Und PS. Wer sich nicht durch den ganzen verfassungsrechtlichen Irrsinn dieses Entwurfs ackern möchte, der nehme sich die S. 7 vor. Hier werden die Alternativen auf knappstem Raum dargestellt. Zu einer solchen Darstellung sind die Besoldungsgesetzgeber gezwungen. Jedoch werden keine Alternativen aufgezeigt, sondern es wird dargestellt, was passieren würde, sofern man a) für Beamte mit mehr als drei Kindern den verfassungskonformen Rahmen einhalten würde (die Familienzuschläge ab dem dritten Kind müssten deutlich steigen) und b) wie man nun ebenfalls für alleinverdienende Beamte mit bis zu zwei Kindern verfassungswidrig das Fertilitätsprinzip einführt (jenes zeigt sich in den Familienergänzungszuschlag, der nur gewährt wird, sofern der Ehepartner nicht zum Familieneinkommen beiträgt), um daraufhin mit der Begründung, dass man ab dem dritten Kind kein Fertilitätsprinzip einführen wolle, ebenfalls die Beamten mit mehr als zwei Kindern weiterhin verfassungswidrig zu alimentieren, was nun wieder im Sinne des zuvor ausgehebelten Leistungsprinzips geschehe.
Auf den Punkt gebracht: Die Mindestalimentation wird nun durch dieses "neue Familienmodell" nicht mehr als solche, nämlich als absolute Untergrenze verstanden, sondern in Konsequenz der verfassungsrechtlichen Willkür als mögliche potenzielle Obergrenze, wieviel eine (vierköpfige) Beamtenfamilie an Alimentation zugestanden werden muss, damit sie nicht unterhalb des 15 %igen Abstands zum Grundsicherungsniveau fällt. Aus einem bislang verfassungsrechtlich gesicherten Mindestanspruch amtsangemessener Alimentation wird so eine "besondere Spitzenbelastung im unteren Besoldungsbereich", der mittels einer "Bedarfsorientierung" begegnet wird (S. 5). Neusprech lässt grüßen.
Als Ergebnis werden in der Realität nun die verheirateten Beamten mit zwei Kindern in den Besoldungsgruppen A 6 bis A 9/3, deren Ehepartner nicht zum Familieneinkommen beitragen, allesamt identisch hoch alimentiert, nämlich genau 15 % oberhalb der errechneten Grundsicherung, was allerdings aus der Sicht des Gesetzgebers nicht der Fall ist, da ja der Alleinverdiener nicht Grundlage des Familienmodells ist, sondern im Sinne des "Zwei-Verdiener-Modells" die Ausnahme. Da der bislang
mögliche Zuverdienst des Ehepartners nun faktisch zum
nötigen Zuverdienst wird, ist die verfassungsrechtlich gegebene Einebnung in der verfassungsrechtlichen Willkür des Entwurfs durch den Zuverdienst des Ehepartners zu korrigieren und ansonsten, soferen kein Zuverdienst vorliegt, vom Beamten zu akzeptieren. Die faktische Einebnung des Abstandsgebots ist aus einer solchen Sicht nicht vorhanden, obgleich sie auf der S. 11 f. genau als solche zugegeben wird. Hier heißt es im schönsten Schleswig-Holsteinischen Neusprech, das den utilitaristischen Kern des mindestens im Hinblick auf das Besoldungsrecht grundgesetzfernen Denkens der Landesregierung offenbart:
"Bezüglich des allgemeinen Abstandsgebotes ist zunächst festzustellen, dass mit dem
bedarfsbezogenen Familienergänzungszuschlag keine generelle Einebnung der Ge-
samtbesoldung der Besoldungsgruppen A 6 bis A 9 erfolgt. Die Regelung beinhaltet
ausschließlich die bedarfsgerechte Aussteuerung im Falle eines tatsächlichen Allein-
verdienstes einer Beamtin oder eines Beamten bei einer drei- oder vierköpfigen Fami-
lie (also mit einem oder zwei Kindern). Sie wirkt in A 7 bis A 9 auch nicht über den
ganzen Erfahrungsstufendurchlauf (in A 9 nur in Erfahrungsstufe 2 und 3). Bei einer
längerfristigen Betrachtung wachsen also die Betroffenen aus den Zuschlägen hinaus.
Das Abstandsgebot zur Wertigkeit der Ämter wird dazu im Wesentlichen durch die
Grundgehälter bestimmt. Die Frage der Berücksichtigung von familienbezogenen Leis-
tungen stand bislang in den Entscheidungen nicht zur Debatte. Das Bundesverfas-
sungsgericht spricht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – unter
Rd.Nr. 47 und 49 aber ausdrücklich die Möglichkeit an, etwa durch höhere Familienzu-
schläge bereits für das erste und zweite Kind die Besoldung stärker als bisher von den
tatsächlichen Lebensverhältnissen abhängig zu machen. Die Anknüpfung an konkrete
Verhältnisse zur Abgeltung besonderer Spitzenbelastungen im unteren Bereich folgt
diesem Gedanken. Zu betrachten ist auch die geringe Fallzahl der im unteren Bereich
theoretisch ggf. betroffenen Beamtinnen und Beamten, denen ein Familienergän-
zungszuschlag für ein oder zwei Kinder zustehen könnte. Für die aus der neuen An-
lage 10 zum SHBesG (Art. 1 Nr. 14 des Gesetzentwurfs) ersichtlichen Besoldungs-
gruppen/Erfahrungsstufen im Bereich A 6 – A 9 werden nach einer Auswertung der
Daten des DLZP 840 Fälle kindbezogener Familienzuschläge ausgewiesen. Auch
ohne Differenzierung in erste, zweite oder weiterer Kinder ist unmittelbar einsichtig,
dass die Zahl der theoretisch betroffenen Beamtinnen und Beamten im Vergleich zu
den im Haushalt ausgebrachte Planstellen von über 40.000 gering ist, zumal sich aus
der Einbeziehung des Familieneinkommens ohnehin eine noch deutlich geringere Zahl
tatsächlich anspruchsberechtigter Beamtinnen und Beamten ergeben wird. Aus einer
derart geringen Fallzahl kann aber kein Schluss auf eine allgemeine Übertragung der
gewährten Leistungen auf alle besser bezahlten Beamtinnen und Beamten, die selbst
gar nicht vom Abstandsgebot betroffen sind, hergeleitet werden. Dies u.a. deshalb,
weil hier die vom Bundesverfassungsgericht für das Abstandsgebot zur Grundsiche-
rung herangezogene Betrachtung eines sog. 95 %-Perzentils (für die Höhe der Wohn-
kosten) als allgemeiner Rechtsgedanke übertragen werden kann. Auch wenn aus der
Fallzahl von 840 Kindern eine entsprechende Zahl anspruchsberechtigter Beamtinnen
und Beamten resultieren würde, läge der Anteil an der Gesamtzahl der Beamtinnen
und Beamten noch immer unter 2 %. Somit ergibt sich in deutlich mehr als 95 % der
Fälle kein Bedürfnis einer bedarfsgerechten Verbesserung der Besoldung durch einen
Ergänzungszuschlag. Ob die zukünftige Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts dieses auch entsprechend würdigen wird, kann aber letztlich nicht im Voraus ab-
geschätzt werden." (S. 11 f.)
Dabei ist die Seite 11 insgesamt die politisch zentrale des Entwurfs: Denn hier wird nun die Katze aus dem Sack gelassen (auch deshalb schreibe ich mir hier mal wieder die Finger wund und habe das auch die letzten Tage wieder getan), indem hervorgehoben wird:
"Entgegen der Annahme des DGB ist nach den Erkenntnissen aus dem
fachlichen Austausch mit anderen Ländern festzustellen,
dass in einem Teil der Län-
der durchaus vergleichbare Ansätze geprüft werden. Mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf wird dieser Gedanke aber nun erstmals konkret aufgegriffen. Während die grund-
legende Möglichkeit der Fortentwicklung des Dienstrechts unstrittig und in Art. 33 Abs.
5 GG ausdrücklich angesprochen ist, lassen sich schon aufgrund des Pilotcharakters
der vorgesehenen Regelungen verfassungsrechtliche Risiken letztlich nicht ausschlie-
ßen. Dieses muss im Interesse der Fortentwicklung eines zukunftsfähigen Beamten-
rechts hingenommen werden. Der Umstand, dass sich die Rechtsprechung bislang
nicht mit dem Thema befasst hat, ist damit zu erklären, dass es an vergleichbaren An-
sätzen bislang fehlte und diese somit nicht auf den gerichtlichen Prüfstand gestellt
werden konnten." (Der Fettdruck erfolgte durch mich)
Fazit: Der bislang gegebene verfasungswidrige Zustand wird nun im Schleswig-Holsteinischen Neusprech als verfassungskonform (und also nur falsch begründet) begriffen und von dieser heute gegebenen verfassungswidrigen materiellen Basis aus, die also willkürlich verabsolutiert wird, wird nun berechnet, wie er problemlos fortgesetzt werden kann.
Da es so gesehen aber keine verfassungsrechtliche Grundlage mehr gibt, sondern ein Besoldungsutilitarismus zum Nutzen des Landeshaushalt und also Willkür die Grundlage dieses Gesetzentwurfs ist, bleibt es rein zufällig (eben dem heutigen Zustand geschuldet), dass die faktische Grenze der systeminternen Einebnung des Abstandsgebots die Besoldungsgruppe A 9/3 darstellt. Zukünftig könnte die Einebnung, solange nicht beide Ehepartner zum Familieneinkommen beitragen, bis hin zur Besoldungsgruppe A 16 getrieben werden, sofern diese nicht mehr als doppelt so hoch läge wie der 15 %ige Abstand zum Grundsicherungsniveau.
Das nun ist die neue beamtenrechtliche Realität, die die Schleswig-Holsteinische Jamaika-Koalition jetzt im Schnellverfahren ins Parlament einbringt und die nach den Erfahrungen in Berlin, Thüringen und Hessen mit hoher Wahrscheinlichkeit dann auch entsprechend schnell Gesetzeskraft erlangen dürfte. Noch heißt es beamtenrechtlich nicht: "Im Dutzend billiger", sondern potenziell nur "zur Hälfte billiger". Und in einem solch willkürlichen Rechtsverständnis sollte aber auch das nur eine Frage der Zeit sein; denn auch die Hälfte wird der Willkür irgendwann noch zu viel sein, sonst würde man sich solcher Methoden nicht seit deutlich mehr als einem Jahrzehnt bedienen: Willkür hat die Folge, weitere Willkür nach sich zu ziehen und so nach und nach den Rechtstaat zu zerstören. Im Letzten wird nun das Alimentationsprinzip mittels solcher Willkürregelungen abgeschafft und durch das eherne Lohngesetz verdrängt. Ihre grundgesetzgleichen Rechte werden den Beamten und ihren Familien genommen - oder genauer: Dieses Vorenthalten verfassungsrechtlich geschützter materieller Güter erfolgt seit spätestens 2008 in allen Bundesländern, da - wie sich zeigen lässt - die Alimentation seitdem ausnahmslos materiell evident unzureichend ist; das Vorenthalten wird jetzt nur auf eine neue Grundlage gestellt.
Ihr seid so still, Kollegen.
Und wenn ihr nichts besseres vorhabt, lest am Wochenende diesen Entwurf; mit hoher Wahrscheinlichkeit wird er nicht einzigartig bleiben und also mit einer nicht geringen Wahrscheinlichkeit, entsprechend angepasst auf die Verhältnisse in eurem Bundesland, auch euch treffen:
http://www.landtag.ltsh.de/parlament/drucksachen-online/?paramQuery=19%2F3428&lastQuery=&perSite=10&sort=D