@Swen
Habe mir die (deine) Stellungnahme BL SH vom 05.05.2023 näher angeschaut und kam auf die Frage, ob bei der Bemerssung der Mindestalimentation nicht noch ein Pauschalbetrag für berufliche Aufwendungen (Fahrtkosten) hinzuzurechnen wäre?
Die Mindestalimentation wird ja vom Bundesverfassungsgericht als 115 %ige Vergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau betrachtet, Tom, weshalb hier keine entsprechenden Fahrtkosten betrachtet werden können. Denn die vierköpfige Bedarfsgemeinschaft befindet sich als Grundsicherungsempfänger per se in keinem Beschäftigungsverhältnis, sodass hier keine entsprechenden Fahrtkosten anfallen können. Die Fahrtkosten werden hingegen, sofern das der Beamte in seiner Steuererklärung so veranlasst, steuerlich bei der Entfernungspauschale mit 30 C je Kilometer der einfachen Wegstrecke materiell betrachtet. Eine darüber hinaus gehende Betrachtung als die individuell steuerliche sieht das Bundesverfassungsgericht weiterhin nicht vor, wobei bei der Bemessung der Nettoalimentation die Steuerlast regelmäßig anhand des Lohnsteuerrechners des Bundesfinanzministeriums in standardisierter Art und Weise wie folgt betrachtet wird (ich ziehe nachfolgend das vorletzte Jahr heran
https://www.bmf-steuerrechner.de/bl/bl2021/eingabeformbl2021.xhtml und lege die Besoldungsgruppe A 3/1 nach dem BBesG zugrunde):
Geburtsjahr: 1991 (Der betrachtete Beamte wird nicht älter, es wird immer einer 30-jähriger Beamter betrachtet)
Steuerklasse: 3 (Der Beamte ist verheiratet)
Kinderfreibeträge: 2 (in der Familie leben zwei Kinder)
Kirchensteuer: keine (die Frage hat das Bundesverfassungsgericht nicht abschließend geklärt, geht aber so vor)
Lohnzahlungszeitraum: Jahr
Jahresbruttolohn: 33.246,84 € (Grundgehalt: 27.945,84 €; Familienzuschläge: 5.301,00 €)
Davon Versorgungsbezüge: 0 €
Rentenversicherung: keine gesetzliche KV
Kraknkenversicherung: private KV ohne Arbeitgeberzuschuss
Zusatzbeitragssatz zur gesetlichen KV: 0 %
Pflegeversicherung: ohne Zuschlag von 0,35 %
monatlicher Beitrag zur PKV: 510,70 (BEG-Beitrag laut Mitteilung des PKV-Verbands)
Steuerlast: 1.138,- € (
https://www.bmf-steuerrechner.de/bl/bl2021/resultbl2021.xhtml?acckey=true)
Auch hier kann nun die Fahrtkostenpauschale nicht betrachtet werden, da es sich um ein individuelles Kriterium des jeweiligen Beamten handelt, das als solches nicht durch bemessebare Beträge verallgemeinert werden könnte.
Zugleich ist das sachlich auch nicht nötig, wie im Anschluss gezeigt wird, wobei die nachfolgende Betrachtung für manche erst einmal zu verarbeiten sein dürfte, schätze ich, weil sie die wiederkehrend sachlich problematische Darlegungs- und Vorgehensweise der Besoldungsgesetzgeber im Kopf haben, die also einen absoluten materiellen Zusammenhang zwischen der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation konstruieren, den es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht so aber nicht gibt.
Die Erzählung der Dienstherrn lautet:
- Darlegungsweise: Die Bemessung der Mindestalimentation sei notwendig, um sie mit der Höhe der tatsächlich gewährten Nettoalimentation vergleichen zu können, sobald die gewährte Nettoalimentation die Mindestalimentation übersteigt, läge materiell eine amtsangemessene Alimentation vor.
- Vorgehensweise: das Grundsicherungsniveau und die auf dieser Basis ermittelte Mindest- sowie die vom Dienstherrn gewährte Nettoalimentation werden bemessen (weiterhin in keinem Rechtskreis bislang vollständig sachgerecht, i.d.R. evident unzureichend; aber das ist für unseren hier betrachteten Fall hier im Moment sachlich zweitrangig).
- proklamiertes Ergebnis: Das Mindestabstandsgebot sei nicht verletzt.
Tatsächlich betrachtet das Bundesverfassungsgericht die Mindestalimentation aber grundlegend anders:
- Es betrachtet die Mindestalimentation als 115 %ige Nettovergleichsschwelle zum Grundsicherungsniveau (darin folgen die Gesetzgeber der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; hier besteht kein Dissens).
- Die so bemessene Mindestalimentation stellt den Betrag der gewährten Nettoalimentation dar, der vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist. Diesseits des vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrags sind keine Einschnitte in die gewährte Nettoalimentation möglich (deshalb "
absoluter Alimentationsschutz").
- (a) Damit stellt die Mindestalimentation
nicht den Betrag dar, über den die gewährte Nettoalimentation hinausreichen muss, um dann eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren, wie das die Besoldungsgesetzgeber verstehen wollen und entsprechend darstellen. (b) Vielmehr ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht jede gewährte Nettoalimentation verfassungswidrig, die unterhalb des Betrags der Mindestalimentation verbleibt: "Wird bei der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe der Mindestabstand zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht eingehalten, liegt allein hierin eine Verletzung des Alimentationsprinzips" (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 48). Aussage (a) und Aussage (b) sehen auf den ersten Blick identisch aus - sie sind es aber nicht, und zwar mit weitreichenden Konsequenzen.
Denn aus der sachgerechten Betrachtung des Mindestabstandsgebots im Sinne von (b) wird deutlich, dass jedes Unterschreiten der Mindestalimentation verfassungswidrige ist und dass auf Grundlage des Mindestabstabstandsgebots materiell keine weitere Aussage hinsichtlich der gewährten Nettoalimentation möglich ist, woraus folgt, dass eine gewährte Nettoalimentation, die jenseits der Mindestalimentation liegt (also betragsmäßig größer ist), nur ein
Indiz dafür ist, dass die dieser Besoldungsgruppe gewährte Nettoalimentation verfassungskonform sein kann. Das ist der entscheidende Gedanke, den man sich klar machen muss, um die Sachlogik der Rechtsprechung zu durchdringen:
1. Eine die Mindestalimentation unterschreitende Nettoalimentation stellt einen Einschnitt in den absoluten Alimentationsschutz dar, was ausnahmslos zu dem Ergebnis führt, dass die Regelung materiell-rechtlich verfassungswidrig ist.
2. Überschreitet die Nettoalimentation die gewährte Nettoalimentation, ist das im Prüfverfahren des Bundesverfassungsgerichts als ein Indiz dafür zu betrachten, dass eine amtsangemessene Alimentation vorliegen kann. Weitergehende, materiell-rechtliche Schlüsse können aus dem Überschreiten allein nicht gezogen werden.
Und nun wird ggf. der eine oder andere sagen: Warum soll das wichtig sein?
Bemessen wird nun also die 2021 im Bund gewährte Nettoalimentation für die Besoldungsgruppe A 3/1 sowie das Grundsicherungsniveaus für dasselbe Jahr:
Bruttobesoldung: 33.246,84 €
- Steuerlast: 1.138,00 €
Nettobesoldung: 32.108,84 €
- PKV-Beitrag: 7.604,40 € (laut Mitteilung des PKV-Verbands)
+ Kindergeld: 5.256,00 €
Nettoalimentation: 29.760,44 €Grundsicherungsniveau (die Corona-bedingten Beträge vernachlässige ich nachfolgend):
Regelsätze zwei Erwachsen in
häuslicher Bedarfsgemeinschaft: 9.624,00 €
Regelsätze zwei Kinder: 7.357,44 €
kalte Unterkunftskosten: 16.548,00 € (95 %-Perzentil Bayern)
Heizkosten: 2.016,90 € (22,41 € x 90 qm)
Bedarfe für Bildung und
Teilhabe sowie Sozialtarife: 839,52 € (der Betrag ist deutlich zu gering)
Grundsicherungsniveau: 36.385,86 €Mindestalimentation: 41.843,74 €Mindestalimentation im Monat: 3.486,98 €
gewährte Nettoalimentation: 2.480,04 €
absoluter Fehlbetrag: 1.006,94 €
Hier zeigt sich nun der o.g. Unterschied:
Sowohl der Bundesverfassungsgericht als auch der Dienstherr werden nun bei sachgerechter Betrachtung zu dem Ergebnis kommen, dass die gewährte Nettoalimentation verfassungswidrig ist, da sie die Mindestalimentation eklatant unterschreitet, sodass ein starker Einschnitt in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation vorliegt, wie er sich im absoluten Fehlbetrag zeigt.
Die Gesetzgeber behaupten nun aber, dass die gewährte Nettoalimentation verfassungskonform sei, sobald die gewährte Nettoalimentation in der Besoldungsgruppe A 3/1 3.487,- betragen wird (wobei i.d.R. keiner der Gesetzgeber Bemessungsverfahren vollzieht, die zu einem so hohen Fehlbetrag führen, sondern ihn anhand von sachwidrigen Methoden sachwidrig niedriger bemessen).
Das Bundesverfassungsgericht wird in einer gewährten Nettoalimentation in Höhe von 3.487,- € in der Besoldungsgruppe A 3/1 hingegen ein Indiz erkennen, dass sie verfassungskonform sein kann. Sie wird nun also ebenfalls die weiteren Parameter der ersten Prüfungsstufe betrachten, um dann ebenfalls die zweite Prüfungsstufe zu betrachten, um dann zu einer Gesamtabwägung zu gelangen. In der Gesamtabwägung wäre nun in Rechnung zu stellen, dass die Nettoalimentation um nur 0,02 € oberhalb der Mindestalimentation läge. Das Indiz wäre hier nun also ein allenfalls sehr schwaches. In diesem Sinne führt das Bundesverfassungsgericht aus: Hier "sind zunächst die Feststellungen der ersten Prüfungsstufe, insbesondere
das Ausmaß der Über- oder Unterschreitung der Schwellenwerte, im Wege einer Gesamtbetrachtung zu würdigen und etwaige Verzerrungen – insbesondere durch genauere Berechnungen (vgl. oben C. I. 2. a), Rn. 30 ff.) – zu kompensieren." Typischwerweise wäre nun zu prüfen, ob bspw. die Bemessungen der Bedarfe für Bildung und Teilhabe und des monetären Gegenwerts der Sozialtarife tatsächlich hinreichend realitätsgerecht wären (was sie in unserem Fall ganz sicher nicht wären). Auch müsste weiterhin beachtet werden, dass es sich bei den Besoldungskomponenten "um das Grundgehalt, den Ortszuschlag (jetzt: Familienzuschlag), die jährliche Sonderzuwendung und das Urlaubsgeld sowie etwaige Einmalzahlungen [handelt]. Inwieweit all diese Komponenten tatsächlich bei der Bestimmung des amtsangemessenen Besoldungsniveaus heranzuziehen sind, ist eine Frage der Begründetheit" (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 05. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 -, Rn 88). Der Gesetzgeber müsste nun besonders sorgfältig seine Gesetzesbegründung vollziehen und dabei also in Rechnung stellen, dass ein Unterschreiten des Mindestalimentation ein Einschnitt in den vom absoluten Alimentationsschutz umfassten Betrag der zu gewährenden Nettoalimentation darstellt, also in jedem Fall verfassungsiwdrig wäre. Mit seiner Begründung müsste er nun also in allen Fällen ausschließen können, dass ein solcher Einschnitt gegeben sei.
Der langen Rede kurzer Sinn: Fahrtkosten können aus den zu Beginn genannten Gründen nicht in den jeweiligen Bemessungen beachtet werden und ihre Beachtung ist sachlich auch nicht nötig, wie die weitere Betrachtung zeigt, da eine amtsangemessene Alimentation am Ende so hoch bemessen sein muss, dass die Fahrtkosten für den Beamten am Ende ein nicht ins Gewicht fallendes Problem darstellen können (der Beamte ist ja weiterhin dazu gezwungen, seinen Wohnort so zu wählen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird, also kann seine Wegstrecke zwischen Wohn- und dienstort i.d.R. nicht übermäßig lang sein). Die steuerliche Kompensation durch die Entfernungspauschale sollte als Ausgleich hinreichend sein - auch in dieser Betrachtung zeigt sich nun eindringlich, dass es dem Dienstherrn nicht gestattet werden darf, weiterhin die Treuepflicht einseitig aufzukündigen.