Hallo Swen, erstmal vielen Dank für deine immer wieder erhellenden und oft auch unterhaltsamen Beiträge hier – die Mischung aus Tiefgang und Humor tut in diesem Marathon-Thema echt gut.
Eine Frage, die mich (und sicher viele andere stille Mitleser) schon länger umtreibt: Angenommen, der Senat in Karlsruhe hat im Sommer längst den Beschluss gefasst und wir alle warten jetzt nur noch auf die Veröffentlichung – was könnte deiner Einschätzung nach realistisch noch eine Verzögerung bewirken? Liegt es nur an der berühmten „Redaktionsphase“, an taktischem Timing oder gibt es auch rechtliche Feinheiten (z. B. Richterbesetzung, Sondervoten etc.), die den Senat bremsen könnten?
Und zweite Frage – mit etwas Augenzwinkern: Könnte es theoretisch sogar sein, dass Karlsruhe uns am Ende nicht nur mehr Geld, sondern auch so etwas wie eine „Entschädigung für zu langes Warten“ spendiert – quasi als kleines Trostpflaster für die Nerven? 😉
Bin gespannt auf deine Sicht – und danke, dass du hier immer so geduldig für Klarheit sorgst.
Hab Dank für Deine Worte, appropriate, über die ich mich freue.
Zu Deinen Fragen: Ich gehe wie dargelegt davon aus, dass die Entscheidung vor dem 7. Oktober gefällt worden ist. Eine weitere Eingrenzung, wann genau das geschehen sein dürfte, lässt sich schwerlich feststellen. Wie ja der dbb-SH am 7. Oktober mitgeteilt hat, hat der nun nicht mehr im Amt befindliche Berichterstatter in den Berliner Pilotverfahren in der Sache Verzögerungsbeschwerde vor dem 7. Oktober mitgeteilt, dass diese Pilotverfahren "weitest fortgeschritten" seien. Zugleich ist hier im Forum vor geraumer Zeit eine Mitteilung des BVerfG gepostet worden, dass diese Pilotentscheidung mit ihrer Bekanntmachung an alle Beteiligten ebenfalls auch auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts veröffentlicht werden wird, dass also zwischen der Bekanntmachung und ihrer Veröffentlichung keine Zeit vergehen wird. Auf Grundlage der Geschäftsordung des Bundesverfassungsgerichts gilt dabei zugleich nun Folgendes (
Burkiczak, in: Ders. (Hrsg.): BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 30 Rn. 13, Hervorhebungen im Original fettgedruckt):
"Nach § 26 Abs. 1 GO-BVerfG kann jeder Richter, der an der Entscheidung mitgewirkt hat, bis zu deren Verkündung (§ 30 Abs. 1 Satz 3) oder bis zu deren Ausfertigung für die Bekanntmachung (§ 30 Abs. 3) [...] die
Fortsetzung der Beratung verlangen, wenn er seine Stimmabgabe ändern will; er kann die Fortsetzung der Beratung
beantragen, wenn er bisher nicht erörterte Gesichtspunkte vortragen möchte oder wenn ihm ein Sondervotum dazu Anlass gibt."
Diesen Kommentar kann man nun also unter Beachtung des Ausscheidens der Vizepräsidentin und des Berichterstatters am 7. Oktober interpretieren, um so zwei mögliche Schlüsse zu begründen:
1. Da der nun ehemalige Berichterstatter dem dbb-SH vor dem 7. Oktober mitgeteilt hat, dass die Beratung
"weitest fortgeschritten" sei, er selbst aber genauso wie die nun ehemalige Vizepräsidentin die Fortsetzung der Beratung nach dem 7. Oktober nicht mehr verlangen konnten und es auch weiterhin nicht können, sollte sich der Berichterstatter mit Verfassen seiner von dbb-SH genannten Stellungnahme offensichtlich sicher gewesen sein, dass nach seinem Ausscheiden und dem der nun ehemaligen Vizepräsidentin kein weiterer der sechs dazu berechtigten BVR von seinem Recht Gebrauch machen würde, die Fortsetzung der Beratung zu beantragen. Denn wenn sich der nun ehemalige Berichterstatter dessen nicht sicher gewesen wäre, hätte er kaum davon ausgehen dürfen, dass die Beratung zum Zeitpunkt des Verfassens seiner Stellungnahme "weitest fortgeschritten" gewesen sei, da die Beratung dann ja würde fortgesetzt werden müssen (sodass sie zum Zeitpunkt der Abfassung jener Stellungnahme nicht "
weitest" fortgeschritten hätte sein können). Aus seiner Mitteilung sollte also zu schließen sein, dass die Entscheidung, was das Abstimmungsergebnis anbelangt, so eindeutig ausgefallen sein sollte, dass sich der nun ehemalige Berichterstatter zum Zeitpunkt der Abfassung seiner Stellungnahme sicher sein durfte, dass tatsächlich auch keine weitere Fortsetzung vonseiten eines der sechs weiteren Mitgliedern des Senats im Anschluss würde verlangt werden. Das könnte also mit einiger Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass auch die nun zur Veröffentlichung anstehende Entscheidung in jenen Pilotverfahren einstimmig ergangen sein würde (was insgesamt wenig verwunderlich wäre).
2. Damit stellt sich zugleich die Frage, was nun eigentlich "weitest" fortgeschritten hinsichtlich des Beratungsstands meinte. "Weitest" sollte dabei offensichtlich sagen, dass es zeitlich dahinter nichts mehr geben könnte. Denn würde es zeitlich dahinter noch etwas geben können, könnte der Verlauf nicht "weitest" fortgeschritten sein, sondern ggf. in einem bspw. "sehr weitgehendem" oder "(sehr) kurz vor dem Abschluss stehendem" Maße zum Zeitpunkt der Abfassung der Stellungnahme des nun ehemaligen BVR vorangeschritten gewesen sein. Damit stellt sich also die Frage, ob nicht "weitest fortgeschritten" meint, dass die Beratung zum Zeitpunkt der Abfassung der genannten Stellungnahme abgeschlossen war - denn wie sollte man wissen, dass sie offensichtlich "weitest fortgeschritten" war, wenn man nicht wüsste, dass sie kaum noch weiter fortschreiten könnte?
Der langen Rede kurzer Sinn: Wir wissen, dass die Entscheidung spätestens zum 6. Oktober 2025 gefällt worden sein dürfte und dürfen begründet vermuten, dass sie mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit einstimmig oder weitgehend einstimmig gefällt worden sein dürfte und dass die Beratug zugleich mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit bereits zum Zeitpunkt der Abfassung der vom dbb-SH genannten Stellungnahme des nun ehemaligen Berichterstatters abgeschlossen war. Mit jenem Abschluss, der bis zur Ausfertigung der Entscheidung und ihrer dann vollzogenen Bekanntmachung de jure einer vorläufiger ist, beginnt dann regelmäßig die Ausfertigung, also das, was Du als "Redaktionsphase" bezeichnest. Sie hat 2020 vom 4. Mai bis Ende Juli gedauert, also knapp drei Monate, was mit einiger Wahrscheinlichkeit auch daran gelegen haben könnte, dass in jener Zeit die Haupturlaubszeit gewesen ist.
Ich gehe folglich begründet davon aus, dass die Arbeit an der Ausfertigung spätestens am 6. Oktober begonnen worden sein wird, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit schon zuvor begonnen worden sein wird, weshalb ich hier regelmäßig schreibe, dass ich eine Veröffentlichung noch im Oktober für nicht ausgeschlossen halte, eine Veröffentlichung im November für recht wahrscheinlich erachte und mich nicht wundern würde, wenn sie erst im Dezember erfolgte - wirklich wundern würde ich mir erst (und dann finge ich zugleich an, mir Sorgen zu machen, wie ich das ja auch schon vor längerer Zeit regelmäßig geschrieben habe), wenn wir bis zum Ende des Jahres noch immer keine Veröffentlichung der Entscheidung vorfinden würden.
Da sich der Senat regelmäßig nicht als Ambulanz begreift, gehe ich hinsichtlich der zweiten Frage nicht davon aus, dass er Trostpflaster verteilen wird, wenn sich ihm ggf. auch (irgendwann) die Frage stellen könnte, wie nun eigentlich im Hinblick auf die langen Verfahrensdauern und der offensichtlich erheblichen Unteralimentation mindestens großer Teile der bundesdeutschen Beamtenschaft - ggf. der Beamtenschaft als Ganzer - sowie der nicht geringen Entwicklungen der Verbraucherpreise insbesondere in der jüngsten Vergangenheit umzugehen sein sollte. Ob und ggf. wann das aber geschehen sollte, könnte ich nicht beantworten.
Und zur dritten Frage: Ich gehe hier zu 100 % mit Rollo d'accord, dass ich allen 17 Besoldungsgesetzgeber ob unserer Erfahrung aus der jüngeren Vergangenheit und also ihrem Handeln bis heute unterstelle, dass sie - wenn sie können - den in den Jahren nach 2020 eingeschlagenen Weg unter allen Umständen werden fortsetzen wollen. Denn wieso sollte sich an ihrer Interessenslage in Anbetracht der jeweiligen Haushaltslage zwischenzeitlich irgendetwas ändern?
Insofern liegt es nun am Zweiten Senat, seine Entscheidung so zu geststalten, dass sich der Berliner Besoldungsgesetzgeber mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu veranlasst sehen sollte, zunächst mindestens für den Zeitraum 2009 und 2015 in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren, sodass jener sich kaum nicht veranlasst sehen könnte, dass nicht ebenso auch für die Zeit nach 2015 bis heute und also wieder in Zukunft zu vollziehen. Ich sehe so verstanden nun die Zeit gekommen, dass mit der Vollstreckungsanordnung die Ultima Ratio vollzogen wird und dass auch für weitere Besoldungsgesetzgeber offensichtlich werden sollte, dass auch sie nicht mehr allzu weit von ihr entfernt sein dürften. Darauf hingegen zu vertrauen, dass sich die Besoldungsgesetzgeber nicht weiterhin so verhalten wollten wie in den letzten Jahren, hieße darauf zu vertrauen, dass der Donner nicht dem Blitze folgte wie die Tat dem Gedanken. Von daher dürften wir - wie ebenfalls schon mehrfach begründet ausgeführt - gleichfalls darauf vertrauen, dass das Bundesverfassungsgericht alsbald anfangen dürfte, das neue Verfassungsgut des Art. 94 Abs. 4 Satz 1 rechtskräftig auszulegen, sofern die 17 Besoldungsgesetzgeber nach der Veröffentlichung der zwischenzeitlich erfolgten Entscheidung alsbald weitermachen wollten als wie zuvor. Auch das könnte - je nach Auslegung - für die Besoldungsgesetzgeber unangenehme Folgen nach sich ziehen, insbesondere weil hier ja der Senat in besoldungsrechtlichen Fällen regelmäßig feststellt (vgl. bspw. nur die Rn. 182 der aktuellen Entscheidung; Hervorhebungen durch ST.):
"Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm oder mehrerer Normen mit dem Grundgesetz fest, folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Rechtslage rückwirkend verfassungsgemäß umzugestalten.
Ausnahmen von dieser Regelfolge der Unvereinbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt
bei haushaltswirtschaftlich bedeutsamen Normen bejaht.
Speziell bei besoldungsrechtlichen Normen gilt es zu beachten, dass die Alimentation der Richter und Beamten der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln darstellt."
(Auch) Damit aber könnte sich ggf. eine besondere Bindungswirkung in besoldungsrechtlichen Normen begründen lassen, die also nicht für keine Spezialfälle gelten bräuchte, was es dem Bundesverfassungsgericht also erlauben könnte, hier besondere Ausnahmebedingungen zu formulieren, die sich zugleich mit der fortgesetzten Missachtung seiner Judikate durch die Besoldungsgesetzgeber noch einmal besonders konkretisieren ließen. Damit wäre sichergestellt, dass das Bundesverfassungsgericht also nicht wegen der regelmäßigen Missachtung besoldungsrechtlicher Judikate quasi mit dem Schrotgewehr auf alle Gesetzgeber zielte. Ob dem aber zukünftig - sicherlich noch nicht in der aktuellen Entscheidung - kommen wird oder nicht, wird sich zeigen, ggf. auch davon abhängen, wie sich die 17 Besoldungsgesetzgeber nun in der weiterhin anstehenden Übertragung der Tarifeinigung im Bund und der alsbald anstehenden Tarifeinigung in 15 der 16 Länderrechtskreise verhalten werden.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ich gehe davon aus, dass es nicht unwahrscheinlich sein dürfte, dass insgesamt mindestens das geschehen könnte, was ich am 27.8. hier auf Bundis Frage geantwortet habe:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,122470.msg418307.html#msg418307