Autor Thema: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)  (Read 7423297 times)

bebolus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18450 am: 16.09.2025 17:44 »
Das Problem an Mietspiegeln ist ein mehrfaches, nämlich erstens, dass sie zwischenzeitlich zwar für die meisten Großstädte vorliegen, jedoch für große Teile der Kleinstädte und weiteren ländlichen Regionen nicht. Darüber hinaus dürften sie dort, wo sie vorliegen, realitätsgerechter sein - worauf Du berechtigt hinweist, regas, - als die Mietenstufen. Allerdings müsste sich zweitens erst noch beweisen, ob sie tatsächlich überall (wenn sie denn überall vorliegen sollten) hinreichend konkret sind, um ein Alimentationsbedürfnis sachgerecht darstellen zu können. Drittens bleibt aber grundsätzlich das vom Besoldungsgesetzgeber zu beachten, was ich am Ende meines letzten Beitrags schreibe, nämlich dass Ortszuschlägen keine strukturprägende Bedeutung zukommt, sie also nicht Teil der hergebrachten Grundsätze sind, weshalb sie nur eine Detailregelung darstellen können. Da eine Besoldungsbemessung anhand von Alimentationsbedürfnissen nicht sachgerecht ist - der Beamte ist keine Hilfebedürftiger, der qualitative Unterschied zwischen Sozial- und Beamtenrecht ist vom Besoldungsgesetzgeber hinreichend zu beachten -, sondern das statusrechtliche Amt der Maßstab der Besoldungsbemessung ist, kann ein Ortszuschlag auch deshalb allenfalls in verhältnismäßig geringer und dann einheitlicher Höhe geregelt werden. Dabei ist - ähnlich wie bei sozialen Besoldungskomponenten - ggf. eine Zweiteilung hinsichtlich der Laufbahngruppen einfacher und mittlerer Dienst und gehobener und höherer Dienst möglich, weil sich das anhand des Leistungsprinzips sachlich rechtfertigen ließe, wobei auch hier dann der Unterschied zwischen beiden Ortszuschlägen vielleicht 30,- bis 50,- € pro Monat ausmachen könnte.

Mehr wird sich sachlich nicht bewerkstelligen lassen, denke ich, wenn man sich nicht dem von GoodBye gerade sicherlich nicht ganz zu unrecht eingebrachten Vorwurf eines Rechtspositivismus einhandeln wollte, der wesensmäßig nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar wäre. Wir leben nicht mehr im endenden 19. Jh. und auch nicht mehr in der beginnenden Weimarer Republik.

Naja, angenommen in M-V und in München wohnen jeweils ein A6er Landesbeamter und ein A6er Bundesbeamter nebeneinander in einer Doppelhaushälfte. Jeder legt Wiederspruch gegen die Besoldung ein.. Bei der Berechnung der 115% setzen die beiden VG der Landesbeamten unterschiedliche Wohnkosten, nämlich die des jeweiligen Landes, an.. Oder? Welche Wohnkosten soll jetzt für die beiden Bundesbeamten gelten? Die, die auch beim Nachbarn Landesbeamten für die Berechnung herangezogen werden, oder wird da ein Bundesdurchschnitt genommen?

Jedenfalls kann ich mir persönlich durchaus Beträge um die 300 als Zulage (auch für kinderlose Ledige) vorstellen, wenn Kinderbetreuungskosten in die Überlegung einfließen (M-V derzeit 0,00 Euro), auch z. B. höhere FamZuschl.

Aber was GoodBye meiner Ansicht nach zutreffend bemerkt ist, dass solche Sachen bürokratisch einschlagen.

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18451 am: 16.09.2025 18:21 »
Das Problem an Mietspiegeln ist ein mehrfaches, nämlich erstens, dass sie zwischenzeitlich zwar für die meisten Großstädte vorliegen, jedoch für große Teile der Kleinstädte und weiteren ländlichen Regionen nicht. Darüber hinaus dürften sie dort, wo sie vorliegen, realitätsgerechter sein - worauf Du berechtigt hinweist, regas, - als die Mietenstufen. Allerdings müsste sich zweitens erst noch beweisen, ob sie tatsächlich überall (wenn sie denn überall vorliegen sollten) hinreichend konkret sind, um ein Alimentationsbedürfnis sachgerecht darstellen zu können. Drittens bleibt aber grundsätzlich das vom Besoldungsgesetzgeber zu beachten, was ich am Ende meines letzten Beitrags schreibe, nämlich dass Ortszuschlägen keine strukturprägende Bedeutung zukommt, sie also nicht Teil der hergebrachten Grundsätze sind, weshalb sie nur eine Detailregelung darstellen können. Da eine Besoldungsbemessung anhand von Alimentationsbedürfnissen nicht sachgerecht ist - der Beamte ist keine Hilfebedürftiger, der qualitative Unterschied zwischen Sozial- und Beamtenrecht ist vom Besoldungsgesetzgeber hinreichend zu beachten -, sondern das statusrechtliche Amt der Maßstab der Besoldungsbemessung ist, kann ein Ortszuschlag auch deshalb allenfalls in verhältnismäßig geringer und dann einheitlicher Höhe geregelt werden. Dabei ist - ähnlich wie bei sozialen Besoldungskomponenten - ggf. eine Zweiteilung hinsichtlich der Laufbahngruppen einfacher und mittlerer Dienst und gehobener und höherer Dienst möglich, weil sich das anhand des Leistungsprinzips sachlich rechtfertigen ließe, wobei auch hier dann der Unterschied zwischen beiden Ortszuschlägen vielleicht 30,- bis 50,- € pro Monat ausmachen könnte.

Mehr wird sich sachlich nicht bewerkstelligen lassen, denke ich, wenn man sich nicht dem von GoodBye gerade sicherlich nicht ganz zu unrecht eingebrachten Vorwurf eines Rechtspositivismus einhandeln wollte, der wesensmäßig nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar wäre. Wir leben nicht mehr im endenden 19. Jh. und auch nicht mehr in der beginnenden Weimarer Republik.

Naja, angenommen in M-V und in München wohnen jeweils ein A6er Landesbeamter und ein A6er Bundesbeamter nebeneinander in einer Doppelhaushälfte. Jeder legt Wiederspruch gegen die Besoldung ein.. Bei der Berechnung der 115% setzen die beiden VG der Landesbeamten unterschiedliche Wohnkosten, nämlich die des jeweiligen Landes, an.. Oder? Welche Wohnkosten soll jetzt für die beiden Bundesbeamten gelten? Die, die auch beim Nachbarn Landesbeamten für die Berechnung herangezogen werden, oder wird da ein Bundesdurchschnitt genommen?

Jedenfalls kann ich mir persönlich durchaus Beträge um die 300 als Zulage (auch für kinderlose Ledige) vorstellen, wenn Kinderbetreuungskosten in die Überlegung einfließen (M-V derzeit 0,00 Euro), auch z. B. höhere FamZuschl.

Aber was GoodBye meiner Ansicht nach zutreffend bemerkt ist, dass solche Sachen bürokratisch einschlagen.

Das Beispiel ist so formuliert unerheblich, bebolus, weil wir in ihm zwei Beamten unterschiedlicher Rechtskreise vorfinden (was "unerheblich" meint, schreibe ich gleich). Der betreffende Besoldungsgesetzgeber hat in der heutigen föderalen Kompetenzordung der Bundesrepublik sicherzustellen, dass die seiner Besoldungsgesetzgebung unterworfenen Beamten amtsangemessen besoldet werden. Hinsichtlich der Bundes- und Landesbeamten gilt nur der Grundsatz der Bundestreue, aber kein besoldungsrechtliches Homogenitätsprinzip, was bedeutet, dass einem Bundes- und einem Landesbeamter, die nebeneinander wohnen, sowohl eine unterschiedlich hohe Grundbesoldung als auch unterschiedliche Zuschläge und Zulagen unterschiedlicher Höhen gewährt werden können, sofern diese jeweils sachgerecht sind und sich deshalb auch nicht unbegrenzt auseinanderentwickeln (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 80; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).

Darüber hinaus bezieht sich das, was ich geschrieben habe, auf die Besoldungsbemessung, nicht aber auf das Mindestabstandsgebot, das tatsächlich zwar ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums ist, aber nichts mit einer amtsangemessenen Alimentation zu tun hat (die Mindestalimentation bildet nur die Grenze zur Unteralimentation ab, die aber keine unmittelbare Aussage über die Höhe der amtsangemessenen Alimentation zulässt). Es bezieht sich also auf die Beamten, die als Bundesbeamte der Bundesbesoldung und als Landesbeamte der jeweiligen Landesbesoldung und also jeweils deren Gesetzgebung unterworfen sind.

Einen ggf. erheblichen Betrag (hier also 300,- €) zu nennen - "erheblicher Betrag" meint regelmäßig: ein Betrag, der in einem Klageverfahren einen Unterschied machen kann -, ohne ihn zu konkretisieren, ist das, was das Bundesverfassungsgericht als eine Schätzung ins Blaue hinein bezeichnet. Vorstellen können wir uns alle, also auch der Besoldungsgesetzgeber, viel - er sieht sich allerdings in der Pflicht, seine Vorstellungen, sofern sie ihm zu Entscheidungen gerinnen, sachgerecht zu begründen. Eine Entscheidung erweist sich mindestens dann als unbegründet, wenn sie evident sachwidrig ist. Eine Schätzung ins Blaue hinein ist prozedural evident sachwidrig, wenn die Beträge, um die es geht, erheblich sind.

Ergo: Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich gezwungen, das, was ich heute thematisch geschrieben habe, als sachlich unerheblich oder als sachlich falsch begründen zu können und entsprechende Kritik noch während des laufenden Gesetzgebungsverfahren zu widerlegen, sofern diese Kritik im Gesetzgebungsverfahren formuliert worden ist; widerlegt er solche ihm im Rahmen der Beteiligung zugegangene Kritik nicht während des Gesetzgebungsverfahren, ist ihm das nach dessen Abschluss nicht mehr so ohne Weiteres möglich. Erweist sich die Kritik in einem Klageverfahren als sachlich und die versuchte Widerlegung als unsachlich, können wir davon ausgehen, dass der Gesetzgeber mindestens die ihn treffenden prozeduralen Anforderungen nicht hinreichend erfüllt hat. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war sein Handeln dann gleichfalls auch evident sachwidrig.

Ergo: Wärst Du der Besoldungsgesetzgeber, müsstest Du Dich nun veranlasst sehen, sofern Du einen Betrag von 300,- € gewähren wolltest und das am Ende auch gesetzlich so regeln würdest, das sachgerecht zu begründen. Sobald Du eine Begründung ins Feld führen würdest, müsstest Du damit rechnen, dass Dir im Beteiligungsverfahren das entgegnet wird, was ich heute hier dargelegt habe. Daraufhin müsstest Du Dich als Gesetzgeber nun veranlasst sehen, das, was ich geschrieben habe, noch während des laufenden Gesetzgebungsverfahren sachlich zu widerlegen, sodass das, was Du als Gesetzgeber geregelt hast, sich als sachgerecht erweist, während meine Kritik dann als unsachlich oder unbegründet zu betrachten wäre. Etwas als unsachlich zu widerlegen, bedeutet, den Nachweis zu führen, dass es gar nichts mit der Sache zu tun hat oder dass es der Sache nach falsch ist.

bebolus

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18452 am: 16.09.2025 18:40 »
Sven, in dem von mir gebildeten Beispiel wäre es dann doch aber so, dass bei gleichem statusrechtlichen Amt, drei unterschiedliche Ergebnisse bei der Prüfung der 115% herauskommen würden. Womöglich würden Gerichte für die in M-V wohnenden Beamten bei dem einen den Parameter verletzt sehen und beim anderen nicht. Das ist in meinen Augen absurd. Und in der weiteren Folge verstehe ich es nicht, einen Ortszuschlag als EINEN separaten Baustein von vorneherein als nicht sachlich begründbar auszuschließen. Schließlich stellen die unterschiedlichen VG doch gerade in ihren Berechnungen genau das heraus. Warum soll bei der Prüfung des Landesbeamten ein anderer Wert für den Parameter gelten, als für den nebenan wohnenden und statusgleichen Bundesbeamten.

BuBea

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18453 am: 16.09.2025 19:16 »

Ergo: Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich gezwungen, das, was ich heute thematisch geschrieben habe, als sachlich unerheblich oder als sachlich falsch begründen zu können und entsprechende Kritik noch während des laufenden Gesetzgebungsverfahren zu widerlegen, sofern diese Kritik im Gesetzgebungsverfahren formuliert worden ist; widerlegt er solche ihm im Rahmen der Beteiligung zugegangene Kritik nicht während des Gesetzgebungsverfahren, ist ihm das nach dessen Abschluss nicht mehr so ohne Weiteres möglich. Erweist sich die Kritik in einem Klageverfahren als sachlich und die versuchte Widerlegung als unsachlich, können wir davon ausgehen, dass der Gesetzgeber mindestens die ihn treffenden prozeduralen Anforderungen nicht hinreichend erfüllt hat. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war sein Handeln dann gleichfalls auch evident sachwidrig.

Diesen Punkt hattest Du schon mal dargestellt und damals habe ich mich schon gefragt, dass damit den Beteiligten eine besondere Verantwortung zukommt. Siehst Du in der Breite (Bund & Länder) bei der von den Gesetzgebern an den Tag gelegten Kreativität die Ressourcen bei den Beteiligten dieser Verantwortung gerecht zu werden? Veranstaltung wie in Thüringen sind dabei sicherlich sehr hilfreich, aber wird das reichen, um die Gesetzgeber wieder auf den richtigen Pfad zu setzen/lenken?

SwenTanortsch

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18454 am: 16.09.2025 19:22 »
Sven, in dem von mir gebildeten Beispiel wäre es dann doch aber so, dass bei gleichem statusrechtlichen Amt, drei unterschiedliche Ergebnisse bei der Prüfung der 115% herauskommen würden. Womöglich würden Gerichte für die in M-V wohnenden Beamten bei dem einen den Parameter verletzt sehen und beim anderen nicht. Das ist in meinen Augen absurd. Und in der weiteren Folge verstehe ich es nicht, einen Ortszuschlag als EINEN separaten Baustein von vorneherein als nicht sachlich begründbar auszuschließen. Schließlich stellen die unterschiedlichen VG doch gerade in ihren Berechnungen genau das heraus. Warum soll bei der Prüfung des Landesbeamten ein anderer Wert für den Parameter gelten, als für den nebenan wohnenden und statusgleichen Bundesbeamten.

Das bundesverfassungsgerichtliche "Pflichtenheft" ist ja vom Bundesverfassungsgericht als für die Fachgerichtsbarkeit bindend erstellt worden. Dabei hat der Senat in der letzten Entscheidung - genau aus solchen Gründen und im Hinblick auf solche möglichen Fragen - das Fachgericht dazu verpflichtet, immer eine Gesamtabwägung zu vollziehen, in der alle für oder gegen eine evident unzureichende Alimentation aufgeworfenen Erkenntnisse gegeneinander abgewogen werden müssen.

Ich konkretisiere das also jetzt der Einfachheit halber (und deshalb natürlich nur auschnittsweise) für Dein Beispiel, bebolus. Stellen wir uns also vor, es ginge um die Höhe der Mindestalimentation: Dann müssen wir weiterhin davon ausgehen, dass sie für einen Bundesbeamten, der seinen Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern hat, erheblich höher liegt als für einen Landesbeamten des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Denn - darauf spielst Du an, denke ich - das 95 %-Perzentil für den Bundesbeamten wird am bayerischen Rechtskreis gebildet, das 95 %-Perzentil für den Landesbeamten am mecklenburg-vorpommerischen. Für das Jahr 2023 ist von kalten Unterkunftskosten in Bayern von 1.515,- €, in Mecklenburg-Vorpommern von 876,- € auszugehen. Hinsichtlich des vierten Parameters haben wir hier also einen erheblichen Unterschied zu gewährtigen.

Damit wären wir aber weiterhin nicht bei der Besoldungsbemessung, weshalb ich regelmäßig darauf hinweise, dass beides - das Mindestabstandsgebot und die Besoldungsbemessung - nichts unmittelbar miteinander  zu tun haben. Die Bundesbesoldung würde sich also im Klageverfahren ggf. als unmittelbar verletzt zeigen, wenn sie um 500,- höher liegen würde als die mecklenburg-vorpommerische, da ja der genannte Differenzbetrag 640,- € ausmacht, während das für die mecklenburg-vorpommerische so nicht der Fall sein müsste.

Allerdings hebt der Senat ebenfalls hervor: "Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist." (Rn. 61 der aktuellen Entscheidung). Es wird also dem Verwaltungsgericht in der Gesamtabwägung hinsichtlich der Bundesbesoldung die Möglichkeit gegeben, die tatsächlichen Verhältnisse in den Blick zu nehmen, da er ja in Mecklenburg-Vorpommern nicht unmittelbar von den bayerischen Unterkunftskosten betroffen ist.

All das hat also bislang - und auch weiterhin - erst einmal nichts mit dem zu tun, was ich heute zum Ortszuschlagswesen geschrieben habe. Dessen Bemessung folgt den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die ich heute ausgeführt habe.

Nichtsdestotrotz bleibt das von Dir dargestellte Problem von erheblich unterschiedlichen Mindestalimentationen zwischen den verschiedenen Rechtskreisen -  der Bundesbesoldung und der mecklenburg-vorpommerischen - bestehen. Eventuell wird sich deshalb der Senat in den angekündigten Entscheidungen diesbezüglich präzisierend äußern.

Darüber hinaus haben uns allerdings - denke ich - die letzten fünf Jahre erheblich (!) geprägt, in denen die Besoldungsgesetzgeber die Mindestalimentation ja regelmäßig nicht als solche betrachtet haben, sondern wie einer Art - wie soll man das bezeichnen (?) - "Höchstmindestalimentation", also nicht als die Grenze zur Unteralimentation, sondern als eine Art Pendant zu einer irgendwie hinsichtlich des Musterbeamten in die Höhe zu treibende zu gewährende Nettoalimentation. Dieses regelmäßige Vorgehen der 17 Besoldungsgesetzgeber hat uns alle jahraus, jahrein geprägt, sodass das - denke ich - bei uns allen eine maßgebliche Erkenntnis der aktuellen Entscheidung vom 4. Mai 2020 verschüttet hat, die ja zu einer Zeit ergangen ist, da den Beamten seit Jahr und Tag "Sonderopfer" auf "Sonderopfer" abverlangt worden war, während 2020 - Corona war in seinen Ausmaßen noch kaum abzusehen, als die Entscheidung weitgehend abgeschlossen sein durfte, der russische Angriffkrieg auf die Ukraine erst recht nicht - die Haushalte von Bund und Ländern andere war als heute.

Diese maßgebliche Erkenntnis lautet: 2020 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundgehaltssätze in der Bundesrepublik als verfassungsrechtlich so gering angesehen, dass eine auf realitätsgerechter Basis bemessene Mindestalimentation zu diesen eklatanten Fehlbeträgen geführt hat, wie sie für Berlin galten: Aus dem Kopf geschrieben in Berlin zwischen 2009 und 2015 mit einem Nettofehlbetrag von über 60.000,- €.

Was wir uns also nicht vorstellen können, ist, dass das Bundesverfassungsgericht 2020 erlassen hat, dass in Bayern und damit auch im Bund die Grundgehälter in einem sehr Maße angehoben werden müssen, was dazu führen wird, dass Mecklenburg-Vorpommern weiterhin deutlich geringer alimentieren kann, aber - um konkurrenzfähig zu bleiben - sich veranlasst sehen dürfte, die eigene Grundbesoldung so anzuheben, dass sie zu einer erheblich oberhalb der Mindestalimentation liegenden Nettoalimentation führen sollte.

Ich gehe davon aus, dass diese meine Antwort hier einige nicht befriedigen wird. Eine andere liegt für mich allerdings nicht auf der Hand. Denn der Senat wird sich unter der Präsidentschaft von Andreas Voßkuhle viele Gedanken über die Maßstäbe seiner Rechtsprechung gemacht haben, bis er zu der Entscheidung vom 4. Mai 2020 gekommen sein wird.

@ BuBea

Ich verstehe noch nicht ganz, was Du meinst: Versuch das Problem noch einmal umzuformulieren, sodass ich es verstehe!

BuBea

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18455 am: 16.09.2025 22:11 »
Die im Rahmen der Beteiligung zugegangene Kritik dürfte oder müsste nach meinem Verständnis von den Gewerkschaften kommen. Sind diese aus Deiner Sicht so aufgestellt, dieser Aufgabe gerecht zu werden bei der Komplexität und Kreativität der Gesetzgeber und der unterschiedlichen Vorgehensweisen der Länder? Vom DRB haben wir ja vieles gesehen, von anderen weniger. Wenn ich mich richtig erinnere hatte doch auch der DRB das Musterklageverfahren ins Spiel gebracht, was ja etwas in den Hintergrund treten könnte, wenn zu den jeweiligen Gesetzgebungsverfahren fundierte Kritik angebracht würde.

Letzten Endes müsste das ja auf sehr engmaschig betreute Gesetzgebung hinaus laufen, wobei das BVerfG durch die nicht zulässige nachträgliche Heilung der Begründung den Druck sehr schön erhöht hat.

Callisto

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18456 am: 16.09.2025 23:15 »
(...) Denn weder sind dort die jeweiligen Mietenstufen oder Ortsklassen an den tatsächlichen Verhältnissen geprüft worden noch hat man überhaupt irgendwelche Gedanken angestellt, die sich mit der Frage beschäftigten hätten, was die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich von Art. 3 Abs. 1 GG konkret fordert, wenn man sich an den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes orientieren wollte.

Wenn das BVerfG der Meinung gewesen wäre, dass die Mietenstufen des Wohngesetzes nicht im Grundsatz den tatsächlichen Verhältnissen entspreche, hätte es diese ganz sicher nicht als "leicht zu handhabendes" und "bereit" stehendes Kritierium bezeichnet. Und wenn das BVerfG nicht der Meinung wäre, dass die Mietenstufen des Wohngesetzes im Grundsatz den eigenen Anforderungen hinsichtlich Art. 3 Abs. 1 GG entsprechen, hätte das Gericht diese nicht am Ende des Absatzes - in dem es die eigenen Anforderungen bennent - selbst als Kritierum  vorgeschlagen

Ich finde es wenig nachvollziehbar, wie man darauf kommt, dass das BVerfG nicht akzeptieren würde, dass die Landesgesetzgeber genau diese Kriterium (insb. auch ohne gesonderte und allgemeine Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse) hinsichtlich der Ortsdifferenzierung verwenden.

Alexander79

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18457 am: 17.09.2025 06:14 »
Ich finde es wenig nachvollziehbar, wie man darauf kommt, dass das BVerfG nicht akzeptieren würde, dass die Landesgesetzgeber genau diese Kriterium (insb. auch ohne gesonderte und allgemeine Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse) hinsichtlich der Ortsdifferenzierung verwenden.

Ich bin in der Sache nicht so tief drin, hab zwar einiges gelesen, weiß aber nicht mehr wo ich das alles gelesen habe. Glaube aber es war die Stellungnahme des DRB.
Sicher dürfen die Mietenstufe grundsätzlich "berücksichtigt" werden, aber es muss sichergestellt sein das sie nicht alleine zählen, wie bei Bürgergeldempfängern.
Bei Bürgergeldempfängern wird auch erstmal die Wohngeldstufe genommen, es gibt aber noch eine extra Tabelle in der die angemessene Mieten noch akzeptiert werden.

Bei uns im Landkreis können sich also Unterschiedsbeträge von Gemeinde zu Gemeinde bereits von 200€ und mehr ergeben.

Und hier liegt das Problem, was ich denke welches Swen meint.

Der Besoldungsgesetzgeber müsste also, diesen Ortszuschlag viel differenzierter auskleiden und müsste dies genau sachlich begründen warum er das so macht.

Wahrscheinlich kommt dann aber wieder das nächste Problem, wie kann der Besoldungsgesetzgeber sachlich begründen, eine angemessene (fiktive) Bruttokaltmiete ansetzen, wenn der Beamte aber eine abbezahlte Eigentumswohnung hat?
Theoretisch würde es ja in diesem Fall reichen einen Vorteil in der Alimentation zu sehen und man könnte nur eine Instandhaltungspauschale ansetzen, die aber hypothetisch nach dem Baujahr des Eigenheims gerichtet sein müsste.

Das BVerfG wollte somit nur aufzeigen, welche Möglichkeiten er Besoldungsgesetzgeber zwar grundsätzlich hat, die er selbstverständlich sachlich zu begründen hätte, aber die Krux an der Sache, jeder Griff in die Trickkiste führt eventuell zu neuen Problemen, da die Griffe in die Trickkiste faktisch gar nicht sachlich zu begründen sind.

Das wiederrum ist aber nicht Aufgabe des BVerfG.

Rheini

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18458 am: 17.09.2025 07:35 »
Veröffentlicht das BVerfG seine Entscheidung eigentlich mit Vorankündigung oder wird diese ohne diese erfolgen?

Dunkelbunter

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18459 am: 17.09.2025 07:43 »
Was mich ja mal interessieren würde, ob nun wirklich an einen neuen Entwurf für die aA gearbeitet wird oder man die Haushaltsplanung + BverfG abwartet.

Candyman

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18460 am: 17.09.2025 07:54 »
Was mich ja mal interessieren würde, ob nun wirklich an einen neuen Entwurf für die aA gearbeitet wird oder man die Haushaltsplanung + BverfG abwartet.

ich kann mir nicht vorstellen dass der DH abwarten würde wenn ein so strenges Korsett erwartet werden würde vom BVerfG. Ich würde mich nicht wundern, wenn wieder irgendwas hingeknallt wird, was verfassungsrechtlich fragwürdig ist nur um noch mehr Zeit zu kaufen. Schließlich muss das dann ja nochmal alles geprüft werden.

Dunkelbunter

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18461 am: 17.09.2025 07:59 »
Was mich ja mal interessieren würde, ob nun wirklich an einen neuen Entwurf für die aA gearbeitet wird oder man die Haushaltsplanung + BverfG abwartet.

ich kann mir nicht vorstellen dass der DH abwarten würde wenn ein so strenges Korsett erwartet werden würde vom BVerfG. Ich würde mich nicht wundern, wenn wieder irgendwas hingeknallt wird, was verfassungsrechtlich fragwürdig ist nur um noch mehr Zeit zu kaufen. Schließlich muss das dann ja nochmal alles geprüft werden.

Ja eben um die 99% abzufertigen, die keine Klage einreichen wollen oder nie ein Widerspruch gemacht haben.
Aber denen rennt ja quasi die Zeit davon und so ein Entwurf ist ja auch nicht in 1 Monat durch.

Alexander79

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18462 am: 17.09.2025 08:06 »
Ja eben um die 99% abzufertigen, die keine Klage einreichen wollen oder nie ein Widerspruch gemacht haben.
Aber denen rennt ja quasi die Zeit davon und so ein Entwurf ist ja auch nicht in 1 Monat durch.
Nur das mit einem neuen Gesetz dein Widerspruch abgebügelt wird.
Somit hast du dann Zeit binnen eines Monats Klage einzureichen.
Machst du das nicht, hat dein Widerspruch der letzten Jahre überhaupt nichts gebracht.

Das mit dem Widerspruch ist ja immer alles schön und gut, bringt dir im schlimmsten Fall aber nichts, wenn du nicht bereit bist und die eventuellen Kosten zu tragen um eine Klage durchzuziehen.

clarion

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18463 am: 17.09.2025 08:07 »
Bei der Ausgestaltung der Ortszuschläge wird es ohne Pauschalisierungen nicht gehen. Und möglicherweise wären Mietenstufen ein probates Mittel für die Pauschalisierung. Denn da wo Mieten hoch sind, ist es auch teuer, eine Immobilie zu kaufen oder zu bauen. Wer da ein Haus geerbt hat, hat halt Glück gehabt. Spannender ist die Frage, ob sich der Ortzuschlag nach dem Dienst- oder Wohnort richtet. Denn so mancher nimmt weite Fahrten zum Dienst in Kauf, weil Wohnen am Dienstort unbezahlbar ist.

Wie auch immer dürfen Zuschläge für Familien und Ort nur eine begrenzte Höhe in der Gesamtbesoldung haben, da sonst das Leistungsprinzip durchbrochen wird.

GoodBye

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Antw:Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvL 4/18)
« Antwort #18464 am: 17.09.2025 08:37 »
Ich stelle mal in den Raum, auch wenn es wenig rechtlich wird:

Ein möglicher Ortszuschlag wird keine höheren Wohnkosten in München egalisieren, egal mit welchem Pendler man das vergleichen möchte. Wenn man es am tatsächlichen ausrichtet.

Beispiel einer Großstadt: Mietspiegel in der Stadt bei 17 Euro, im Landkreis darum 11 Euro Kaltmiete/m2.

Bei 6 Euro Unterschied wären das z.B. bei einer 100 qm2-Wohnung für eine 4K-Familie 600 Euro netto (!) Unterschied.

Diese Form von Zuschlag käme aufgrund allem, was Swen hier bereits ausgeführt hat, nicht in Betracht.

Letztlich dient der Zuschlag nur dem Zweck, die Grundbesoldung im Schnitt niedriger gestalten zu können. Ausrichtung an tatsächlichen Lebensverhältnissen bezweckt m.E. mitnichten einer Besserstellung.