@Swen
Erneut vielen Dank für deine Kommentare und Einschätzungen. Diesbezüglich hätte ich eine Frage. Wie du ausführst, ist in keinem der anhängigen und hoffentlich bald zur Entscheidung anstehenden Verfahren das neue Doppelverdienermodell unserer Besoldungsgesetzgeber Thema bzw Gegenstand der Prüfung. Ich verstehe das dann so, diesbezüglich wird sich das BVerfG nicht auslassen bzw dies wird nicht Gegenstand der Prüfung und Entscheidungen sein. Verstehe ich das so richtig? Wenn dem so ist, kommt mir das Ganze fast wie das Hase und Igel Spiel vor. Die BesGesetzgeber müssten nur immer wieder neue noch nicht thematisierte bzw abhängige Modelle hinsichtlich der Besoldung erfinden diese begründen im Gesetzgebungsprozess um die Thematik der verfassungsgemäßen Alimentation immer weiter in die Länge zu ziehen bzw nie zu einem für uns Betroffene befriedigenden Ende kommen zu lassen. Ist diese meine Bewertung zutreffend ? Sollte die Frage absurd sein, so bitte ich um Nachsicht angesichts der Komplexität und Detailfülle fällt es zumindest mir schwer immer allen Aspekten vollumfänglich folgen zu können.
Nein, Deine Frage ist überhaupt nicht absurd, sondern vollauf berechtigt und eine der zentralen der kommenden Zeit, insbesondere nach den angekündigten Entscheidungen, Bundi.
Denn zunächst einmal haben wir es ja nach den Entscheidungen unabhängig von dem einheitlichen Weiterbestehen der gleichlautenden Interessen der 17 Besoldungsgesetzgeber nach möglichst hohen Personalkosteneinsparungen ebenso mit der dann weiter bestehenden normativen Kraft des Faktischen zu tun: Insbesondere die einheitliche und offensichtlich im Kern miteinander diskutierte Verrechtlichung des Doppelverdienermodells in den fünf Nordstaaten hat durch die Verständigung der Besoldungsgesetzgeber (bzw. der jeweiligen Landesregierungen) eine sich selbst stark stabilisierende Wirkung gefunden: Aus der Vereinbarung
alleine auszubrechen, dürfte jeden der Fünfen nicht ganz einfach werden. Dass der Senat nun genau drei der Nordstaaten nun in einem "Pilotverfahren" (vgl. die Rn. 3, 14 und 19 der gestern zitierten Entscheidung der Beschwerdekammer) betrachtet, könnte darauf hinweisen, dass man den konzertierten Charakter des Vorgehens nun in den Blick nimmt - wenn dem so kommt, dürfte das in der jeweiligen Begründung der Entscheidungen kaum so ausgesprochen (oder wenn nur an einer markanten Stelle), aber deutlich durch die Blume so angesprochen werden, um damit entsprechend konzertiertes Handeln in den Fokus zu stellen.
Die stark sich selbst stabilisierende Funktion der Verrechtlichung von (Un-)Recht lässt sich hier dabei besser als am Doppelverdienermodell an der Streichung unterer Besoldungsgruppen zeigen. Während bis zum Beginn des Jahres 2010 in allen Rechtskreisen mit Ausnahme von Thüringen die Besoldungsgruppe A 2 die unterste gewesen ist, haben sich seitdem folgende Veränderungen ergeben (vgl. den DÖV-Beitrag aus dem Jahr 2022, S. 206), die also die nachfolgend aufgelisteten Besoldungsgruppen zur untersten machten:
BW: 2011 A 5, 2023 A 7
BY: 2011 A 3, 2020 A 3/2
BE: 2012/13 (?) A 4, 2022 A 5
BB: 2014 A 4, 2022 A 5
HB: 2010 A 3, 2022 A 5
HH:2010 A 4
HE: 2014 A 4, 2016 A 5, 2023 A 6
MV: 2020 A 4
NI: 2017 A 2/2, 2019 A 5
NW: 2016 A 5
RP: 2012 A 3, 2017 A 4, 2022 A 5
SL: 2019 A 4
SN 2019 A 4, 2022 A 5
ST: 2011 A 4
SH: 2021 A 4, 2022 A 6
TH: 2015 A 6
Nicht wenige dieser Veränderungen wurden nicht hinreichend sachgerecht begründet und erfolgten also mit dem (verkappten) Ziel, scheinbar das Mindestabstandsgebot zu erfüllen, ohne substanzielle Personalkosten zu generieren, also die Grundgehaltssätze zu erhöhen.
Die so betrachteten Besoldungsordnungen A werden also - hierzu muss jede Novellierung im Einzelnen betrachtet werden - in nicht wenigen Fällen verfassungswidrig sein, da mit den jeweiligen Veränderungen eventuell das Mindestabstandsgebot erfüllt werden konnte, das jedoch nur durch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art 33 Abs. 5 GG, und zwar hier dem Abstandsgebot zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen. Entsprechend zu betrachtende Besoldungsordnungen A sowie entsprechend die jeweiligen Besoldungsordnungen B und R (ggf. auch W und C; aber das ist ein komplexer anderer Strang des Alimentationprinzips) des Besoldungsgesetzes zeigen sich dann also als verletzt; wir finden hier im Kern eine nicht sachgerecht Begründung der Ämterwertigkeit wieder, die es also zu korrigieren gilt.
Dabei darf vorausgesetzt werden, dass nun kein Besoldungsgesetzgeber einfach wieder zu der vormal novellierten Besoldungsordnung zurückkehren wird; denn das stände allein schon in den meisten Fällen im Widerspruch zu seiner im Gesetzgebungsverfahren hervorgehobenen Notwendigkeit der Veränderung der Besoldungsordnung, ließe sich also sachlich nicht rechtfertigen und führte dann ggf. gleich wieder oder fortgesetzt in die Verfassungswidrigkeit. Als Folge wird der Gesetzgeber also gezwungen sein, entweder eine neue konsistente Besoldungssystematik innerhalb der weiterbestehenden Besoldungsordnung mitsamt der gegebenen Besoldungsgruppen zu vollziehen, ohne also die Ämterwertigkeit neu zu begründen. Das dürfte möglich, aber durchaus sachlich kompliziert sein. Oder er würde eine neue Besoldungssystematik auf Basis einer Neubetrachtung der Ämterwertigkeit vollziehen (anders dürfte das sachlich kaum möglich sein), die dabei aber neben der Beachtung der beiden Abstandsgeboten mindestens ebenso das Laufbahnprinzip als einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums zu berücksichtigen hätte.
Und damit wären wir nun bei einer Antwort auf Deine Frage:
Zu beiden prinzipiellen Möglichkeiten, (1) Beibhehaltung der Besoldungssystematik und interne Neubemessung der jeweiligen Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen, ohne dabei an der Ämterwertigkeit zu rühren, oder (2) Erstellen einer neuen Besoldungssystematik auf Basis einer Neubewertung aller Ämter unter Beachtung der beiden Abstandsgebote und Berücksichtigung des Laufbahnprinzips, könnte man nun gleichfalls wieder sehr lange Texte schreiben (und müsste das auch, wenn man sie im Einklang mit den weiteren Konsequenzen betrachten wollte, die sich aus der Verfassung ergeben). Hinsichtlich Deiner Frage lässt sich aber mit Blick auf das Ergebnis zweierlei feststellen:
Zu 1: Da zuvor die Besoldungssystematik vom Senat vergangenheitsbezogen als verfassungswidrig verletzt betrachtet worden war, würde sich der Gesetzgeber mit der vergangenheitsbezogenen Veränderung aktuell dieselbe Besoldungssystematik geben, die also bis heute fortliefe. Denn er könnte die Besoldungssystematik eben nicht nur vergangenheitsbezogen heilen, ohne damit den Verfassungsbruch fortlaufen zu lassen (also bspw. für Niedersachsen: Er könnte nicht für den Zeitraum von 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 eine neue konsistente Besoldungssystematik erstellen, um dann 2024 und 2025 und darüber hinaus die alte fortlaufen lassen). Konkret bedeutete diese Alternative (1) also am Beispiel Niedersachsen: Die Besoldungsgruppe A 5 bliebe die unterste, auch die weiteren Besoldungsgruppen und Erfahrungsstufen würden identisch bleiben: Sie müssten nun jedoch Besoldungsgruppe für Besoldungsgruppe und Erfahrungsstufe für Erfahrungsstufe mit dem jeweiligen materiellen Gut ausgestattet werden, dass zukünftig die herrschende Ämterwertigkeit beachtet (und die verletzte der Vergangenheit jeweils sachgerecht geheilt) werden würde. Sofern der Gesetzgeber nun allerdings eine unbegründete Heilung vornehmen würde, also weiterhin - ob nun gezielt, um weiterhin verfassungswidrig Personalkosten einzusparen, oder verfassungsrechtlich ehrlichen Herzens, aber unzureichend ausgeführt - den verfassungswidrigen Zustand aufrechterhalten würde, müsste er - je nach der konkreten Karlsruher Vorgeschichte des Rechtskreises und der Art seines gescheiterten Heilungsversuchs - damit rechnen, dass sein Handeln vom Senat in Zukunft als einer Untätigkeit gleichkommend betrachtet und dann mit einer Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVErfGG belegt werden würde. Ein entsprechendes (verfassungswidriges) Handeln wäre also mit einem hohen juristischen und damit nicht minder hohen politischen Risiko verbunden, insbesondere weil Kalrsruhe nun angekündigt hat, die bald noch über 40 anhängigen Verfahren schneller und konsequent auszuurteilen. Die Neuordnung der bestehenden Besoldungssystematik ohne veränderte Betrachtung der Ämterwertigkeit dürfte möglich, aber schwierig und ggf. auch nur in einem engen Korridor an Möglichkeiten zu vollziehen sein und bedürfte folglich einiges an präziser juristischer Arbeit.
Zu 2: Durch das entsprechende Handeln, nun einer Ämterneubewertung vornehmen zu wollen (die also die Veränderung von Abständen zwischen vergleichbaren Besoldungsgruppen erlaubte) kann - je nachdem, wie es erfolgte und begründet werden würde - die Gefahr einer drohenden Vollstreckungsanordung hier ggf. leichter gebannt werden (sicher ist aber auch das nicht). Allerdings ist die Neubewertung sämtlicher Ämter, sofern sie verfassungskonform vollzogen werden soll, eine offensichtlich sehr komplexe Angelegenheit, die insbesondere deutlich teurer werden dürfte als die erste Alternative, nämlich spätestens dann, wenn sie schiefginge. Denn dann wäre weiterhin keine verfassungskonforme Heilung erfolgt, sodass weiterhin die Ansprüche derer, deren grundrechtsgleiches Individualrecht auf eine amtsangemessene Alimentation verletzt bleiben oder werden würde, zu heilen wären, und zwar nun innerhalb der neuen Besoldungssystematik, ohne dass eine Rückkehr zur überkommenen noch möglich wäre, da das dann im Widerspruch zur Begründung der Novellierung stehen dürfte. Die vollständige Neubewertung sämtlicher Ämter mit der Folge einer neuen Besoldungssystematik wäre also mit einem - auf's Ganze gesehen - hohem Risiko verbunden und sachlich noch einmal deutlich komplexer als die erste Alternative.
Der langen Rede kurzer Sinn I: Insbesondere die Rechtskreise, die in einem hohen Maße untere Besoldungsgruppen aus der Besoldungsordnung eliminiert haben, haben sich damit ein Problem aufgeladen, dass sie zukünftig mit hoher Wahrscheinlichkeit noch stark verfolgen wird - und zwar in einer Zeit, da der Fachkräftemangel in Deutschland auf lange Zeit mehr und mehr durchschlagen wird. Sie werden darüber hinaus davon ausgehen können, dass mit der weitgehend abgeschlossenen neuen Besoldungsdogmatik nun Karlsruher Entscheidungen deutlich schneller gefällt werden können als zuvor. Ihr Risiko, verfassungswidrig zu handeln, wird also für jeden Rechtskreis für sich zukünftig deutlich steigen dürfen, insbesondere für jene, über die das Damoklesschwert der Vollstreckungsanordnung schebt, also neben Niedersachsen vor allem Sachsen.
Der langen Rede kurzer Sinn II: Mit den anstehenden "Pilotverfahren" dürfte der Senat insbesondere ein zentrales Ziel verfolgen, nämlich mindestens einen der Besoldungsgesetzgeber aus dem Konzert des Verfassungsbruchs herauszubrechen, ihn also zu zwingen, wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren - wenn ich das richtig sehe, dürfte das Niedersachsen sein, das - sofern die Vorstellung einer Art "Faustpfands" schlüssig ist - im Verlauf der Zeitspanne, die ihm der Senat zur Heilung vorgeben wird, entweder in den Rahmen des Grundgesetzes zurückkehren könnte oder eben mittels des "Faustpfands" danach mit einer Vollstreckungsanordnung belegt werden würde oder könnte, der Ultima Ratio des Bundesverfassungsgerichts und der Worst Case für jeden (Besoldungs-)Gesetzgeber. Sobald einer der Besoldungsgesetzgeber in Bewegung gebracht wird, wird das gesamte System des konzertieren Verfasungsbruchs ins Wanken geraten, nicht nur, weil dann auch diese Gesetzgeber in Erklärungsnot kommen werden, sondern auch, weil sich der Rechtskreis, der wieder amtsangemessenen alimentieren wird, am Ende im Kontext des mehr und mehr durchschlagenden Fachkräftemangels einen gehörigen Vorteil gegenüber den anderen Rechtskreisen verschaffen wird: Für jenes Land dürfte bspw. der Fachkräftemangel im Bildungsbereich alsbald kein Problem mehr sein, wodurch die anderen Rechtskreise, denen das zu wenig vorhandene Gut an qualifizierten Lehrkräften darüber hinaus dann nur noch stärker entzogen werden wird, nur noch mehr unter Zugzwang geraten. Der Konkurrenzföderalismus mitsamt seiner Nachteile wird folglich nach und nach Wirkung entfalten, wenn einer der Konzertanten aus dem Orchester ausbricht.
Der langen Rede kurzer Sinn III: Mit den angekündigten Entscheidungen wird folglich, sofern sie die sachliche Deutlichkeit entfalten werden, die sich seit spätestens Anfang des letzten Jahres mehr und mehr andeuten, nicht sogleich das alimentative Schlaraffenland ausbrechen - es wird aber das passieren, was dann nicht mehr einzufangen sein wird: die Debatte, wie es weitergehen muss, wird mindestens in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen einsetzen, was - wie die Entscheidung vom 15. November über das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 zeigt - zwangsläufig zu Veränderungen führen muss. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der Geist, den der Senat mit den angekündigten Pilotentscheidungen aus der Flasche lassen wird (dieser Charakter wird in der Begründung der drei Entscheidungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hervorgehoben werden), eine andere Wirkung entfalten als die letzte Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2020, und zwar nicht, weil diese schlecht begründet gewesen wäre, sondern weil erst jetzt die Dogmatik weitgehend abgeschlossen sein wird, die Rechtsprechung des Senats sich nun schneller vollziehen wird und diese angekündigten Entscheidungen auf eine politisch völlig andere Situation und eine deutlich fortgeschrittene Gesellschaft treffen wird als jene vom 04. Mai 2020.
Schauen wir mal, wohin die Reise geht, und wie das Medienecho ausfallen wird, wenn es soweit ist.