Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3996109 times)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8355 am: 18.11.2023 08:53 »
https://www.bdz.eu/aktuelles/news/bmi-vernachlaessigt-weiterhin-umsetzung-der-verfassungsgemaessen-besoldung/

Immerhin hört man wieder mal etwas

Insbesondere die Stellungnahme vom 22.02.2023 des BDZ im Gesetzgebungsverfahren zum geplanten BBVAngG ist sowohl sehr lesenswert als auch ein dickes Brett innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens (https://www.bdz.eu/fileadmin/user_upload/www_bdz_eu/images/Themen/Stellungnahmen/230222_BDZ_Stellungnahme_BBVAngG.pdf). Ich habe selten eine sachlich so fundierte, zugleich konzentrierte und ebenfalls allgemein verständliche Stellungnahme einer Gewerkschaft in einem Gesetzgebungsverfahren gelesen, die nicht in erster Linie juristische Berufe vertritt.

Ein dickes Brett ist sie entsprechend aus mindestens zwei Gründen: Sie macht erstens jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestages und seinen Mitarbeitern sowie dann zwangsläufig den mit der Sache beschäftigten Ausschussmitgliedern in vielleicht zehn Minuten, die man zum ersten Lesen braucht, wegen ihrer inhaltlichen Klarheit und sprachlichen Präzision verständlich, welche sachliche Probleme der Entwurf enthält und welche Fülle an grundsätzlichen Problemen gegeben ist, sodass jedem Abgeordneten und seinen Mitarbeitern, insbesondere den juristisch nicht ganz so versierten, kaum unklar bleiben kann, dass der Gesetzentwurf keine Chancen hat, am Ende die (bundesverfassungs)gerichtliche Kontrolle zu bestehen, also verfassungswidrig ist - und wäre es ihnen danach noch unklar, ob dem so wäre, dann hätten sie als Abgeordnete die aus Art. 20 Abs. 3 GG herrührende Pflicht, nach diesen zehn Minuten eine deutlich tiefergehende Prüfung des Gesetzentwurfs, als das in vielleicht zehn Minuten des ersten Lesens möglich ist, zu vollziehen oder, falls ihnen das selbst nicht möglich wäre, sie zu initiieren, da ihre Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung es ihnen untersagt, wissentlich und willentlich verfassungswidrige Gesetze zu verabschieden. Allein diese Leistung der Stellungnahme kann gar nicht hoch genug gewertschätzt werden.

Zweitens sieht sich offensichtlich auch der Besoldungsgesetzgeber spätestens seit Anfang des Jahres (tatsächlich seit jeher) gezwungen, während des Gesetzgebungsverfahrens sachlich berechtigt begründete Kritik noch vor Abschluss des Verfahrens hinreichend sachgerecht zu widerlegen, da eine ggf. erst nach Ende des Gesetzgebungsverfahrens eingebrachte Auseinandersetzung mit der Kritik nun vonseiten des Bundesverfassungsgerichts als unzulässiges Nachschieben von Gründen betrachtet wird, das in der gerichtlichen Kontrolle dann keine Rolle mehr spielen kann (vgl. S. 4 ff. unter https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2023/03/Weitere-Normenkontrollantraege-vor-der-Entscheidung-5.pdf). Es ist Bundestag und Bundesrat jedoch in einem sehr weitgehenden Maße unmöglich, die in der Stellungnahme schlank und präzise ausgeführte Kritik sachgerecht zu widerlegen, sodass die Stellungnahme sachlich einer der "Sargnägel" dieses oder sachlich ähnlich gelagerter Nachfolgeentwürfe ist, da dieser Entwurf, sollte er zum Gesetz geworden sein, zum Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht verurteilt ist, wie das die Stellungnahme schlüssig nachweist. Ein verantwortungsvoller Abgeordneter des Deutschen Bundestags wird sich nach dem Lesen der dargelegten Informationen als froh und der BDZ dankbar erweisen, da sie ihm viel Zeit gespart hat, sich noch weitgergehend mit dem Thema beschäftigen zu müssen, da er ja nun weiß, dass er einem solchen Entwurf nicht zustimmen darf, sodass er die ihm durch die Stellungnahme gesparte Zeit besser zum Wohle des deutschen Volkes und der Bevölkerung nutzen kann. Er darf sich also durch den Entwurf guten Gewissens gestärkt sehen in seinen ihm als Abgeordneten auferlegten Pflichten; auch deshalb ist die Stellungnahme ein Beitrag zur Stärkung unseres Rechtsstaats.

Man kann - um ein Fazit zu bilden - m.E. sowohl als Bundesbeamter als auch als jemand, dem das Verfassungsrecht und damit der Zustand unserer Gesellschaft am Herzen liegt, der BDZ nur Respekt zollen: Es ist alles andere als einfach, so präzise und gleichfalls allgemein verständliche Stellungnahmen auf so engem Raum zu erstellen. Viel einfacher und weniger zeitintensiv wäre es gewesen, auf wenigen Seiten die vielen Probleme des Entwurfs zu benennen, sie dabei aber nicht hinreichend tiefgehend genug zu analysieren und nachzuweisen, sodass die sachliche Kritik dann nicht tiefschürfend genug gewesen wäre, was zur Folge gehabt hätte, dass sie nicht noch im Gesetzgebungsverfahren hätte widerlegt werden müssen, da sie dann allenfalls nur benannt, jedoch nicht sachlich hinreichend als relevant nachgewiesen worden wäre. In diesem Sinne zolle ich dieser Stellungnahme der BDZ meinen Respekt: Sehr viel mehr Problem- und Verantwortungsbewusstsein kann man meiner Meinung nach von einer Gewerkschaft nicht erwarten.

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8356 am: 18.11.2023 09:24 »
Swen... Du hast ja Recht. Aber was hilfts? Es dürfte allen klar sein, was kommen wird. Wenn es denn nun überhaupt kommt...

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8357 am: 18.11.2023 10:25 »
Und Du hast - leider - ebenfalls Recht, Knecht: Und doch geht's meiner Meinung nach wiederkehrend um eines, nämlich dass der stete Tropfen den Stein höhlt. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, aber sie mahlen - und das, was die BDZ erarbeitet hat, ist genau Teil jenes Mahlprozesses, und zwar ein sehr kluger Teil.

Und zugleich wird die Bevölkerung die schwere Niederlage der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht so schnell vergessen. Zwar steht offensichtlich weiterhin noch eine unmittelbare bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung über die Bundesbesoldung aus, da augenscheinlich weiterhin keine entsprechenden Verfahren dort anhängig sind. Aber das kann und wird sich, denke ich, ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit zukünftig ändern. Und zugleich zeigt bspw. gerade der Richterverein in Hamburg, nachdem dort die Bürgerschaft ebenfalls zielgerichtet ein Gesetz verabschiedet hat, dass einen so brutal wie brachial verfassungswidrigen sachlich Gehalt aufweist, dass die dortige Politik darauf rechnen kann, vor der nächsten Bürgerschaftswahl mit ihrer desultorischen Besoldungspolitik wiederkehrend konfrontiert zu werden. Darauf darf sich - so darf man hoffen - ebenfalls diese Bundesregierung einstellen, deren drei sie tragenden Parteien ja dafür zurzeit zumindest kaum auf Rosen gebetten sind und die bislang keinen Anschein vermittelte, dass sich das in absehbarer Zeit änderte. Zuvor allerdings - vor der nächsten Bundestagswahl - hat sie offensichtlich hinsichtlich des BBVAngG noch ein Gesetzgebungsverfahren zu durchlaufen, das vor offenen Flanken nur so strotzt, was - wie die Stellungnahmen der BDZ oder auch des BDR zeigen - sachlich schlüssig nachgewiesen ist.

Und auch, wenn sie als Folge der gerade in Karlsruhe eingefahren Früchte ihres Handelns, das Gesetzgebungsverfahren nun weiterhin zu verschleppen gedenkt, muss sie mit der Sprengkraft dieses sachlich grotesken Gesetzentwurfs rechnen, den sie sich als Zeitbombe ans eigene Bein geheftet hat. Die "Welt" ist ja in Hamburg derzeit von ihrer Berichterstattung recht aktiv. Ich glaube, sie hat auch in Berlin einen oder zwei Redakteure sitzen... Es wäre ob der vielen schönen Darlegungen, die man anhand des Handelns der beiden Bundesregierungen seit 2021 erzählen kann, erstaunlich, denke ich, wenn das ausstehende Gesetzgebungsverfahren so ohne Weiteres geräuschlos über die Bühne gehen würde, insbesondere, da es ja der Bundeskanzler war, der in seiner Funktion als Finanzminister 2021 maßgeblich dafür gesorgt hat, dass der damalige Entwurf nicht zu finalisieren war, worin er politisch Weitsicht bewiesen hat, da er das schwärende Problem nun weiterhin an der Backe (oder dem Bein) hat: Wenn es die Gewerkschaften und Verbände klug anstellen, wird das Thema im Verlauf der nächsten Monate medial auf die Tagesordnung kommen. Die Zeilen der BDZ verstehen auch Redakteure, die nicht so tiefgehend in der Materie bewandert sind - und da in seriösen Medien das Prinzip der zweiten Quelle gilt, wird diese und werden diese nicht schwer zu finden sein. Die mit dem Gesetzentwurf verbundenen Probleme der Regierung und Regierungskoalition dürften seit ein paar Tage eher nicht kleiner geworden sein...

Knecht

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8358 am: 18.11.2023 10:43 »
Sollte das tatsächlich alles so - vor der Verabschiedung des bekannten Entwurfs - kommen, darf man wohl stark davon ausgehen, dass dieser komplett eingestampft wird. Dann wird es natürlich wieder die üblichen Beteuerungen geben und über weitere Jahre an einem neuen Gesetz, dass dies mal dann aber wirklich und ganz ehrlich verfassungskonform sein wird, gearbeitet werden. Dass diese Regierung bis dahin nicht mehr am Drücker ist, ist klar. Was bis dahin weltpolitisch passiert, ist völlig unklar. Für mich ist aber klar, dass der aktuelle Entwurf (sollte er verabschiedet werden) zumindest eine kleine Verbesserung darstellt und angesichts oben beschriebenem Umstand wohl zur Zeit das kleinere Übel ist, an dem dann natürlich trotzdem weitergearbeitet werden muss.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8359 am: 18.11.2023 11:09 »
Auch das kann ich verstehen und gilt es, finde ich, als Deine Meinung zu respektieren (nicht allerdings als Meinung der hier in Verantwortung stehenden Politik, die diese Auffassung verfassungsrechtlich nicht haben darf): Für Dich wären Verbesserungen, die für Dich greifen würden, als Spatz in der Hand besser als die ewgie Taube auf dem Dach - allerdings muss die verantwortliche Politik verfassungsrechtlich den Spatz fliegen lassen und sich um die Taube auf dem Dach kümmern, und zwar nicht in aller Ewigkeit, sondern jetzt. Und sofern sie das täte, so darf man (nicht nur) bei dieser Regierung vermuten, stiegen sich die verschiedenen Regierungspartner gegenseitig ziemlich auf's Dach, sodass die Taube sich ein anderes Dach suchte. Die verantwortlichen Politiker haben sich selbst in eine ziemlich auswegslose Situation hineinmanövriert - und nun muss sich zeigen, wie sie weiterhin damit umgehen. Zu vermuten ist, dass sie weitermachen wollen wie zuvor. Die damit verbundene Fallhöhe hat sich aber für sie seit letztem Mittwoch deutlich vergrößert. Schauen wir mal, was Karlsruhe der Bundesregierung hier kurz vor Weihnachten präsentieren wird:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-104.html

Und hier:

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-060.html
Art. 41 Abs. 2 GG lautet: Gegen die Entscheidung des Bundestages ist die Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht zulässig.
§ 48 BVerfGG lautet:
(1) Die Beschwerde gegen den Beschluß des Bundestages über die Gültigkeit einer Wahl, die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl, soweit sie der Wahlprüfung nach Artikel 41 des Grundgesetzes unterliegen, oder den Verlust der Mitgliedschaft im Bundestag kann der Abgeordnete, dessen Mitgliedschaft bestritten ist, eine wahlberechtigte Person oder eine Gruppe von wahlberechtigten Personen, deren Einspruch vom Bundestag verworfen worden ist, eine Fraktion oder eine Minderheit des Bundestages, die wenigstens ein Zehntel der gesetzlichen Mitgliederzahl umfaßt, binnen einer Frist von zwei Monaten seit der Beschlußfassung des Bundestages beim Bundesverfassungsgericht erheben; die Beschwerde ist innerhalb dieser Frist zu begründen.
(2) Das Bundesverfassungsgericht kann von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn von ihr keine weitere Förderung des Verfahrens zu erwarten ist.
(3) Erweist sich bei Prüfung der Beschwerde einer wahlberechtigten Person oder einer Gruppe von wahlberechtigten Personen, dass deren Rechte verletzt wurden, stellt das Bundesverfassungsgericht diese Verletzung fest, wenn es nicht die Wahl für ungültig erklärt.

Die Verhandlungsgliederung:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Downloads/DE/Verhandlungsgliederungen/Wahlpr%C3%BCfungsbeschwerde_Bundestag_mv.pdf?__blob=publicationFile&v=3

maxg

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8360 am: 18.11.2023 19:31 »
[...] allerdings muss die verantwortliche Politik verfassungsrechtlich den Spatz fliegen lassen und sich um die Taube auf dem Dach kümmern, und zwar nicht in aller Ewigkeit, sondern jetzt. [...]
Die verantwortlichen Politiker haben sich selbst in eine ziemlich auswegslose Situation hineinmanövriert - und nun muss sich zeigen, wie sie weiterhin damit umgehen. Zu vermuten ist, dass sie weitermachen wollen wie zuvor. Die damit verbundene Fallhöhe hat sich aber für sie seit letztem Mittwoch deutlich vergrößert. Schauen wir mal, was Karlsruhe der Bundesregierung hier kurz vor Weihnachten präsentieren wird:
[...]

Geschätzter Schreiber SwenTanortsch,
ich danke für deine Einschätzungen und Bewertungen, die ich weitestgehend teile, aber ich glaube hier liegst du falsch. Keineswegs "muss die verantwortliche Politik" sich "jetzt" um die Lösung kümmern, sondern sie 'müsste' es. Denn wenn sie es nicht tut (weil sie es nicht finanzieren kann), gibt es keine 'Strafe' dafür. Dies gilt zumindest für die Bundesbeamten, da dort ja nicht einmal ein Verfahren anhängig ist.
Nach der 60 Mrd - Lücke habe ich (für den Bund) keinerlei Hoffnung auf einen wesentlichen Schritt zur verfassungskonformen Besoldung in dieser Wahlperiode; und die neue Regierung danach wird auch viele andere Dinge auf der höchsten Priorität haben.
Analog zur zeitlich anderen Einschätzung liege ich auch zu der "Fallhöhe" bei der Bewertung, dass die jetzt amtierende Bundesregierung den 'Aufprall' (um im Bild zu bleiben) nicht mehr erleben wird.
Also kann ich BMI und BMF (rational) verstehen, wenn sie tricksen und/oder nichts Wirksames zustande bringen.
Dass sie damit einen immer größer werdenden Schaden am Staatsgefüge anrichten, unterstelle ich dabei als billigend in Kauf genommen. Das ist natürlich empörend, aber es sind halt Pragmatiker, die uns regieren und keine Rechtsphilosophen ...
Und damit stimme ich Knecht zu, lieber ein wenig Verbesserung als gar keine. Auch, wenn es mich selbst ankotzt! (sorry)
PS: Es ist "der" BDZ  ;)

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8361 am: 19.11.2023 10:26 »
Stimmt, es heißt der BDZ, da das "B" für "Bund" steht, auch wenn sich die Gewerkschaft heute so nicht mehr nennt.

Zugleich stimme ich Dir hinsichtlich des Regierungspragmatismus zu, Max, wenn auch nur auf den ersten Blick: Denn die philosophisch respektable Denkschule des "Pragmatismus" wird ja heute weiterhin von vielen Politikern in Beschlag genommen, wenn sie ihr eigenes Handeln betrachten oder beschreiben, wobei ihr Handeln dann eben gerade nicht pragmatisch ist, sofern man die Begründer und also Autoren der Schriften des Pragmatismus ernst nimmt, da sie allesamt ihr Verständnis von "Pragmatismus" in den Dienst der Demokratie stellten, während "Pragmatismus" heute politisch (ver)einfach(t) meint: "Geht nicht anders. Muss so sein" - politischer Pragmatismus meint heute in einem hohen Maß an Fällen: "Alternativlosigkeit". Es geht dann also gar nicht um "Pragmatismus", sondern um Ideologie - denn wer nun unter dem Blickwinkel einer postulierten "Alternativlosigkeit" davon spricht, "pragmatisch" sei das nicht anders möglich, nimmt den Pragmatismus als kluge philosophische Denkschule nur für sich in Beschlag, um damit ein gerade nicht "pragmatisches" Handeln (im Sinne dieser Denkschule) zu rechtfertigen.

Und damit wären wir eben wieder beim (Verfassungs-)Recht und also bei der Frage nach Konjunktiven und Indikativen, also wenn Du schreibst "Keineswegs 'muss die verantwortliche Politik' sich 'jetzt' um die Lösung kümmern, sondern sie <müsste> es. Denn wenn sie es nicht tut (weil sie es nicht finanzieren kann), gibt es keine <Strafe> dafür", und wenn Du damit stellvertretend für diese die herrschende Sicht von Regierungen und Parlamenten in allen 17 Rechtskreisen auf den Punkt bringst, dann gehst Du meiner Meinung nach genauso in die Irre wie die entsprechend handelnden Politiker. Denn verfassungsrechtlich gibt es hier keinen "Pragmatismus", sondern nur eine tatsächliche verfassungsrechtliche Alternativlosigkeit, die als solche nicht einer philosophischen Denkschule oder deren ideologischen Verbrämung entspringt, sondern aus Art. 20 Abs. 3 GG, nämlich dass die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist - ergo: Hier gibt es den von Dir beschriebenen Konjunktiv nicht: Bundesregierung und Bundestag haben die verfassungswidrigen Rechtslage der Bundesbesoldung in der Vergangenheit anerkannt und sie sind jetzt und zu keinem anderen Zeitpunkt dazu verpflichtet, diese nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Rechtslage zu beenden. Darüber gibt es verfassungsrechtlich keine Diskussion und damit kann es im Rahmen des Grundgesetzes auch keine politische Diskussionen darüber gehen: Die verfassungsrechtliche Bindung an das Grundgesetz kann der Gesetzgeber nur abschütteln, indem er das Grundgesetz abschüttelt. Darüber hinaus hat er jederzeit das Recht, das Grundgesetz mit einer Zwei Drittel-Mehrheit zu ändern, wenn er das politisch als nötig erachtet.

Damit verbliebe zunächst einmal nur die temporale Frage, was der Begriff "jetzt" meint - und auch diese Frage ist einfach zu beantworten: Spätestens mit dem Gesetzentwurf aus dem Februar 2021 hat die damalige Bundesregierung den verfassungswidrigen Gehalt des Bundesbesoldungsgesetzes anerkannt; der Bundestag und der Bundesrat sind ihr wenige Monate später in dieser begründeten Sicht auf die Dinge gefolgt. Verfassungsrechtlich meint "jetzt" also: Seit spätestens dieser Zeit sehen sich die Verfassungsorgane gezwungen, den verfassungswidrigen Gehalt der Bundesbesoldung abzustellen. Dabei konnte die im Sommer 2021 gegebene Garantie, dass kein Widerspruch nötig sei, um vorhandene Ansprüche aufrechtzuerhalten, allenfalls eine kurzfristige Rechtskonstruktion gewesen sein, da ja die Besoldung verfassungsrechtlich so ausgestaltet sein muss, dass sie dem Beamten und seiner Familie es ermöglicht, ihren täglichen Bedarf zu decken - nicht erst in Anbetracht der besonderen Situation, in der wir uns coronabedingt bereits 2021 befunden haben und in der wir uns spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit den extremen Folgen nicht zuletzt die Verbraucherpreise betreffend befinden, konnte die schon im Sommer 2021 allenfalls zweifelhafte Hilfskonstruktion keinerlei Gewähr mehr bieten, dass die Einschränkung von grundrechtsgleichen Individualrechten von Bundesbeamten, die sich als solche in einem Sonderrechtsverhältnis befinden, als deren Folge sich ihre aus dem Alimentationsprinzip enspringenden entsprechenden Rechte als besonders schutzwürdig erweisen, sich vor der Verfassung rechtfertigen ließe bzw. gelassen hätte - dazu hat das Bundesverfassungsgericht übrigens in der aktuellen Entscheidung eine ähnliche Präzedenz hervorgehoben, letztlich zurückgehend auf das Verhältnismäßigkeitprinzip, wenn es ausführte:

"Je länger die von ihm [dem Haushaltsgesetzgeber; ST.] diagnostizierte Krise anhält und je umfangreicher der Gesetzgeber notlagenbedingte Kredite in Anspruch genommen hat, desto detaillierter hat er die Gründe für das Fortbestehen der Krise und die aus seiner Sicht fortdauernde Geeignetheit der von ihm geplanten Maßnahmen zur Krisenbewältigung aufzuführen. Er muss insbesondere darlegen, ob die von ihm in der Vergangenheit zur Überwindung der Notlage ergriffenen Maßnahmen tragfähig waren und ob er hieraus Schlüsse für die Geeignetheit künftiger Maßnahmen gezogen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn notlagenbedingte Kreditmittel entgegen der ursprünglichen Haushaltsplanung und dem konstitutiven Beschluss nach Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG nicht oder nicht in voller Höhe benötigt worden sind." (Rn. 200)

Nun lässt sich diese die Haushaltsgesetzgebung betreffende Rechtsfigur offensichtlich nicht so ohne Weiteres auf die Besoldungsgesetzgebung übertragen - sie zeigt aber offensichtlich ein generelles Prinzip auf, das eben auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip zurückgeführt werden kann: Je länger die schon 2021 gegebene Krise angehalten hat, desto mehr wäre auch der Besoldungsgesetzgeber im weiterhin andauernden Gesetzgebungsverfahren mindestens gezwungen gewesen, sachlich zu begründen, wieso er den eingestandenen verfassungswidrigen Gehalt der Bundesbesoldung nicht behübe, wozu er jederzeit die Möglichkeit hatte und weiterhin hat. Eine solche Begründung wäre ihm ggf. vielleicht noch im Verlauf des Jahres 2021 gestattet gewesen. Spätestens aber im Verlauf des Jahres 2022 kann sich das Handeln von Bundesregierung und Bundestag nicht mehr verhältnismäßig begründen lassen - unabhängig davon, dass ein solcher tiefergehender Begründungsversuch gar nicht erst versucht worden ist.

Insofern ist der von Dir hervorgehobene Konjunktiv sachlich falsch und beruht dessen Begründung auf einer sachlich ebenfalls falschen Rückführung auf einen Vulgärpragmatismus, der nicht die Verfassungslage in der Bundesrepublik betrachtet (beziehe diese deutlichen Begriffe nicht auf Dich und als Kritik an Dir; denn so sind sie nicht gemeint, sie sollen nicht Dich kritisieren, sondern eine mögliche bzw. hier unmögliche Rechtfertigung des Handelns unserer höchsten Verfassungsorgane in den Blick nehmen) und sich also am Ende "pragmatisch" darauf stützt, dass, sofern der Bundestag und Bundesrat dem verfassungswidrigen Gehalt der Bundesbesoldung nicht jetzt abhelfen, weil sich das mit dem vorgeschützten Argument kaschieren ließe, dass es sich nicht finanzieren ließe, "es keine 'Strafe' dafür" gebe.

Denn dieses Argument ließe sich zunächst auf jedes verfassungswidrige Handeln der höchsten Verfassungsorgane beziehen: Andreas Voßkuhle hat das in der aktuellen ZEIT (No 48, S. 8 ) wie folgt gefasst:

"Ansonsten bleibt es dabei, dass Verfassungsgerichte über keine 'Truppen' verfügen. Sie sind von Natur aus schutzlos. Sie müssen durch die Qualität ihrer Entscheidungen überzeugen, durch ihr Funktionieren im rechtlichen Alltag - und durch die Persönlichkeit der Richterinnen und Richter."

Denn er führt nun drei Argumente an, die dem Vulgärpragmatismus entgegenstehen, und zwar:

1. Die Qualität von bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen, die also meint: Die Qualität der Begründungen von bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen. Hier geht es also um Rationalität. Die Begründung muss rational überzeugend sein, d.h. das Verfassungsrecht präzise anwenden und in der Anwendung erst vollziehen, und zwar sprachlich so, dass das verständlich wird oder bleibt. Darin liegt die Qualität von Entscheidungen begründet.

2. Ein auf den Pragmatismus von James', Peirce und Dewey zurückzuführendes Handeln, das also die Entscheidungen im rechtlichen Alltag funktionieren müssen, also handhabbar sein müssen und es eben nicht um Entscheidungen im luftleeren Raum geht, wie man das dem klassischen Rechtspositivsmus vorwerfen musste, von dem sich das Bundesverfassungsgericht im Laufe seines Bestehens dezidiert abgesetzt hat, indem es die Verfassung als "living constitution" begreift und also methodisch einen Dreiklang der Auslegung betreibt: Das Grundgesetz wird erstens als eine Einheit begriffen, also als Ganzes betrachtet, Grundrechte werden zweitens als juristischer Ausdruck von Werten begriffen und drittens in die gegebene soziale Wirklichkeit eingebettet. Hier liegt nun ein auch pragmatisch begründetes Verfassungsverständnis zugrunde, das aber eben ob seiner theoretischen Fundierung gerade kein Vulgärpragmatismus ist.

3. Die persönliche Integrität der Richterinnen und Richter, aus der im Kontext der beiden ersten von Andreas Voßkuhle genannten Faktoren personale Autorität entspringt und die also auf personelle Zuverlässigkeit und Unabhängigkeit basiert und so Vertrauen mitbegründet und erhält.

Da nun also das Bundesverfassungsgericht über keine "Truppen" verfügt, liegt seine Fähigkeit zu strafen, die Du ihm mehr oder minder deutlich absprichst, indem Du hervorhebst, dass das wissentlich und willentliche, also zielgerichtete Handeln des Besoldungsgesetzgebers keine "Strafe" gewärtigen müsste, in genauem jenem Feld der drei genannten Faktoren begründet:

1. Der geneigte Leser von Gesetzesbegründungen kann diese mit den Entscheidungsbegründungen des Bundesverfassungsgerichts vergleichen (oder sich das medial aufbereiten lassen, was zu kaum einem anderen als dem nachfolgend skizzierten Ergebnis führte); sofern jener Vergleich wiederkehrend in deutlicher Form zuungunsten des Gesetzgebers und damit i.d.R. mittelbar der Regierung ausfällt, geht damit mittel- und langfristig ein Autoritätsverlust des Gesetzgebers, aber eben auch der Regierung einher. Das darf man als eine Strafe begreifen, wenn man "Strafe" lerntheoretisch im Sinne operanter Konditionierung begreift, also als einen negativen Reiz, der einsetzt, bzw. einem positiven, der aussetzt.

2. Ein Vulgärpragmatismus, der sich am Ende nur noch auf das Ausrufen von "Alternativlosigkeit" berufen kann, zeigt sich im politischen Tagesgeschäft als dauerhaft nicht funktional (während Andreas Voßkuhle politische Funktionalität als Folge des hier pragmatisch begriffenen Verfassungsverständnisses hervorhebt), da er genau das torpediert, worum es im politischen Handeln geht, nämlich die Suche nach Alternativen, deren Begründung und Konkurrenz, um so ein Erfolg versprechendes politisches Handeln erzeugen zu können; zeigt sich ein politisches Handeln dem nicht gewachsen, indem es Führung durch Tricksereien ersetzt, führt auch das zum Autoritätsverlust, den man dann als Strafe begreifen kann (denn ohne Verfassungsgericht würde die Trickserei nicht als solche entlarvt werden, sondern bliebe der Vorwurf der Trickserei grundsätzlich nur eine Behauptung, und zwar in der Regel "nur" des politischen Gegners oder von Medien, die ebenfalls Sichtweisen oder Meinungen präsentieren, aber anders als ein Verfassungsgericht nicht die Autorität, abschließender Entscheidungen vollziehen zu können, haben: entsprechend wirken Entscheidungen wie die vom letzten Mittwoch wie eine Bestrafung, da ein negativer Reiz, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und deren Begründung, einsetzt).

3. Als Folge der gerade genannten Faktoren muss schließlich auch die personale Autorität eines Politikers oder einer Partei oder Regierung leiden, wenn ihnen wiederkehrend so deutliche Verfassungswidrigkeiten vom Bundesverfassungsgericht attestiert werden, wie das letzten Mittwoch der Fall gewesen ist. Auch das darf man als "Bestrafung" begreifen, die sich also die jeweils so politisch Handelnden selbst zufügen.

Insofern kann ich die "Verbesserung", die Du in dem derzeit vorliegenden Gesetzentwurfs siehst, aus Sicht dessen, der am Ende davon beteroffen ist - also z.B. aus Knechts oder Deiner Sicht -, nachvollziehen, da er oder in diesem Fall ihr so monetär etwas besser gestellt wird/werdet - eben der Spatz in der Hand -; sowohl rechtsphilosophisch als auch politisch kann ich darin keinerlei Verbesserung sehen, auch keine Rationalität erkennen, sondern nur ein Handeln, dass dauerhaft betrieben selbstzerstörerisch wirken muss und also allenfalls als eine Scheinrationalität zu betrachten wäre, die nämlich vor allem eines tut: echte Debatten verhindert und sowohl paternalistisch als auch aus Bequemlichkeit heraus das Wahlvolk verschaukelt, was am Ende den Krebsgeschwüren einer Demokratie mehr Raum bietet, als das sinnvoll sein dürfte. Rechtsradikale Parteien hatten in den 1970er Jahren auch deshalb bei Wahlen in der Bundesrepublik weitgehend keine Chancen, weil hier Politik tatsächlich um alternative (Lebens-)Formen miteinander gerungen hat, sodass die Bevölkerung, da sie sich von den zur Wahl stehenden Alternativen betroffen zeigte, keine Veranlassung hatte, ihre Stimmen an politische Sektierer zu verschenken, sodass die großen Parteien weiterhin Volksparteien geblieben sind. Das hat sich in den 1980er Jahren streckenweise bereits verflüchtig, was sicherlich auch mit der Art und Weise, wie die Kohlregierung Politik betrieben hat, zu tun hatte - ein nachfolgend wiederkehrend von "Basta-" und von "Alternativlosigkeits"-Behauptungen getragenes Politikverständnis der Regierenden hat sie dann bereits in den 2000er Jahren in den Augen eines immer größer werdenden Teils der Bevölkerung zu Herrschenden gemacht, um sich von der überkommenen Parteiendemokratie abzuwenden und Sektierern und politischen Spinnern zuzuwenden, deren clowneskes Handeln man gerade Ende der letzten Woche wieder beobachten konnte, wenn man abends beim Kochen Bundestagsdebatten auf dem Deutschlandfunk gehört hat - und wenn das für einen als ernsthaft zu verstehenden Politiker nicht Strafe genug ist, dann weiß ich auch nicht weiter.

Ergo: Ich bin in vielem von dem, was Du schreibst, einer anderen Meinung - das tut aber der Sympathie und Debattenfreude keinen Abbruch. Es ist richtig und gut, dass wir unterschiedliche Sichtweisen auf die Dinge haben und die auch miteinander austragen: Die Gesellschaft steht vor deutlichen Umbrüchen, die Chancen beinhalten und Ängste auslösen - die paternalistischen Sedierungstendenzen auch eines Olaf Scholz, die ich als Machtstrategie verstehen kann (Kanzlerschaft bedeutet ja fast automatisch eine Politik der ruhigen Hand und ist also kein Charakterfehler), tun dem Land nicht gut und haben uns auch aus der Zeit der Vorgängerin, für die m.E. bis hin zu dem, was in der letzten Klammer steht, das gleiche galt, dahin gebracht, wo wir heute stehen - und das ist kein erfreulicher Zustand.

Knecht

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« Antwort #8362 am: 19.11.2023 11:45 »
Ich bin immer wieder fasziniert von deinem Fachwissen und deinen Ausführungen, Swen. Vielen Dank dafür.

Am Ende muss man sich soviel Theorie, bzw. die Hoffnung auf sein (theoretisches) Recht, was wohl auf absehbare Zeit in dieser Form nicht eintreten wird, aber auch leisten können. Ich bin mir sicher, für dich und viele andere hier stellt dies kein Problem dar.

Einige andere, darunter zähle ich auch mich, könnten den Spatz samt Nachzahlung in der Tat gut gebrauchen.

Ich bin also ebenfalls weiterhin der Meinung, dass es sich bei so ziemlich allem was diese Regierung tut, insbesondere auch beim Thema Besoldung, um eine absolute Bankrotterklärung handelt, muss aber aus rein pragmatischen Gründen dennoch darauf hoffen, dass zumindest dieser (wenn auch verseuchte) Spatz bei mir einzieht.

lotsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8363 am: 19.11.2023 11:55 »
Ich finde Swen sieht das ein wenig zu blauäugig, wenn er denkt die "Bestrafung" der Parteien und Politiker durch das BVerfG wären wirksam, und ja es gibt einen direkten Zusammenhang des Urteils vom Mittwoch mit den ausstehenden Urteilen zur Beamtenbesoldung. Die Gesetze waren nach meiner Meinung alle wissentlich und vorsätzlich verfassungswidrig.
Gerade diese wissentliche und vorsätzliche Verfassungswidrigkeit wird jedoch in der Öffentlichkeit kaum diskutiert und kommentiert, sondern einfach so als Teil des "Spiels" hingenommen. Keine Partei oder irgendein Politiker wird dafür irgendwie gemaßregelt. In der Presse wird munter diskutiert, wie schädlich die Schuldenbremse ist, wie teuer das Urteil ist,  und führende Politiker schlagen vor die Schuldenbremse 2023 und 2024 auszusetzen, was nur in Notfällen und Katastrophen möglich ist, und was absehbar schon wieder wissentlich und vorsätzlich verfassungswidrig wäre. So stelle ich mir das auch nach dem erwarteten Urteil des BVerfG zur Beamtenbesoldung vor. Keinen Menschen wird es interessieren, dass wissentlich und vorsätzlich betrogen wurde. Alle werden darüber reden, wie teuer das Urteil für den Bund, Länder und die Kommunen ist, dass das Beamtentum viel zu teuer ist und man über Grundgesetzänderungen nachdenken sollte, und man wird sich schnell daran machen neue wissentlich und vorsätzlich verfassungswidrige Gesetze zu entwerfen.

Bundi

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8364 am: 19.11.2023 12:32 »
@Knecht

Kann deinen Standpunkt voll nachvollziehen.
Gehöre sicher auch zu der Klientel die es such sicher  eher leisten kann wie du es beschreibst. Auch ich sehe die vielen Betroffenen in den unteren BesGrp für die es eben nicht so einfach ist. Und wenn ich mir dann noch vor Augen führe das dieselben Gesetzgeber diese dann im Fall der Bw in lebensgefährliche Einsätze entsenden ohne ihnen die verfassungsgemäße Alimentation und damit auch den ihnen zustehenden Respekt zu gewähren wird es mir schlecht und ich könnte mich übergeben.

@ lotsch

Sehe es ähnlich wie Sie auch wenn ich Swen nicht als  blauäugig bezeichne. Swen bringt es formal auf den Punkt und seine Bewertung ist immer wieder eine Freude zu lesen. Leider werden sich die Politiker in der von ihnen angenommenen Alternativlosigkeit nicht von formal juristischen Analysen und Bewertungen zu einem verfassungsgemäßen Handeln inspirieren lassen. Und da komme ich wieder zu der von Batis angeführten Verfassungskrise. Die Gesetzgeber ignorieren unisono die Verfassung auf der unser Staat ruht.
Was mich umsomehr frustriert als die mir evtl zustehende höhere Besoldung.
Es erschreckt mich zutiefst das der BT, BPräs und die anderen politisch in Verantwortung befindlichen in den Bundesländern sich allesamt von der Verfassung gelöst haben.
Und wenn ich mir vorstelle das sich nach und nach mehr Beamte, wie ich es mittlerweile auch ab und an tue von der eigentlich zu erwartenden Treue zum Dienstherrn verabschiede wird mir Angst was das ab einem gewissen Punkt für unseren Staat bedeutet. Habe ja selber mal geschrieben wünschte mir das Streikrecht für uns, wobei das sicher ähnlich fatal wirken könnte für unsere innere Sicherheit etc. Jedoch hege ich die Hoffnung das ein konvertierte Streik von Beamten die Gesetzgeber wach rütteln  könnte, nachdem ganz offensichtlich alle anderen Optionen die Gesetzgeber auf den Pfad der Verfassung zurückzuführen ohne Ergebnis sind.

@Swen

Erneut vielen Dank für deinen Beitrag.
« Last Edit: 19.11.2023 12:40 von Bundi »

InternetistNeuland

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8365 am: 19.11.2023 12:39 »
Sollte am Ende des Tages wirklich nicht genug Geld übrig sein dann dürfte dennoch nicht ausschließlich beim Personal eingespart werden. Sämtliche Haushaltspunkte müssten gleichmäßig gekürzt werden um dann neu aufgeteilt zu werden. Sollten unsere Forderungen z.b. nur zu 75% finanziert werden können so müssten sämtliche andere Haushaltspunkte auch auf 75% gekürzt werden.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8366 am: 19.11.2023 13:30 »
Ich bin immer wieder fasziniert von deinem Fachwissen und deinen Ausführungen, Swen. Vielen Dank dafür.

Am Ende muss man sich soviel Theorie, bzw. die Hoffnung auf sein (theoretisches) Recht, was wohl auf absehbare Zeit in dieser Form nicht eintreten wird, aber auch leisten können. Ich bin mir sicher, für dich und viele andere hier stellt dies kein Problem dar.

Einige andere, darunter zähle ich auch mich, könnten den Spatz samt Nachzahlung in der Tat gut gebrauchen.

Ich bin also ebenfalls weiterhin der Meinung, dass es sich bei so ziemlich allem was diese Regierung tut, insbesondere auch beim Thema Besoldung, um eine absolute Bankrotterklärung handelt, muss aber aus rein pragmatischen Gründen dennoch darauf hoffen, dass zumindest dieser (wenn auch verseuchte) Spatz bei mir einzieht.

Danke für Deine Worte, Knecht, über die ich mich freue! Und zugleich ist es genauso, wie Du schreibst und was wirklich bitter ist: Ich kann mir hier erlauben, die Taube auf dem Dach zu fordern (nicht zuletzt auch, weil ich ja kein Bundesbeamter bin) - und für andere ist nicht richtig, was ich hier sage oder mache, weil es ggf. mit dazu führt, dass es länger dauert, bis der Spatz in der Hand kommt. Insofern habe ich mehrmals wiederholt, was ich so sehe, wie ich es schreibe: Es steht mir nicht an, andere und also auch Dich oder auch Max dafür zu verurteilen, dass ihr froh seid, wenn ihr denn endlich den Spatz in der Hand bekommen werdet. Was mich aber dabei echt ärgert und ein Grund ist, wieso ich mich recht tief in das Thema hineinknie, ist: Gerade für euch wäre die Taube auf dem Dach viel wichtiger, weil das dann tatsächlich eine echte und auch, weil versorgungswirksam, nachhaltige Verbesserung wäre. Mir kocht regelmäßig die Galle, wenn ich vonseiten von Politikern höre, dass es wichtig sei, die unteren Besoldungsgruppen besonders zu stärken, nur um dann eine amtsangemessene Alimentation gezielt auch für sie zu hintertreiben. Das ist ähnlich (wenn mir hier die Galle auch nicht so kocht; ich mich dann aber frage, wie man das vor seinem inneren Auge übereinbekommt), wenn ich Gesetzesbegründungen lese, die besonders darauf achten, sprachlich niemanden zu diskriminieren, um dann Regelungen zu normieren, die am Ende die Betroffenen massiv diskriminieren. Dazu muss man nach meinem Empfinden politisch schon ganz schön gaga sein, da man wohl glaubt, dass niemand der Diskriminierten es merkte, dass er sprachlich gewertschätzt diskriminiert wird. Zugleich hintertreibt solches Handeln genau das Ziel, das sich vordergründig auf die Fahnen geschrieben wird: Diskriminierungen abzubauen.

Insofern hoffe ich für Dich, dass der Spatz nun hoffentlich bald kommt, wenn ich auch weiterhin versuchen werde, im kleinen Rahmen dazu beizutragen, dass die Taube vom Dach dahinkommt, wo sie hingehört.

@ lotsch

Wie gestern geschrieben: Die Mühlen der Justiz mahlen langsam - insofern hast Du völlig Recht, auch hinsichtlich dessen, was Du im zweiten Absatz schreibst, dass viele der auch in den Medien geführten Diskussionen wiederkehrend am Kern des eigentlichen Problems vorbeigehen. Und doch greifen, denke ich, die drei Gegenüberstellungen (Begründungsqualität vs. Begründungschaos; politische Funktionalität vs. politischem Anarchismus; persönliche Integrität vs. personaler Gauklerei), die ich am Zitat Andreas Voßkuhles festgemacht habe: Nicht umsonst ist das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts in der Bevölkerung regelmäßig deutlich höher als das von anderen Verfassungsorganen sowie Parteien und Politikern. Die "Bestrafung", die von solchen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen wie bspw. jenem vom letzten Mittwoch oder auch zur Parteienfinanzierung - Absolute Obergrenze vom Anfang des Jahres (die allesamt lerntheoretisch als Bestrafung wirken, juristisch aber keine sind) ausgehen, zeigt sich in den Autoritätsverlusten der entsprechend betrachteten Politiker, die mit solchen Entscheidungen verbunden sind. Diese Wirkung zeigt sich zwar nicht unmittelbar, aber hat einen mindestens mittelbaren Charakter, was sich zunächst einmal lerntheoretisch zeigen lässt.

Denn im Sinne der operanten Konditionierung nach Skinner ist ja die Verhaltenskette wie folgt:

Der Proband zeigt ein Verhalten, im Anschluss setzt ein von ihm als unangenehm empfundener Reiz ein, der also ein negativer Verstärker ist, was von jenem Probanden als Bestrafung empfunden wird und dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit, dieses ursprüngliche Verhalten zu wiederholen, sinkt.

Betrachtet man nun die Entscheidung vom letzten Mittwoch, so liegt hier nun lerntheoretisch eine Bestrafung des Bundeskabinetts und der Regierungsparteien vor, die Entscheidungsbegründung als als unangenehm empfundener Reiz setzt ein, was eben lernetheoretisch (aber nicht juristisch) eine Bestrafung ist - zugleich ist es nun lerntheoretisch (und weiterhin nicht die Sache betreffend) völlig unerheblich, was die Medien im Detail über die Entscheidung schreiben: Es reicht allein schon, dass sie darüber schreiben (also weiterhin nicht sachlich, sondern lerntheoretisch betrachtet).

Denn jedes Schreiben bedingt nun fast automatisch als Folge des ursprünglichen negativen Verstärkers der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung das Einsetzen eines als unangenehm empfundenen Reizes oder auch das Aussetzen eines vormals gezeigten angenehmen Reizes (wie bspw. ein respektvollerer Ton, mit dem das Handeln der der Entscheidung Unterworfenen zuvor medial beschrieben wurde und der sich so nun nicht mehr findet), was eben als Bestrafung empfunden wird und also die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass vormalige Verhalten so nicht mehr zu zeigen, was bedeutet (jetzt entfernen wir uns vom operanten Konditionieren und kommen zu anderen Lerntheorien, die hier aber nicht ausgeführt werden müssten): Kognitiv werden sich die Regierungsfraktionen nun eher vorsichtiger verhalten als zuvor, da das mediale Echo und damit die Chancen auf Wählerstimmen (bei zunehmend näher rückenden Wahlen) mit einkalkuliert wird - damit will ich jetzt sicherlich nicht behaupten, dass daraus nun sogleich eine neue Gesetzgebung und also eine amtsangemessene Alimentation erfolgte (das wäre tatsächlich blauäugig). Aber solche Entscheidungen wie insbesondere die vom letzten Mittwoch tun Regierungen und den sie stützenden Parteien und Fraktionen richtig weh, da sie in Erinnerung bleiben. Das wiederum führt regelmäßig (nun sind wir bei kognitiven Lerntheorien) dazu, dass sich Veränderungen eher anbahnen können. Denn der einzelne Abgeordnete kalkuliert ja ebenfalls die Chancen seiner Wiederwahl - insbesondere, wenn der Wahltermin näher rückt - und wird ggf. intern eher bockig(er) auf Ideen und Vorstellungen eines Kabinetts reagieren, wenn er damit rechnen darf, dass es ihm danach sein eigenes Ergebnis verhageln könnte.

In diesem Sinne habe ich geschrieben, dass die Fallhöhe sich für die politisch Verantwortlichen nun vergrößert hat. Zu oft kann sich keine Regierung solche Klatschen erlauben, schon gar nicht in der zweiten Hälfte einer Legislaturperiode - und genauso wenig kann sich eine Regierung auch nicht erlauben, mit mindestens halbgaren Gesetzentwürfen den regelmäßigen Weg in die Medien zu finden, was - denke ich - für wiederholt als verfassungswidrig nachgewiesene Gesetzentwürfe nicht minder gelten dürfte. Insofern wird man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun auch im Hinblick auf ein geplantes BBVAnpG parlamentarisch noch einmal besonders im Hinterkopf behalten, da ja jeder Abgeordneter weiß, mit welchen Problemen das Gesetzvorhaben belastet ist. Das muss nun nicht zu Änderungen und kann ggf. sogar zu einem noch langsameren Tempo führen - das Thema bleibt aber bis auf Weiteres als offene Flanke bestehen. Die Medien und die Öffentlichkeit, aber ggf. auch die Opposition, die gerne aus solchen Themen politisches Kapital schlägt, dürften als Folge des letzten Mittwochs tendenziell eher aufmerksamer als weniger aufmerksam geworden sein - und allein das ist bereits eine "Bestrafung".

Diese Sicht auf die Dinge kann ich dabei nicht als "blauäugig" erkennen. Sie beschreibt nur Strukturen und versucht, sie zu begründen. Ob das dann alles so kommt, ist wie bei allen auf die Zukunft gerichteten Aussagen weitgehend eine Spekulation, aber in diesem Fall eben eine begründete. Wie sagte schon der gute alte Luhmann (als er noch lebte): Nicht die Menschen, sondern die Kommunikation kommuniziert - und das gilt in der Politik noch viel mehr. Die Medien sind in seiner Sicht auf die Dinge nur ein Hintergrundsrauschen, das rauscht, wobei es weitgehend unwichtig ist, wie es rauscht - allein dass es rauscht, macht die Sache politisch schwierig... So verstanden ist das, was Du im zweiten Absatz schreibst, hinsichtlich der Thematik sehr viel besser als nichts: Das Umfallen des Baums im Wald macht Krach, auch wenn keiner in der Nähe ist, der das hört (oder macht's dann doch kein Krach oder nur in Berkeley?).

@ Bundi

Danke für Deine Worte, über die ich mich erneute gefreut habe!
« Last Edit: 19.11.2023 13:36 von SwenTanortsch »

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8367 am: 19.11.2023 14:18 »
Ich verstehe diejenigen, die hier entsetzt sind über das Nichthandeln oder die Fahrlässigkeit und Nachlässigkeit des Bundestages. Mir wurde aber bisher zu wenig gewürdigt, was das BVerfG gerade getan hat. Es gab einen Gesetzentwurf, in dem aus 40Mrd mal schnell 100Mrd wurden, Trickserei ohne Ende.

Und was sagt das BVerfG? Der Entwurf ist nichtig. Das heißt, es stellt sich der Rechtszustand ein, wie er vor Verabschiedung des Gesetzes galt. Da hätte doch, wenn das eine oder andere Argument aus dem Forum in der Gericht gelangt wäre, eigentlich intern gesagt werden müssen: "Leute, es geht ums Klima, das können wir mit der Regierung so nicht machen, die brauchen das Geld, die 60Mrd können wir nicht einfach löschen". Und was passiert? Ich wiederhole: nichtig.

Wieso soll das bei der Beamtenbesoldung nicht analog laufen? (Damit mich keiner missversteht: Also die wird sicher nicht als nichtig erklärt, Ihr wisst schon, was ich meine.)   

xiuxiu

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8368 am: 19.11.2023 14:57 »
Laut Tagesspiegel dürfte die Umsetzung in 2024 konkret werden, da vom BMF vor der Bereinigungssitzung noch extra Mittel in Haushalt eingestellt wurden.

"Zur Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils von 2020, in dem letztlich eine bessere Vergütung im einfachen und mittleren Dienst verlangt wurde, sind jetzt 1,9 Milliarden Euro zusätzlich veranschlagt."

https://www.tagesspiegel.de/politik/eng-gestrickt-und-aus-karlsruhe-bedroht-nervoses-endspiel-um-den-bundeshaushalt-10778569.html

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #8369 am: 19.11.2023 15:30 »
https://www.tagesspiegel.de/politik/eng-gestrickt-und-aus-karlsruhe-bedroht-nervoses-endspiel-um-den-bundeshaushalt-10778569.html
Da steht: "Dass die Verfassungsrichter das Umbuchungsmanöver komplett kippen, gilt im Bundestag und unter Verfassungsjuristen als wenig wahrscheinlich."

Was ist passiert? Sie haben es komplett gekippt. Man sieht: Das BVerfG hat Zähne.