Autor Thema: Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion  (Read 1035571 times)

sebbo83

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3675 am: 24.10.2023 11:50 »
Ich kann hier nur für meine Behörde sprechen.  Bis in die 2010er Jahre war die Personalversammlung quasi eine Pflichtveranstaltung, zu der man als Referat geschlossen hinging. Das hat sich inzwischen stark gewandelt. Zu unserer Personalversammlung gehen seit Jahren immer weniger Personen, die Arbeitsverdichtung nahm zu, sodass immer weniger bereit waren 2h Zeit dafür zu erübrigen. 2019 waren evtl. noch knapp 30% der Bediensteten da, weil weder der Bericht des Personalrates, noch der Bericht der Dienststelle irgendwen berenned interessieren. Die Fakten man kann auch im Intranet nachlesen.

Verdi redet dort zwar noch, aber es juckt niemanden. Verdi vertritt die bei uns arbeiteten Menschen zu >95% nicht. Es hört ihnen schlicht keiner zu. Zum letzten TVL-Abschluss gab es sogar mal die Nachfrage, warum man denn 14-Monate 0-Runde ohne Streik zugestimmt habe. Sinngemäße Antwort des Verdi-Vertretes: "War doch ein super Ergebnis, mehr war nicht drin, tretet ein, dann können wir mehr rausholen, ihr seit selbst schuld, warum spreche ich überhaupt zu euch, wir wedern künftig nur noch für zahlende Mitglieder verhandeln, etc."

Seit Corona sind es nur noch 5%, die in Präsenz hingehen, da die Veranstaltung inzwischen auch digital übertragen wird. Nach Ansicht der Dienststelle kann man den Kollegen wegen einer Personalversammlung keinen ganzen wertvollen Homeofficetag rauben. Das sagt schon viel zur Wertigkeit dieser Veranstaltung.

Viele Kollegen stecken in ihrer Arbeit und sind froh sind, wenn ihnen diese 2h nicht auch noch geklaut werden. Eine zunehmende Zahl von Kollegen ist aber auch tief frustriert, haben sich und die Welt aufgegeben und machen gar nichts mehr, außer Krank, Homeoffice und sich aushalten lassen, nehmen mit was geht und geben nur noch was sich nicht verhindern lässt.

Ich kenne viele bei uns, aber keine 5 Gewerkschaftsmitglieder. Das war mal anders, aber Verdi ist halt komplett unten durch. Dieser Verein wird als politischer Akteur mit eigener Agenda, aber bestimmt nicht als legitimer Interessensvertreter gesehen. Auch die Dienststelle ist beim Thema Bezahlung weder Gegenspieler noch Meinungsverstärker.

Vom Gefühl her hat sich das bei uns zwischen 2022 (und natürlich die Corona-Jahre) auf 2023 sehr gewandelt. Die Kongresshalle war voll. Ich schätze 4-bis 500 Personen, was etwa die Hälfte unserer Verwaltungsbehörde ausmacht. Es wirkte alles sehr kämpferisch. Unser Personalrat ist recht stark aufgestellt und Kritik wird sehr offen mit der Hausleitung diskutiert. Ich denke und hoffe, dass sich das auch auf die Straße übertragen lässt.

Dummbeutel

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3676 am: 24.10.2023 12:02 »

Mich würde immer noch brennend interessieren, warum man diese Stadtstaaten-Zulage braucht.

In München, Düsseldorf oder Stuttgart ist das Leben doch etwas teuerer, als in Bremen ...

Es geht auch nicht um die Kosten in Großstädten, sondern um den Ausgleich zum TVÖD, da der Kommunalbeschäftigte in den Stadtstaaten nach TV-L und eben nicht nach TVÖD bezahlt wird.

daseinsvorsorge

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3677 am: 24.10.2023 12:02 »
Das hängt auch mit dem Strategiewechsel zusammen.
Die alte Strategie, wir fordern für Alle und wollen die Leute dadurch zum einsteigen und in die Aktivität begeistern, hat jahrelang wunderbar nicht geklappt. Stattdessen waren organisationsstarke Bereiche stets enttäuscht und wurden schwächer, während die organisationsschwachen sich über die Erhöhung trotz nichts tun freuten.


Einer meiner Hauptkritikpunkte: Warum erwecken Gewerkschaften stets den Eindruck, sie verhandeln für alle AN im ÖD, auch wenn sie von 80-90% keinen Auftrag haben. Damit könnte man die AG schön unter Druck setzen:

Wenn diese die Kosten der Forderungen für alle AN hochrechnen, entgegnet man diesen öffentlichkeitswirksam, dass dies nur ein Bruchteil für die Organisierten ausmacht. Der Rest sind freiwillige Leistungen der AGs. Ist doch deren Problem, wsa sie selbst geschaffen haben.

Was hätten die Gewerkschaften schon zu verlieren ? Das bekannt wird, dass nicht viele organisisert sind ? Ist doch sowie offensichtlich .Aber da komme ich bei uns auch nicht voran.


MoinMoin

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3678 am: 24.10.2023 12:03 »
Aber was natürlich nicht geht ist, dann noch über "Ergebnisse" der Gewerkschaften enttäuscht zu sein, die man gar nicht autorisiert hat, für sich zu verhandeln.
Korrekt, volle Zustimmung.
Zitat
Und viele haben nicht den blassen Schimmer, wie Tarifverhandlungen ablaufen.
Dann kläre uns bitte doch auf.


Zitat
Und die Grundprinzipien bleiben bestehen, auch wenn man es nicht wahr haben will:
1.) Tarifverträge gibt´s  nur mit Gewerkschaften
2.) Je höher der O.grad desto besser die Ergebnisse

Ersteres ist korrekt, zweites eine These.
Hat nicht der gute alte Spid seinerzeit dies mit Herrn Ford widerlegt?
Meine Gattin hat bessere Lohnerhöhungen die letzten 10 Jahre erhalten als ich, obwohl es kein Tarifvertrag ist, keine Gewerkschaft daran beteiligt war und sie nicht verhandelt hat.

Daher glaube ich nicht, dass die Ergebnisse besser wären, wenn wir statt 5-10% 25-50% Mitglieder hätten.

Es gibt doch so gesehen nur 2 Gründe warum die Ergebnisse "besser" werden:
a) der AG hat erkannt, was er bezahlen muss, damit er AN hat und halten kann. (Also Marktdruck)
b) Der AG gibt klein bei, weil ein Streik ihm mehr mittelfristig/langfristig kostet, als die Lohnerhöhung.

oder glaubst du nur weil da mehr 5% Mitglieder sind, ist der AG bereit 1% mehr zu bezahlen?

daseinsvorsorge

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3679 am: 24.10.2023 12:12 »


Ersteres ist korrekt, zweites eine These.
Hat nicht der gute alte Spid seinerzeit dies mit Herrn Ford widerlegt?
Meine Gattin hat bessere Lohnerhöhungen die letzten 10 Jahre erhalten als ich, obwohl es kein Tarifvertrag ist, keine Gewerkschaft daran beteiligt war und sie nicht verhandelt hat.

Daher glaube ich nicht, dass die Ergebnisse besser wären, wenn wir statt 5-10% 25-50% Mitglieder hätten.

Es gibt doch so gesehen nur 2 Gründe warum die Ergebnisse "besser" werden:
a) der AG hat erkannt, was er bezahlen muss, damit er AN hat und halten kann. (Also Marktdruck)
b) Der AG gibt klein bei, weil ein Streik ihm mehr mittelfristig/langfristig kostet, als die Lohnerhöhung.

oder glaubst du nur weil da mehr 5% Mitglieder sind, ist der AG bereit 1% mehr zu bezahlen?

OK- aber dann können doch alle aus den verhandelnden Gewerkschaften austreten? Jeder kann sich den Beitrag sparen und in ETFs etc anlegen.

Verdimmtnochmal

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3680 am: 24.10.2023 12:32 »

Mich würde immer noch brennend interessieren, warum man diese Stadtstaaten-Zulage braucht.

In München, Düsseldorf oder Stuttgart ist das Leben doch etwas teuerer, als in Bremen ...

Es geht auch nicht um die Kosten in Großstädten, sondern um den Ausgleich zum TVÖD, da der Kommunalbeschäftigte in den Stadtstaaten nach TV-L und eben nicht nach TVÖD bezahlt wird.

Also ist dann der nächste Schritt in den anderen Bundesländern wieder nachzuziehen, da ja die Kollegen in Stadtstaaten mehr bekommen?
Verstehe nicht warum nicht alle gleich viel im TV-L bekommen, wenn man nach Tätigkeit eingruppiert wird.

Nachtigall

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3681 am: 24.10.2023 12:44 »
Also ich finde die Forderungszusammensetzung noch abstruser, wenn jetzt vorgetragen wird, dass ein Inflationsausgleich erreicht werden kann, wenn man im Bereich SuE und in einem Stadtstaat arbeitet und das dann mit der Grundforderung für alle Länder so und so viel als Gesamtforderung ergibt.

Die in Rede stehende Zulage hat nichts mit Inflationsausgleich zu tun. Sondern mit Differenzierung.


Hier zerlegt sich verdi doch meines Erachtens gerade erneut selbst. Verhandeln für 15 Bundesländer, aber fordern nur für 3 Stadtstaaten den Inflationsausgleich in Summe aller maximal möglichen Einzelbestandteile? Oh man - das kannste dir echt nicht ausdenken...
Zum Glück ist das Leben in Stuttgart, Mainz, München, Freiburg, Düsseldorf, Wiesbaden, Kiel oder Münster so viel günstiger als in den Stadtstaaten, sonst müsste man annehmen, dass das doch ein riesiger undifferenzierter Blödsinn ist.

Diese Differenzierung ist auch in den von Dir genannten Städten bitter nötig. Die Verhandlungsführer der betroffenen Flächenländer sehen das Problem aber nicht als dringend an. Somit wären diese die Adressaten, eine Differenzierung in die Verhandlungen einzubringen.

Die Verhandlungsführer der Stadtstaaten gehen voran, das ist gut, diese Tür muss endlich aufgestossen werden.
Wenn das geschehen ist, werden sich hoffentlich die Verhandlungsführer der Flächenländer um die Differnzierung kümmern. Zum Beispiel, indem man aus §16.5 beim Thema Lebenshaltungskosten eine "Soll"-Bestimmung macht.

Dummbeutel

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3682 am: 24.10.2023 12:51 »

Verstehe nicht warum nicht alle gleich viel im TV-L bekommen, wenn man nach Tätigkeit eingruppiert wird.

Weil der Landesbeschäftigte in Sachsen oder Bayern auch keine kommunalen Tätigkeiten machen muss. Der Beschäftigte im Stadtstaat jedoch schon.

cyrix42

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3683 am: 24.10.2023 12:54 »
Das TVöD-Argument ist doch aber ein schwaches; jedenfalls für die unteren Entgeltgruppen. Denn dort waren (und sind, Stand jetzt) die Tabellen-Entgelte im TV-L höher. Inwiefern besteht da jetzt ein besonderer Sog zum TVöD?

Ulf

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3684 am: 24.10.2023 13:01 »
Das TVöD-Argument ist doch aber ein schwaches; jedenfalls für die unteren Entgeltgruppen. Denn dort waren (und sind, Stand jetzt) die Tabellen-Entgelte im TV-L höher. Inwiefern besteht da jetzt ein besonderer Sog zum TVöD?

Eben, beim Bürgeramtsmitarbeiter sehe ich keine Defizite. Bei den höheren Entgeltgruppen liegen dort die Defizite im Vergleich zum TVÖD. Aber ausgerechnet da will verdi mit einer Pauschale nicht ran, die ja wieder überproportional untere EG pampert. Ergo will man, dass die EG 1-8 noch besser verdienen gegenüber dem TVÖD. Unverständlich. Und ein Mitglied in einem der restlichen vertretenen 12 Flächenländer wird sich fragen wie gut er von den Gewerkschaften hier vertreten wird. Zahlen sollen sie in den Flächenländern, aber erwarten dürfen sie nur weniger? Naja mal sehen wo das hinführt.

Zu Mitgliederwachstum führt das vermutlich genau so wenig wie die vergangenen Aussagen zu krass sozialen Ungerechtigkeiten bei Anpassungen einer JSZ...

troubleshooting

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3685 am: 24.10.2023 13:07 »
Und, jetzt nehmen wir noch die ganzen MA, welche per Organleihe für den Bund arbeiten, aber beim Land angestellt sind und nach TV-L vergütet werden. Sind auch eine ordentliche dreistellige Zahl, zumindest hier im Land.

cyrix42

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3686 am: 24.10.2023 13:19 »
Also ich habe ja nichts dagegen, wenn die Hamburger versuchen, durch ihren höheren Organisationsgrad mehr für sich zu erstreiken. Aber das Argument -- Konkurrenz zum TVöD in den Flächenländern -- erscheint mir nicht gerade logisch; jedenfalls nicht im Zusammenspiel mit der Formulierung der "Erwartung" in Form eines Sockelbetrags.

MoinMoin

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« Antwort #3687 am: 24.10.2023 13:21 »


Ersteres ist korrekt, zweites eine These.
Hat nicht der gute alte Spid seinerzeit dies mit Herrn Ford widerlegt?
Meine Gattin hat bessere Lohnerhöhungen die letzten 10 Jahre erhalten als ich, obwohl es kein Tarifvertrag ist, keine Gewerkschaft daran beteiligt war und sie nicht verhandelt hat.

Daher glaube ich nicht, dass die Ergebnisse besser wären, wenn wir statt 5-10% 25-50% Mitglieder hätten.

Es gibt doch so gesehen nur 2 Gründe warum die Ergebnisse "besser" werden:
a) der AG hat erkannt, was er bezahlen muss, damit er AN hat und halten kann. (Also Marktdruck)
b) Der AG gibt klein bei, weil ein Streik ihm mehr mittelfristig/langfristig kostet, als die Lohnerhöhung.

oder glaubst du nur weil da mehr 5% Mitglieder sind, ist der AG bereit 1% mehr zu bezahlen?

OK- aber dann können doch alle aus den verhandelnden Gewerkschaften austreten? Jeder kann sich den Beitrag sparen und in ETFs etc anlegen.
Warum?
1.) Ohne Gewerkschaften keine Tarifverträge
2.) Ohne Gewerkschaften keine Streiks
Die Anzahl der Streikenden ist jedoch nicht abhängig von der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder.
Streiken darf jeder.

Ich Zweifel doch nur den von dir behaupteten Automatismus an, dass die Menge der Mitglieder einen Einfluss auf das Ergebnis hat.

Peter

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3688 am: 24.10.2023 13:27 »
Lese jetzt erst die Forderung der Verdi
Ich weiß schon warum ich dort ausgetreten bin ... Richtiger Saftladen. Kann man die Führung per Petition nicht zum Rücktritt auffordern?
Was sind das bitte für lächerliche Forderungen?
Nach ein wenig hin und her kommt wahrscheinlich sowas wie ne Nullrunde 2023, 2,5% 2024 und 1,5% 2025 raus
Mehr erwarte ich echt nicht
Wird Zeit sich langsam aber ernsthaft nach einer Stelle in der Freien Wirtschaft umzusehen

daseinsvorsorge

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Antw:Tarifrunde TV-L 2023 - Diskussion
« Antwort #3689 am: 24.10.2023 13:33 »


1.) Ohne Gewerkschaften keine Tarifverträge
2.) Ohne Gewerkschaften keine Streiks
Die Anzahl der Streikenden ist jedoch nicht abhängig von der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder.
Streiken darf jeder.

Ich Zweifel doch nur den von dir behaupteten Automatismus an, dass die Menge der Mitglieder einen Einfluss auf das Ergebnis hat.

Streiken darf jeder ... tun idR aber nur die Organsierten. Oder wieviel sind Ihnen bekannt, die - wenn überhaupt -mehr als einen Tag auf eigene Kosten gestreikt haben ?

Wenn die Menge der Mitglieder keinen Einfluss hat; warum erreichen Gewerkschaften mit höheren O.grad bessere Ergebinsse, auf die hier gerne verwiesen wird. Siehe IG Metall oder auch GDL