein-
stieg in höhere Erfahrungsstufen für Beamtinnen und Beamte im einfachen Dienst sowie
Soldatinnen und Soldaten in der Besoldungsgruppe A 4 Stufe 5, in der Besoldungs-
gruppe A 5 Stufe 5, in der Besoldungsgruppe A 6 in Stufe 3 und in der Besoldungs-
gruppe A 7 in Stufe 2 auch der Sicherstellung einer ausreichenden Mindestalimentation." (S. 68)
Darüber hinaus werden Krankenkassenbeiträge auf Basis neuer Bemessungsgrenzen hervorgehoben (S. 2, vgl. Art. 11 Ziff. 4, S. 32). Auf dieser Grundlage erfolgt eine nicht transparente Ermittlung der PKV-Kosten, die mit monatlich 413,24 € bemessen werden (vgl. S. 57). Bislang waren PKV-Kosten in Höhe von monatlich 633,70 € für das Jahr 2021 laut PKV-Verband zugrundezulegen. Es dürfte deutlich zu bezweifeln sein, dass die geplante gesetzliche Regelung die dargestellten deutlich Folgen haben wird und also die PKV-Kosten um fast 35 % senkt. Darüber hinaus bleibt ebenfalls fraglich, dass vom Nettogehalt am Ende noch Rundfunkbeiträge und Sozialtarife abgezogen werden (S. 57). Es ist davon auszugehen, dass auch das so nicht statthaft sein dürfte. Denn sie sind entsprechend dem Grundsicherungsniveau hinzuzuzählen und dann mit dem Faktor 1,15 zu multiplizieren.
Entsprechend der gemachten Anmerkungen muss davon ausgegangen werden, dass die angesetzte Nettoalimentation in der Realität deutlich zu hoch angesetzt wird und nicht den Betrag von 3.420,21 € erreicht (S. 57).
Stellt man diesem Betrag aber die hingegen von mir offensichtlich zu gering bemessene (weitergehend) realitätsgerechte Mindestalimentation von 3.693,51 € gegenüber, bleibt schon auf dieser Grundlage festzuhalten, dass hier ein Verstoß gegen den absoluten Alimentationsschutz vorliegt, da das entsprechende Grundsicherungsniveau von 3.211,75 € nur um 6,3 % und nicht um 15 % übertroffen wird. Von daher erübrigt sich bereits jede weitere Betrachtung des Entwurfs. Er ist genauso evident sachwidrig wie evident unzureichend und damit verfassungswidrig.
Ich denke, das sind beste Voraussetzungen für die Fortsetzung der Tarifverhandlungen, wie sie die Verhandlungsführerin des Bunds weiterhin führen möchte. Es wird interessant werden, wie man einen solchen Entwurf in der Verhandlung rechtfertigen will.