Autor Thema: [Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 3961164 times)

Versuch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6735 am: 18.11.2024 07:57 »
Rechnet hier eigentlich jedes Land für sich aus, wie hoch die Mindestversorgung sein muss, oder ist das einheitlich?

Wenn es nicht einheitlich der gleiche Betrag ist, was er sein müsste (richtig,  oder?), würde mich interessieren warum das so ist und wie hoch die Differenz zwischen dem niedrigsten und höchsten Wert ist. Hat das jemand um Blick?

Alle rechnen m.m.n. falsch.

Zudem:
Partnereinkommen ( m.m.n. bestimmt nicht juristisch haltbar) ist unterschiedlich, Wohnkosten auch...

PolareuD

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6736 am: 18.11.2024 09:05 »
Rechnet hier eigentlich jedes Land für sich aus, wie hoch die Mindestversorgung sein muss, oder ist das einheitlich?

Wenn es nicht einheitlich der gleiche Betrag ist, was er sein müsste (richtig,  oder?), würde mich interessieren warum das so ist und wie hoch die Differenz zwischen dem niedrigsten und höchsten Wert ist. Hat das jemand um Blick?

Torsten Schwan, Osnabrück, Das Alimentationsniveau der Besoldungsordnung A 2008 bis 2020 – eine „teilweise drastische Abkopplung der Besoldung“ als dauerhafte Wirklichkeit?

"Seit 2012 entwickelt das Bundesverfassungsgericht eine neue Dogmatik amtsangemessener Alimentation. Mit einer aktuellen Entscheidung hat es nun die Kriterien zur Bemessung der Mindest- und Nettoalimentation weiter konkretisiert. Der Beitrag betrachtet das Alimentationsniveau der A-Besoldung nach Maßgabe der neuen Dogmatik und zeigt so, dass die Alimentation aller Bundesländer seit spätestens 2008 nicht mehr amtsangemessen ist. Die unteren Besoldungsgruppen erreichen seitdem in der Regel nicht einmal das Grundsicherungsniveau."

https://www.doev.de/ausgaben/5-2022/

Ist zwar kostenpflichtig, kann aber eventuell über die Hausbibliothek kostenlos bestellt werden.

Ein neuer Beitrag wird wohl im Januar in der ZBR erscheinen.

LehrerBW

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6737 am: 18.11.2024 09:11 »
Mit rot grün hat das Mal far nichts zu tun, denn bei schwarz war es genauso und derzeit ist es zudem Schwarze-grün.

Die Polemik finde ich erschreckend.

Zudem geht der bbbw seit Jahren den Weg des geringsten Widerstandes.
Von diesen Menschen erwarte ich 0,0
Nein Versuch(kam vielleicht böse rüber, aber ärgert mich schon sehr)….es fing schon mit der rot/grünen Regierung an, dass man sukzessive den Beamten an den Karren gefahren ist mit dem Haushaltsbegleitgesetz 11/12 mein ich und explizit wortwörtlich Sonderopfer gefordert hat.

Kostendämpfungspauschale
Absenkung der Beihilfe für Beamte mit zwei Kindern und Pensionäre von 70 auf 50%
Abgesenkte Eingangsbesoldung um 8%
Zeitversetzte Übernahme der Tarifabschlüsse
Nach Besoldungsgruppen gestaffelte Übernahme

Das war alles rot/grün und wurde erst durch das BVerfG wieder kassiert. Kostendämpfungspauschale ist geblieben.
Jetzt nennt es Bayaz anders…zum 4 Säulenmodell meinte er erläuternd, dass eine strikte Ausrichtung nach den Karlsruher Parametern die politische Handlungsfähigkeit einschränken würde.
Ja, wir haben schwarz/grün. Das federführende Finanzministerium aus dem das aber alles kam und kommt war aber immer in rot/grüner Hand.
Das 4 Säulenmodell hat der grüne Bayaz erarbeitet welches eklatant verfassungswidrig ist und den gD und hD schon wieder schlechter stellt durch diese Häufung an nach oben abschmelzenden Zuschlägen.

*edit*
Würde dir aber Recht geben…vermutlich würde uns ein schwarzer Finanzminister ebensowenig amtsangemessen besolden wie nun der grüne Bayaz…weil es, mit demselben Argument, eben den politischen Spielraum eingrenzt.

Ähnlich grad ja in Hessen…dadurch dass man bei den Beamten spart hat man es wo anders locker…beim Hessengeld beispielsweise 🤷‍♂️
« Last Edit: 18.11.2024 09:27 von LehrerBW »

Finanzer

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6738 am: 18.11.2024 10:05 »
Ähnlich grad ja in Hessen…dadurch dass man bei den Beamten spart hat man es wo anders locker…beim Hessengeld beispielsweise 🤷‍♂️

Ist doch schön, das wir Beamten anderen Hessen den Kauf von Grundstücken finanzieren, deren Kauf wir uns nie selbst leisten können.

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6739 am: 18.11.2024 14:36 »
@Swen: Vielen Dank für Deine Ausführungen

An einer Stelle, so denke ich, bin ich immer noch nicht vollständig verstanden worden. Bisher hat das BVerfG als absolute Untergrenze definiert, was eine 4K Beamtenfamilie insgesamt als Nettoeinkommen zur Verfügung haben muss.

Dennoch kann kaum noch ein Beamter rechtssicher einordnen, ob die gewährte Besoldung oder die gewährten Familienzuschläge amtsangemessen ausgestaltet sind.

Ich versuche mich daher zunächst der Frage anzunähern, ob es für die Höhe der familienbezogenen Bestandteile auch ein Prüfschema geben kann, nach dem der Beamte individuell prüfen kann, ob die gewährten Familienzuschläge amtsangemessen ausgestaltet sein könnten. Diese Frage stelle ich mir vor dem Hintergrund, dass die Länder ja durch massive Erhöhungen der familienbezogenen Bestandteile versuchen, die absolute Untergrenze für eine 4K Familie zu überschreiten, jedoch völlig aus dem Blick verlieren, dass das Verhältnis von familienbezogenen und familienneutralen Bestandteilen so aus dem Gleichgewicht gerät. Dabei möchte ich bewusst keine versicherungsmathematisch exakte Höhe ermitteln, sondern lediglich ein Gefühl dafür bekommen, bis zu welcher prozentualen Höhe das BVerfG die Familienzuschläge wohl nicht mehr beanstanden würden.

Mit den immer enger werden objektiv überprüfbaren Kriterien und wiederholten Präzisierungen wird das BVerfG den Besoldungsgesetzgeber zu deutlichen Veränderungen im Beamtenrecht zwingen und gewisse Rahmenhinweise geben, ohne den weiten Gestaltungsspielraum zu massiv einzuengen.

Und da gebe ich Dir natürlich an einer Stelle Recht: Wenn die Basis für die absolute Obergrenze der familienbezogenen Zuschläge die Düsseldorfer Tabelle sein soll, während das Gesamtergebnis allerdings einen Bezug zur Grundsicherung darstellt, dann sind meine Berechnungen und Überlegungen natürlich falsch.

Allerdings fände ich es nicht nachvollziehbar, wenn es hier zweierlei völlig unterschiedliche Berechnungsmethoden für den Kontrollmaßstab geben sollte. Wenn das BVerfG einen solchen Kontrollmaßstab entwickelt, sind in diesem Kontrollmaßstab für die Mindestbesoldung auch die Werte für die Kinder realitätsnah errechnet und abgebildet worden. Durch den Zuschlag von 15 % ist auch ein hinreichender Abstand gewahrt, da ja die Beamtenbesoldung qualitativ etwas anderes ist als die Grundsicherung.

Außerdem hat das Gericht mit Entscheidung vom 04.05.2020 für kinderreiche Beamte festgestellt, dass bei Beamten mit drei und mehr Kindern im Land NRW die Besoldung im Hinblick auf die ab dem dritten Kind gewährten Zuschläge zu niedrig bemessen waren. Zumindest die ab dem dritten Kind gewährten Zuschläge müssen so bemessen sein, dass für jedes Kind mindestens 115 % des grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarfes nach dem SGB II zu Verfügung steht. Bei der Entscheidung stellte das BVerfG die in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe neu fest und wegen der veränderten Gesetzeslage (grundlegende Umgestaltung der als Vergleichsmaßstab heranzuziehende soziale Grundsicherung) und Berücksichtigung neuer Aspekte (unter anderem zu sozialen Teilhabe) auf eine neue (rechnerische) Grundlage. Ein Hinweis auf die Düsseldorfer Tabelle findet sich in der Urteilsbegründung nicht.

Auch vor diesem Hintergrund erschließt sich mir nicht, warum für den Kontrollmaßstab der Gesamtbesoldung ein Vergleich zu den Leistungen der Grundsicherung sowie ab Kind 3 sachgerecht und möglich sein soll, bei der Kontrolle, ob die Familienzuschläge für Kind 1 und 2 sachgerecht sind, allerdings die Düsseldorfer Tabelle gelten soll.

Ebenso ausdrücklich hat das Gericht erneut betont, dass es dem Gesetzgeber freisteht, wie er das von der Verfassung vorgegeben Ziel erreicht. Dennoch, so denke ich, wäre es sachgerecht, auch hier eine Schranke zu finden, bei der der Besoldungsgesetzgeber sein Recht missbraucht, weil die kindbezogenen Familienzuschläge zu hoch sein könnten.

Dazu wäre es aber wichtig, eine gemeinsame, rechnerische Basis zu finden. Bisher bin ich noch nicht davon überzeugt worden, warum diese Basis die Düsseldorfer Tabelle sein soll, obwohl das Gericht in der jüngeren Rechtsprechung und auch die Besoldungsgesetzgeber bei den letzten Gesetzesvorlagen und Beschlüssen bei allen rechnerischen Grundlagen ausschließlich nur noch auf soziale Grundsicherung abstellen.

BVerfGBeliever

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6740 am: 18.11.2024 15:05 »
@Swen, vielen Dank für deine Klarstellung. Die Zahlen sind ja qualitativ vergleichbar:
- Bei der äquivalenten Nettobesoldung schreibst du von 4.593 € (ich hatte aufgrund leicht höherer PKV-Kosten mit 4.600 € gerechnet).
- Entsprechend kommst du beim Brutto-Besoldungsäquivalent auf 5.208 € (bei mir waren es 5.225 €).

Somit ergibt sich also als erste wichtige Botschaft folgende Tatsache: Das sich aus der Mindestalimentation ergebende Brutto-Besoldungsäquivalent einer vierköpfigen Beamtenfamilie beträgt zurzeit im Bund gut 5.200 € monatlich (in den Bundesländern liegt es etwas darunter, siehe beispielhaft deine Ausführungen zu Baden-Württemberg).

Diese für den Laien möglicherweise verblüffende Tatsache sollten wir möglichst offensiv verbreiten, unter anderem damit sie sich vielleicht irgendwann doch auch mal bei unseren Besoldungsgesetzgebern einbrennt (ja, ich weiß, diese ignorieren quasi alle wissentlich und willentlich die BVerfG-Rechtsprechung). Nur nochmal zur Erinnerung: Im Bund bekommt eine vierköpfige A3/1-Beamtenfamilie statt des genannten Brutto-Besoldungsäquivalents von 5.200 € zurzeit nur gut 3.200 €, also jeden Monat satte 2.000 € (!) weniger. Man sieht entsprechend auf den ersten Blick, welch riesige Lücke sich in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut hat.



Während die genannte Tatsache zumindest hier im Forum mittlerweile mehr oder weniger Konsens zu sein scheint, entbrennen ja immer wieder hitzige Diskussionen über den Gestaltungsspielraum, den die Gesetzgeber zur Einhaltung der BVerfG-Vorgaben haben. Konkrete Frage: Welche Optionen hat der Bund, um für die vierköpfige Beamtenfamilie von aktuell 3.200 € auf mindestens 5.200 € zu kommen?

Nimmt man einfach die aktuellen Familienzuschläge, landet man bei einem Brutto-Grundgehaltsäquivalent von rund 4.750 €, so wie auch in deinem Post dargestellt. Bei einem Betrag in dieser Höhe jaulen jedoch zuverlässig sofort diverse Forenteilnehmer lautstark auf und rufen "absurd!", "politisch nicht vermittelbar!", etc., außerdem werden irgendwelche abstrusen Vergleiche mit irgendwelchen Medianen angestellt.

Deutlich zielführender erscheint mir hingegen dein Hinweis, dass jegliche Änderungen an den bestehenden Regelungen sachgerecht begründet werden müssen (was die erwähnten Forenteilnehmer in der Regel jedoch nicht tun). Und diesbezüglich finde ich deinen Hinweis auf die Düsseldorfer Tabelle sehr interessant, da damit deutlich wird, dass der Spielraum für höhere Kinderzuschläge unter Berücksichtigung des Kindergeldes sowie der Tatsache, dass der Unterhalt für die ersten beiden Kinder "ganz überwiegend" (was immer auch genau das BVerfG unter dieser Formulierung versteht) aus den familienneutralen Besoldungsbestandteilen erfolgt, sehr begrenzt sein dürfte. Hinzu tritt das aus meiner Sicht sehr einleuchtende Argument (siehe beispielsweise die diversen Stellungnahmen des DRB), dass zu hohe Kinderzuschläge eindeutig gegen das Leistungsprinzip und die Ämterwertigkeit nach Art. 33 GG verstoßen.

NordWest

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6741 am: 18.11.2024 23:54 »
Bisher hat das BVerfG als absolute Untergrenze definiert, was eine 4K Beamtenfamilie insgesamt als Nettoeinkommen zur Verfügung haben muss.

Diesem Ausgangspunkt Deiner Argumentation würde ich in der vorliegenden Version widersprechen und ihn folgendermaßen heilen:

"Bisher hat das BVerfG als absolute Untergrenze definiert, was eine 4K Beamtenfamilie insgesamt als Nettoeinkommen alleine durch die Besoldung des Beamten zuzüglicher normaler staatlicher Zuschüsse zur Verfügung haben muss."

Neben dem Ehepartnereinkommen spielen für das BverfG bei der Bestimmung der Mindestbesoldung u.a. keine Rolle:
- Nebenverdienste und externe Aufwandsentschädigungen
- Kapitalerträge der Familie (zu eigenen KE gibt es ein verbietendes Urteil)
- Einkommen der Kinder
- Laufende Renten
- Schenkungen und Vererbungen
- Glücksspielgewinne
-...

Da haben jetzt Besoldungsgeber aus dem Nichts die Idee entwickelt, dass man einen solchen Punkt, eben das Partnereinkommen (zudem auch noch fiktiv) doch einfach mal mitanrechnen könnte. Das rüttelt aber an der gesamten Systematik der Ermittlung, verlässt das bestehende Konzept, dass die Mindestbesoldung für (bis auf statistische Ausnahemfälle, vgl. 95%-Perzentil) ALLE Beamten eine angemessene Untergrenze darstellt und wird alleine deshalb m.E. vom BVerfG klar zurückgewiesen werden müssen.

Statt der gleichen Untergrenze für alle würde es künftig für Beamte ohne oder mit sehr geringem Partnereinkommen eine nahezuige Spitzausrechnung der gebotenen Besoldung geben, zudem auch noch eine individualisierte. Da das BVerfG schon pauschale Spitzausrechnungen bei den Besoldungsgruppen in bezug auf die amtsangemessene Besoldung ablehnt, kann eine solche, sogar individualisierte Spitzausrechnung bei der amtsunabhängigen Mindestbesodung erst recht nicht verfassungskonform sein.

SwenTanortsch

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6742 am: 19.11.2024 11:03 »
@ Rentenonkel
Ich bin zurzeit etwas in Eile, deshalb nur kurz (ich denke, wir sind in den wesentlichen Punkten einer Meinung):

Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die vierköpfige Beamtenfamilie als eine aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße, mit der hinsichtlich des Mindestabstandsgebots ein Vergleichsparameter geschaffen wird, um die Grenze zur Unteralimentation zu bemessen (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 47; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html). Prinzipiell ähnlich geschieht das auch für den alimentativrechtlichen Mehrbedarf ab dem dritten Kind, wobei hier also gleichfalls ein Mindestbedarf bemessen wird (vgl. in der aktuellen Parallelentscheidung ab der Rn. 63 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000617.html).

Allerdings ist trotz dieser prinzipiellen Parallelität in Rechnung zu stellen, dass der Mindestbedarf des alimentationrechtlichen Mehrbedarfs explizit jeweils einer Person zugeordnet wird (nämlich dem jeweils dritten, vierte, fünften ... Kind), während das so hinsichtlich der Beamtenalimentation der bis zu vierköpfigen Beamtenfamilien nicht der Fall ist und auch prinzipiell nicht der Fall sein kann: Hier wird als Prüfmaßstab die vierköpfige Beamtenfamilien als aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße betrachtet und deshalb keine Betrachtung der jeweils konkreten Bedarfe jeder der einzelen Personen vollzogen. Was also hinsichtlich des alimentationsrechtlichen Mehrbedarfs notwendig ist, da alles andere als eine entsprechende Art der Individualisierung nicht sachgerecht sein könnten, ist hinsichtlich der Familienalimentation nicht möglich, da ansonsten das Beamtenrecht zunehmend wie das Sozialrecht zu betrachten wäre, was wegen des genannten qualitativen Unterschieds verfassungsrechtlich nicht darstellbar wäre.

Entsprechend muss man trotz der offensichtlichen Parallelität der Bemessung einer jeweiligen Untergrenze diese prinzipielle Unterscheidung im Blick behalten. Nicht umsonst hebt das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des alimentationsrechtlichen Mehrbedarfs hervor, dass hier nicht das 95 %-Perzentil zur Betrachtung der Unterkunftskosten des minderjährigen Grundsicherungsempfänger herangezogen werden kann, da es in 50 €-Schritten bemessen wird und diese 50 €-Schritte hinsichtlich der zu bemessenen Untergrenze des Mehrbedarfs zu grob sein würden, sodass hier methodisch eine an den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes orientierte Bemessung zu erfolgen habe (vgl. ab der Rn. 49 in der Parallelentscheidung; auch hier folgt also ein Abwägung zur Betrachtung einer sachgerechten Methodik). So verstanden kann nicht ohne Weiteres von der einen auf die andere Methodik geschlossen werden, da eben der prinzipelle Unterschied einer zwangsläufig konkret auf eine Person ausgerichteten Bemessung hinsichtlich der Untergrenze des alimentationsrechtlicher Mehrbedarf und der auf die vierköpfige Beamtenfamilie ausgerichteten Mindestalimentation als Grenze zur generellen Unteralimentation gegeben ist (nebenbei: Das 95 %-Perzentil wird seit 2021/22 nun gleichfalls auf den € genau bemessen, sodass es nun ebenfalls offensichtlich zur Bemessung der Untergrenze des alimentationsrechtlichen Mehrbedarfs herangezogen werden kann, was zu noch einmal höheren entsprechenden Mindestbeträgen führen muss).

@ BVerfGBeliever

Ich befürchte, dass die Komplexität der jeweiligen Bemessungsmethodiken sowie darüber hinaus die beamten- und sozialrechtlichen Grundlagen im Kontext des Unterschieds zwischen materiell-rechtlichen und indiziellen Bedingungen der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sind, da die Sachlage eben komplex ist. Nichtdestotrotz sollte man das wiederkehrend versuchen, denke ich, wenn auch die im Einzelfall sicherlich gegebene Erfolgsaussicht hinsichtlich der Allgemeinheit eher gering sein dürfte. Insofern sollte man versuchen, denke ich, das Thema für die Öffentlichkeit so einfach wie möglich und dabei so genau wie nötig herunterzubrechen, was allerdings sachlich nicht ganz einfach ist - und selbst, wenn einem das gelingt, wird man in den meisten Einzelfällen nicht wenig Zeit und Kraft aufwenden müssen, um die notwendigen Voraussetzungen des Beamtenrechts, nicht zuletzt die Folgen des Dienstverhältnisses als Sonderstatusverhältnis und des Treueprinzips, hinreichend verständlich zu machen. Eventuell wird die normative Kraft des Faktischen, die aus den angekündigten Pilotentscheidungen erwachsen sollte, hier bessere Chancen bieten, als das heute der Fall ist. Denn es ist zu erwarten, dass die Pilotentscheidungen mit ihrer Veröffentlichung auf eine deutlich stärkere gesellschaftliche Ressonanz treffen werden, als das in den aktuellen Entscheidungen der Fall war und auch weiterhin ist.

@ NordWest

Genauso, wie Du es darstellst, ist es: In Konsequenz wird das beamtenrechtlich geklärte Alimentationsprinzip in eine nicht rechtlich darstellbare neue Form überführt, die sich also vor dem Alimentations- und Leistungsprinzip sachlich nicht rechtfertigen lässt. Dazu wird in knapp zwei Monaten ein recht umfangreicher Beitrag im ersten Heft des Jahres 2025 der Zeitschrift für Beamtenrecht erscheinen, der die Sachwidrigkeit der seit 2021/22 in mehr und mehr Rechtskreisen vollzogenen Neuregelungen systematisch anhand einer dort ausgeführten Rechtskategorie betrachtet und - denke ich - auch nachweist. Das Heft dürfte auch darüber hinaus insgesamt interessant werden, denke ich.

Paterlexx

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6743 am: 20.11.2024 23:11 »
Mir würde eine Verhandlung vor dem Verfassungsgericht mit einem geistig gesundem Urteil reichen. Kann ja nicht so schwer sein, für die Elite Richter das Spiel zu beenden. 1 oder 0. Reicht mir auch. Danke Sven, aber auch an die anderen, die so konstruktive Betrachtungen und Fragen einbringen.

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6744 am: 21.11.2024 07:52 »
@Swen:

Ich denke auch, dass wir in wesentlichen Teilen einer Meinung sind.

Mir geht es jetzt allerdings eher darum, die Frage zu klären, inwieweit der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ein Ergebnis zu erzielen, welches am Ende verfassungsgemäß wäre, doch etwas eingeschränkt sein könnte.

So stelle ich mir erst einmal die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich aufgrund der stark unterschiedlich hohen Wohnkosten im Land die Besoldung auch generell an diesen Umstand knüpfen könnte.

Wäre es demnach generell sachgerecht, wenn er sich bei der Alimentation zunächst an niedrigen Wohnkosten orientiert, bei höheren Wohnkosten allerdings zusätzliche, leistungslose Zuschlägen gewährt und sich bei der Orientierung der Höhe dieser Zuschläge bspw an den Mietenstufen orientiert?

Könnte er familienbezogene Zuschläge generell sachgerecht auch an den Wohnort knüpfen, da die Wohnkosten ja mit dem Wohnbedarf steigen und dieser Wohnbedarf sich wiederum an die Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren?

Könnte er die Familienzuschläge anheben oder müsste er sie in jedem Fall auf das aktuelle Niveau einfrieren?

Wenn er die Familienzuschläge anheben könnte, könnte er sich bei der Obergrenze der Familienzuschläge daran orientieren, dass diese bspw nicht mehr als 40 % des Regelsatzes ausmachen, die ein vergleichbarer Bürgergeldempfänger zzgl 15 % bekommen würde? Wäre das wohl noch sachgerecht?

Wäre es dann nicht auch sachgerecht, wenn ein Single Ministerialbote in Hintertupfing deutlich weniger Besoldung erhalten würde, als einer in Berlin oder München, weil er ja nur etwa die Hälfte an Ausgaben für eine vergleichbare Wohnung und Heizung hat und der Wohnort ihm ja durch den Dienstherrn vorgeschrieben wird?

Könnte der Besoldungsgesetzgeber durch diese Zuschläge auch sachgerecht vermeiden, dass auch ein Single Ministerialbote in Hintertupfing ein so hohes Einkommen erzielen würde, dass das kaum mehr als amtsangemessen wahrgenommen werden kann, weil man bei der tieferen Betrachtung der Amtsangemessenheit der Besoldung andernfalls zum Ergebnis kommen müsste, dass er andernfalls deutlich mehr verdienen würde, als vergleichbare Tarifangestellte im ÖD und auch als vergleichbare Tätigkeiten in der PW, die mit Mindestlohn entlohnt werden?

Wäre es dementsprechend also denkbar, dass die ausschließliche Erhöhung der Grundbesoldung in allen Besoldungskreisen mit dem Ziel, eine verfassungsgemäße Besoldung zu erreichen, doch nicht so alternativlos ist, sondern eine weitere Differenzierung des Umfangs der Erhöhung der individuellen Besoldung sich auch an dem Wohnort und der Anzahl der Personen in der Beamtenfamilie orientieren dürfte und könnte?

PolareuD

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6745 am: 21.11.2024 08:12 »
Wäre es dann nicht auch sachgerecht, wenn ein Single Ministerialbote in Hintertupfing deutlich weniger Besoldung erhalten würde, als einer in Berlin oder München, weil er ja nur etwa die Hälfte an Ausgaben für eine vergleichbare Wohnung und Heizung hat und der Wohnort ihm ja durch den Dienstherrn vorgeschrieben wird?

Der Wohnort kann nicht vorgeschrieben werden, solange der Beamte ordnunggemäß in der Lage ist, seinen Dienst zu verrichten. Er kann also in München wohnen und in Posemuckel seinen Dienst leisten, z.B. als Wochenendpendler. Die Kosten einer Zweitwohnung/Pendelkosten hat er dann selber zu tragen und kann sie nur steuerlich geltend machen.

Beispiel hierfür sind die Bw-Angehörigen. Bei Bw-Angehörigen gibt es hier aber zusätzlich den Vorteil, dass diese bis zu 8 Jahre Trennungsgeld erhalten. Bei Verwendungswechseln ist so ein unendlicher Bezug von TG möglich.

Rentenonkel

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Antw:[Allg] Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #6746 am: 21.11.2024 08:30 »
Das sieht die Rechtsprechung anders:

Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE).

PolareuD

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« Antwort #6747 am: 21.11.2024 08:36 »
Das ist eine Bestätigung meiner Aussage:

"Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird."

Wohnen dürfen sie wo sie wollen, solange keine Beeinträchtigung des Dienstes vorliegt.

Rentenonkel

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« Antwort #6748 am: 21.11.2024 10:05 »
Alleine durch die Einschränkung "solange keine Beeinträchtigung des Dienstes vorliegt" gibt es eine Einschränkung in der Wohnungsnahme für Beamte.

§ 72 Bundesbeamtengesetz (BBG) regelt die Wahl der Wohnung. § 72 Abs. 1 BBG verpflichtet Beamte zur dienstpflichtkompatiblen Wohnungsnahme. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts begründet §  72 BBG für Beamte grundsätzlich keine Pflicht zum Wohnen am Dienstort (Residenzpflicht). „Der Beamte hat seine Wohnung lediglich so zu nehmen, dass er in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird […]“

Der Dienstherr kann jedoch nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz „amtsangemessen“ in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist und dann, so wie du es beschreibst, pendelt. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Auch hat der Dienstherr ja ein gesteigertes Interesse daran, dass der Beamte seinen Wohnsitz zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte in der Nähe seines Dienstsitzes wählt. 

Die Residenzpflicht ist weiterhin ein Grundsatz der herrgebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Daher gibt es bei einem Wechsel des Dienstortes auch eine Umzugskostenvergütung, sofern der neue Wohnort innerhalb eines Radius von 30 km um den Dienstort ist. Daraus könnte man im Umkehrschluss schließen, dass der Dienstherr bei einem Radius von 30 km um den Dienstort regelmäßig davon ausgeht, dass die Residenzpflicht erfüllt ist und somit auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht der Beamte gehalten ist, regelmäßig seinen Wohnort in einem Umkreis von 30 km um den Dienstort zu wählen.

Und wenn der Dienstherr eine solche Wohnungsnahme erwartet, dann muss er aus meiner Sicht auch den Beamten in die Lage versetzen, seine Wohnkosten tragen zu können und trotzdem amtsangemessen leben zu können.

PolareuD

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« Antwort #6749 am: 21.11.2024 10:31 »
Das ist alles richtig was du schreibst, Rentenonkel, nur ist der Beamte grundsätzlich erstmal nicht gezwungen seinen Wohnort im Umkreis von 30 km um die Dienststelle zu nehmen, solange er seinen dienstlichen Verpflichtungen vollumfänglich nachkommen kann. Wie er das anstellt, bleibt ihm selbst überlassen, ggf. in dem er die Pendelkosten/-wohnung selbst trägt.

Selbstverständlich kann er umziehen und erhält dafür die UKV solange er seinen Wohnsitz innerhalb des 30 km Radius bezieht. Und ja, wenn ein Umzug nach München gegeben ist, dann muss er vom Dienstherrn dazu in die Lage versetzt werden sich eine amtsangemessene Wohnung anzumieten. Zu dem muss er umziehen, wenn anderweitig keine ordnungsgemäße Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte möglich ist.