Indirekt mit der Alimentation zu tun:
Am 1. März 2023 werden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Beschwerden von GEW-Mitgliedern gegen das Beamtenstreikverbot in Deutschland verhandelt
https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/streik-ist-ein-grundrecht
Der EGMR könnte das Streikverbot kippen. Damit würde aber auch eins der Argumente entfallen... könnte ein Eigentor werden.
Insbesondere die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte wäre unvereinbar mit der Beibehaltung grundlegender beamtenrechtlicher Prinzipien. Dies beträfe vor allem die Treuepflicht des Beamten, das Lebenszeitprinzip sowie das Alimentationsprinzip, zu dessen Ausprägungen die Regelung der Besoldung durch Gesetz zählt. Die Zuerkennung eines Streikrechts für Beamte würde das System des deutschen Beamtenrechts, eine nationale Besonderheit der Bundesrepublik Deutschland, im Grundsatz verändern und damit in Frage stellen.
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/bvg18-046.html
: Es geht dieser Gewerkschaft um nichts anderes, als um die Abschaffung des Berufsbeamtentums in Deutschland und damit um ihrer gewerkschaftlichen „Mächtigkeit“ eine neue Position zu verleihen.
https://www.rehm-verlag.de/beamtenrecht/blog-beamtenrecht/beamtenstreik-vor-dem-egmr-das-eigentliche-ziel-der-gew/
Hintergrund war auch, dass z.B. türkische Beamte (ebenfalls in der Europäische Menschenrechtskonvention EMRK) streiken dürfen. Diese haben vertragliche vereinbarte Beamtenverhältnisse und nicht gesetzliche. Daher ist es gut möglich, dass hier die deutsche Sichtweise mit dem ursprünglich preußischen Berufsbeamtentum eine ungewollte Revolution abekommt und auch deutsche Beamte das Streikrecht bekommen.
Eventuell ein eigenes Thema wert. Dann würde der hier diskutierte Beschluss und die bisherige Rechtssprechung für zukünftige Ansprüche jedoch größtenteils obsolet.
Am 01.03. ist zunächst erst einmal nur die Verhandlung. Mit einer Entscheidung ist erst geraume Zeit später zu rechnen. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei in seiner maßgeblichen Entscheidung zum Streikverbot von Beamten vom 12.06.2018 - 2 BvR 1738/12 - (jene Entscheidung und ihre Begründung wird weiterhin kontrovers in der deutschen Rechtswissenschaft diskutiert, wobei deren überwiegender Teil, sofern er sich äußert, die Begründung(en) im Einzelnen sachlich eher kritisch sieht) darüber hinaus eine neue Rechtsfigur eingeführt und den EGMR darauf hingwiesen, dass das Bundesverfassungsgericht im nationalstaatlichen Rahmen des Grundgesesetzes durch dieses verpflichtet sei, die von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen völkerrechtlichen Verträge und damit ebenso die Rechtsprechung der Europäischen Gerichtshöfe im Rahmen eines aktiven (Rezeptions-)Vorgangs in den Kontext der aufnehmenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes "umzudenken" (Rn. 131). Damit folgt es weiterhin seiner Linie, dass es nur eine Entscheidung des EGMR für die eigene Rechtsprechung zurate ziehen wird, die sich inhaltlich substanziell mit der Begründung der Entscheidung vom 12.06.2018 auseinandersetzt; diese neue Rechtsfigur, auf der es also beharren wird, sofern der EGMR zu einem anderen Schluss kommen sollte als es selbst, dieses aber die konkreten (verfassungsrechtlichen) Bedingungen des deutschen Berufsbeamtentums nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich nicht sachgerecht und hinreichend beachten sollte, hat es als "Kontextualisierung" neu eingeführt. Dabei ist die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin, dass die deutsche Rechtslage in Deutschland auch hinsichtlich der Frage nach dem Streikrecht bzw. Streikverbot von deutschen Beamten nicht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention stehe und damit auch nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR. Wie alle anderen (Berufs-)Gruppen auch verfügten ebenso die deutschen Beamten grundsätzlich über ein Streikrecht; sie dürften dieses jedoch als Folge des für Deutschland geltenden Sonderrechtsverhältnisses, dem die deutschen Beamten als Folge der je so konzipierten Regelung des Grundgesetzes unterworfen sind, nicht ausüben. Entsprechend betrachtet es das Streikverbot als einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums. Diese bundesverfassungsgerichtlich Rechtsfigur wird von nicht wenigen Rechtswissenschaftlern als sachlich nicht hinreichend widerspruchsfrei begründet betrachtet, was aber weiterhin nichts an seiner Rechtsprechung ändert. In diesem Sinne hebt es in seiner genannten Entscheidung, an maßgeblicher Stelle auf seine ständige Rechtsprechung hinweisend ("stRspr"), als dritten Leitsatz hervor (Hervorhebung durch mich):
"3.a) Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Text der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als
Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367 f.>;
stRspr).
b) Während sich die Vertragsparteien durch Art. 46 EMRK verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen (vgl. auch BVerfGE 111, 307 <320>), sind bei der Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jenseits des Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles im Sinne einer
Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen. Die Vertragsstaaten haben zudem Aussagen zu Grundwertungen der Konvention zu identifizieren und sich hiermit auseinanderzusetzen. Die Leit- und Orientierungswirkung ist dann besonders intensiv, wenn Parallelfälle im Geltungsbereich derselben Rechtsordnung in Rede stehen, mithin (andere) Verfahren in dem von der Ausgangsentscheidung des Gerichtshofs betroffenen Vertragsstaat betroffen sind.
c) Die Grenzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz. Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>). Im Übrigen ist auch im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen."
Entsprechend sieht sich das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der nationalen Rechtsprechung nicht der des EGMR unterworfen, sondern sieht sie als "Auslegungshilfe" an (ähnlich entsprechend auch hinsichtlich des EuGH; hier zeigt sich ein Konflikt, der schon längere Zeit zwischen dem EuGH und dem Bundesverfassungsgericht schwelt). Hinsichtlich des EGMR hebt das Bundesverfassungsgericht seine Sichtweise in der weiteren Entscheidungsbegründung ab der Rn. 126 hervor, indem es weiterhin darauf beharrt, dass die Europäische Menschenrechtskonvention nur den Rang eines Bundesgesetz beanspruchen könne und von daher normativ unterhalb des Grundgesetzes stehe, um dabei in jedem Kontext den Rang nur als "Auslegungshilfe" hervorzuheben
"Eine Heranziehung als Auslegungshilfe [der Europäischen Menschenrechtskonvention und damit ebenso der Rechtsprechung des EGMR; S.T.] verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung beziehungsweise vollständige Harmonisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen ihrer Wertungen [...]. Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit ergeben sich dort, wo ein Aufnehmen der Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention methodisch nicht vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbar ist". (Rn. 126)
Als Ergebnis seiner grundsätzlichen Ansicht hebt es entsprechend, sein Verständnis von "Kontextualisierung" zusammenfassend, hervor (Rn. 132):
"Während sich die Vertragsparteien durch Art. 46 EMRK verpflichtet haben, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen (vgl. auch BVerfGE 111, 307 <320>), sind bei der Orientierung an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jenseits des Anwendungsbereiches des Art. 46 EMRK die konkreten Umstände des Falles im Sinne einer Kontextualisierung in besonderem Maße in den Blick zu nehmen (vgl. Kaiser, AöR 142 <2017>, S. 417 <432 ff.>). Hierbei ist zunächst zu sehen, dass im Gegensatz zum Recht der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 75, 223 <244 f.>) die Europäische Menschenrechtskonvention in Ermangelung eines entsprechenden innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehls keinen Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Gesetzesrecht beanspruchen kann. Kommt den Konventionsrechten damit kein Vorrang vor der deutschen Verfassungsrechtsordnung, sondern vielmehr eine Bedeutung als Auslegungsmaxime für das Grundgesetz zu, geht es bei der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jenseits ihrer inter-partes-Wirkung maßgeblich darum, Aussagen zu Grundwertungen der Konvention zu identifizieren und sich hiermit auseinanderzusetzen (vgl. Kaiser, AöR 142 <2017>, S. 417 <432>). Ein Konflikt mit Grundwertungen der Konvention ist dabei nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Anerkennung einer Orientierungs- und Leitfunktion setzt damit ein Moment der Vergleichbarkeit voraus. Bei der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind der konkrete Sachverhalt des entschiedenen Falles und sein (rechtskultureller) Hintergrund ebenso mit einzustellen wie mögliche spezifische Besonderheiten der deutschen Rechtsordnung, die einer undifferenzierten Übertragung im Sinne einer bloßen 'Begriffsparallelisierung' entgegenstehen. Die Leit- und Orientierungsfunktion ist dort besonders groß, wo sie sich auf Parallelfälle im Geltungsbereich derselben Rechtsordnung bezieht, mithin (andere) Verfahren in dem von der Ausgangsentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betroffenen Vertragsstaat betroffen sind (vgl. Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 16 Rn. 8 )."
Als Ergebnis hält es dann schließlich fest (hier zeigt sich die gesamte Tragweite des Konflikts, wie er ähnlich auch mit dem EuGH schwelt):
"Die Grenzen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich aus dem Grundgesetz. Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; 128, 326 <371>; zur absoluten Grenze des Kerngehalts der Verfassungsidentität des Grundgesetzes gemäß Art. 79 Abs. 3 GG vgl. BVerfGE 123, 267 <344 ff.>). Soweit im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet sind, trifft deutsche Gerichte die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Beachtung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte etwa wegen einer geänderten Tatsachenbasis gegen eindeutig entgegenstehendes Gesetzesrecht oder deutsche Verfassungsbestimmungen, namentlich auch gegen Grundrechte Dritter verstößt (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>). Es widerspricht daher nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist (vgl. BVerfGE 111, 307 <319>)." (Rn. 133)
Ergo: Selbst wenn der EGMR hinsichtlich des Streikverbots für deutsche Beamte zu einer gänzlich anderen Entscheidung als das Bundesverfassungsgericht kommen sollte, wird jenes diese Entscheidung nur dann als verbindlich ansehen und anerkennen, wenn er zu dieser anderen Entscheidung auf Grundlage der Auslegung des Grundgesetzes kommt, wie sie das Bundesverfassungsgericht nicht zuletzt durch die von ihm ausgeformten Grundsätze des Berufsbeamtentums vorgegeben hat. Dabei lässt sich im Vorfeld der EGMR-Entscheidung postulierend feststellen, dass davon auszugehen sein dürfte, dass das Bundesverfassungsgericht ein anderes Ergebnis als das eigene als kaum wiederspruchsfrei betrachten sollte. Denn wäre es widerspruchsfrei, dann könnte die eigene es nicht sein, sodass das Bundesverfassungsgericht nicht zu dem Schluss gekommen wäre, dass den deutschen Beamten trotz ihres auch ihnen grundsätzlich vom Grundgesetz gegebenen Streikrechts deren Ausübung untersagt ist.