Es ist genauso wie Bal schreibt, die Meinungen auch zu den Gewerkschaften dürfen und müssen unterschiedlich sein, allein schon deshalb, weil deren Zahl hoch ist. Vier Argumente, die in unserem Thema immer eine Rolle spielen, sollten dabei aber gleichfalls nicht außen vor bleiben:
1. So waren bis im Frühjahr des Jahres rund 2.000 Klagen in NRW anhängig (
https://www.dbb.de/artikel/besoldung-zu-niedrig-2000-klagen-belasten-verwaltungsgerichtbarkeit.html#:~:text=Besoldung%20zu%20niedrig:%202.000%20Klagen%20belasten%20Verwaltungsgerichtbarkeit.). Die Nennung einer genaueren Zahl hat das Landesamt für Besoldung und Versorgung NRW wie nicht anders zu erwarten auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben (
https://fragdenstaat.de/anfrage/anfrage-zur-anzahl-und-verteilung-der-besoldungsklagen-in-nrw-betreffend-die-besoldung-2022/#nachricht-992697). Höchstwahrscheinlich dürfte die Zahl heute noch einmal deutlich höher liegen, da ja rund 55.000 Widersprüche allein aus dem Jahr 2022 nicht ruhendgestellt wurden. Das bis vor 2020 regelmäßig vom Dienstherrn mit den Gewerkschaften vereinbarte Prinzip, wenige in der Regel dann von Gewerkschaften getragene und finanzierte Musterklagen zu führen und ansonsten die Widersprüche für den Klagezeitraum ruhend zu stellen, wird seitdem zunehmend weniger vonseiten der Exekutive beachtet. Das liegt nicht in der Verantwortung der Gewerkschaften. Zugleich dürfte klar sein, dass es in Anbetracht der genannten Zahlen für die Gewerkschaften finanziell nicht tragbar ist, diese zu finanzieren; denn man könnte ja nicht die Verfahren einzelner Mitglieder finanzieren, um andere später dann nicht mehr zu finanzieren, wo wollte man also die Grenze setzen, ohne die eigene Kassenlage über Gebühr anzutasten? Man darf unterstellen, dass nicht zuletzt darin der Zweck des genannten Handelns der Landesregierungen liegt, also sowohl die Zahl der Klagen möglichst gering zu halten als auch Zwietracht in die Gewerkschaften hineinzutragen. Das ist bitter, aber so ist leider die Sachlage - wer meint, das sei vor allem der Gewerkschaftspolitik geschuldet, verkennt die tatsächliche gewerkschaftliche Kassenlage wie auch die personelle Ausstattung von Gewerkschaften, die - wenn sie ggf. auch nicht die Vertretung der Kläger selbst übernimmt - auch weiterhin ihren Mitgliedern gegenüber Rechenschaft abgeben müssen, was bedeutet, dass eine gewerkschaftliche Kraft die Verfahren organisatorisch begleiten muss, bei mehreren tausend Verfahren kommt also neben der finanziellen ebenso die personelle Kapazität hinzu.
2. Wer ab und an als Privatmensch mit politischen Verantwortungsträgern zu tun hat, erlebt regelmäßig, dass das Thema Besoldung dort mindestens bei jenen, die sich in Regierungsverantwortung sehen, nicht immer auf gänzlich vollständige beide Ohren ganz offen trifft. Man darf sich also ausrechnen, wie das wohl intern den Gewerkschaften gegenüber aussehen wird, die sowieso wissen, dass sie bei diesem Thema nicht nur auf Granit beißen, sondern dass sie - im einem Rechtskreis mehr als in dem anderen - sich ausrechnen können, dass - sofern sie das Thema (zu sehr für die jeweiligen Verantwortungsträger) in den Mittelpunkt stellen - man ihnen recht schnell klarmacht, dass es doch auch noch viele andere schöne Themen gibt, die allesamt ebenfalls für die Gewerkschaften wichtig sind und wo man gerne vonseiten der Politik mit noch einmal deutlich härteren Bandagen verhandeln kann, wenn das gewerkschaftsseitig erwünscht sei. Der Kostenfaktor Personal ist in allen Landeshaushalten ein gewaltiger - wer daran gewerkschaftsseitig (aus Sicht politischer Verantwortungsträger) zu sehr rührt, darf generell nicht damit rechnen, dass das mit zu großer Sympathie aufgenommen wird. Auch hier sind die Machtverhältnisse erheblich unterschiedlich gegeben.
3. Gewerkschaften haben bekanntlich nur einen sehr begrenzten Einfluss auf Besoldungsgesetzgebungsverfahren. Dieser Einfluss liegt hier vielmehr im Beteiligungsverfahren. Da ich die Arbeit verschiedener Gewerkschatfen und Verbände in den letzten Jahren recht umfassend mitbekommen habe und mich aus eigener Erfahrung hier auch auskenne, weiß ich, mit wie viel Arbeit das verbunden ist und wie viel Arbeit da auch regelmäßig vollzogen wird. Es wird nun an Karlsruhe liegen, die 2018er Rechtsprechung zum Streikverbot hinsichtlich der Beteiligungsrechte zu konkretisieren, was - das habe ich hier ja in der Vergangheit wiederkehrend dargelegt - nun auch geschehen dürfte. Damit wird das Beteiligungsverfahren erheblich an Schärfe gewinnen. In Anbetracht der unter Nr. 1 genannten neuen Probleme und in Anbetracht der unter Nr. 2 und gleich auch noch einmal unter der Nr. 4 genannten tatsächlichen Machtverhältnisse ist hier bislang ein echter Hebel für Gewerkschaften und Verbände kaum gegeben. Karlsruhe wird diese nun - wie genannt - zumindest ein wenig zurechtrücken müssen.
4. Das eigentliche Hauptfeld gewerkschaftlicher Macht sind also vor allem die Tarifverhandlungen und das Streikrecht, das aber - wenn man das scharfe Schwert Streik wirklich ziehen will - ebenfalls mit absehbar hohen Kosten verbunden ist. Auch hier ist also die Abwägung, wie weit man geht - nicht zuletzt auch hinsichtlich des Wissens, dass den aktuellen Tarifverhandlungen alsbald nächste folgen werden - und was das also mit den eigenen finanziellen Verhältnissen zu tun hat, vorauszusetzen. Dabei darf man nicht ausklammern, dass den Gewerkschaften und Verbänden im Zuge der Reföderalisierung des Besoldungsrechts in massiver Form echte machtvolle Handlungsfähigkeit genommen worden ist, da wir nun 17 Rechtskreise haben. Der hellsichtige
Rudolf Summer hat schon 2003, als sich die Reföderalisierung abzuzeichnen begann, die mit ihr einhergehenden Probleme deutlich auf den Punkt gebracht, als er schrieb:
"Da die Intension der neuen Bemühungen auf eine Besoldungsabsenkung gerichtet ist, müssen die betroffenen Beamten und Richter zwangsläufig verstört reagieren. Bei den beabsichtigten Bandbreiten von 10 vom Hundert sind massive Eingriffe zu befürchten. Für die Verbände ergibt sich das Problem, dass sie in einer Weise in die Rolle der Bittsteller versetzt werden, wie wir es bisher in Deutschland nicht gekannt haben. Sie müssen – wenn die Veränderung realisiert wird – dem Landesfürsten die Füße küssen, wenn dieser gnädig zugesteht, nicht wie im Nachbarland auf 90 vom Hundert, sondern nur auf 91 vom Hundert abzusenken. Mit der Würde ihrer Verbandsvertreter ist aber zugleich die Würde des Berufsstandes insgesamt in Frage gestellt. […] Die Auflösung einer bundesgesetzlichen Normierung mit dem Programm ‚Flexibilisierung‘ wird daher – wie Martin Kutschka [Fn.] zutreffend bemerkt – zur Auflösung des Berufsbeamtentums beitragen. Wer auf das Berufsbeamtentums setzt, sollte daher dem Vorhaben Widerstand entgegensetzten." (ZBR 2003, S. 28, 29)
Dieser Prozess - Schwächung des Berufbeamtentums und ihrer Verbands- und Gewerkschaftsvertreter - ist seitdem fröhlich im Gange und dürfte zu Personalkosteneinsparungen geführt haben, die man kaum beziffern kann. Das kann man den Gewerkschaften vorwerfen, wenn man das will; man darf sich aber dabei auch fragen, was man selbst anders machen würde, wäre man ein entsprechender gewerschaftlicher Verantwortungsträger - und wie die Sachlage heute wohl aussehen würde, hätte es nach 2003 keine Gewerkschaften und Verbände gegeben.