Das, was Du am Ende im letzten Satz schreibst, ist für unseren Fall richtig: Nur kann dafür das Bundesverfassungsgericht nichts. Fakt ist: Das Bundesverfassungsgericht hat bis 2012/15 mit Ausnahme des andersgearteten Rechtszweigs des alimentativen Mehrbedarfs für kinderreiche Familien praktisch ausnahmslos alle Vorlagebeschlüsse zur Beamtenalimentation zurückgewiesen, sie darüber hinaus zumeist gar nicht erst als zulässig betrachtet. Das war so zwischen 1951 und 2012/15, obgleich sich in diesem Zeitraum der Art. 33 Abs. 5 nicht geändert hat. Vielmehr ist das Bundesverfassungsgericht zwischen 1951 bis etwa 2003/06 davon ausgegangen, dass der materielle Gehalt der gewährten Alimentation amtsangemessen war. Erst mit der Reföderalisierung des Besoldungsrechts ab 2003, die 2006 ihren grundgesetzlichen Abschluss fand und ab 2003 zu einer deutlichen Absenkung des Alimentationsniveaus in allen ab 2006 dann wieder zur ungeteilten Gesetzgebungsgewalt ermächtigten 17 Besoldungsrechtskreisen führte, hat es 2007 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Unteralimentation einzelner Beamten bis hin zur gesamten Beamtenschaft eventuell nicht mehr auszuschließen sei. Damit hat es angedeutet, dass sich ab da zukünftig ggf. seine bisherige Besoldungsdogmatik ändern könnte, da die vormalige grundsätzliche und über Jahrzehnte tradierte Sichtweise, dass der materielle Gehalt der gewährten Alimentation in Deutschland hinreichend gewährleistet ist, mit dieser Aussage nicht mehr aufrechterhalten wurde, ohne dass diese Sichtweise bislang durch eine andere ersetzt wurde, und zwar bislang "mangels gegenteiliger Anhaltspunkte" (ob das allerdings nun in der anstehenden Entscheidung so bleiben wird, schauen wir mal: Denn seit dem aktuellen DÖV-Beitrag gibt es nicht nur deutlich andere Anhaltspunkte, sondern beruhen diese auf Bemessungen auf Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung; sie sind also hchstwahrscheinlich nicht nur Anhaltspunkte).
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht ab 2007 die Gerichte darauf hingewiesen, dass sie mindestens verschiedene hinreichende volkswirtschaftliche und weitere ökonomische Vergleiche heranzuziehen hätten, um so in eventuellen Vorlagebeschlüssen überhaupt erst einmal für das Bundesverfassungsgericht prozedural die Möglichkeit zu schaffen, in ein Klageverfahren einzutreten, das erst danach zur Entscheidung berechtigt ist, ob ein zulässiger Vorlagebeschluss auch statthaft ist. Dieses ist das typische Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts: Denn als Folge haben verschiedene Gerichte und hat die rechtswissenschaftliche Literatur begonnen, entsprechende Betrachtungen und Indices in den Blick zu nehmen, und haben erstere dann angefangen, sie in Vorlagebeschlüssen vorzulegen. Die entsprechenden Vorlagen waren nun bis einschließlich noch 2012 nicht hinreichend für entsprechende Entscheidungen - wenn auch nun schon wiederholt hinreichend genug, dass nun verschiedentlich bereits in ein Klageverfahren eingetreten werden konnte, auf denen dann wiederum Gerichte und Literatur aufbauen konnten: so entstehen gemeinhin neue Dogmatiken -; 2012 hat das Bundesverfassungsgericht dann das unlängst zuvor verabschiedete hessische Professorenbesoldungsgesetz für materiell verfassungswidrig betrachtet, weil die dort vollzogene Regelung deutlich abgeschmolzener Grundgehaltssätze bei stark angehobenen Leistungszulagen (die Darlegung ist hier etwas vereinfacht) gegen das Alimentationsprinzip verstoßen hat. Zugleich setzte es mit den in derselben Entscheidung festgelegten Prozeduralisierungspflichten, die den Besoldungsgesetzgeber seitdem treffen, die Entwicklung der neuen Besoldungsdogmatik in Gang, deren Verlauf ich im letzten Beitrag mit dem seitdem deutlich eingeschränkten weiten Entscheidungsspielraum, über den der Besoldungsgesetzgeber (heute noch) verfügt, dargelegt habe.
Nun kann man sagen, all das war 1949 bereits nicht nur vollständig in den bekannten 17 Worten angelegt:
"Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln" (Art. 33 Abs. 5),
sondern eigentlich war es auch schon beschlossene Sache, nur wusste das damals noch keiner. Denn davon scheinst Du auszugehen, wenn Du hervorhebst, dass es in den 17 Worten "schon immer" eine jeweils an einem bestimmten Punkt gesetzte Grenze geben würde, die bislang nur "eben nicht eindeutig erkannt [worden sei], weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist". Allerdings unterschlägt eine solch teleologische Betrachtung die jederzeit gegebene Möglichkeit des Gesetzgebers, all das, was seit spätestens 2012 an starken Einschränkungen seines weiten Entscheidungsspielraums vonseiten des Bundesverfassungsgerichts erlassen worden ist, bis Ende 2011 verhindert zu haben. Denn wenn es ab 2003/2006 nicht von den ab 2006 wieder 17 konkurrenzlos ermächtigten Besoldungsgesetzgebern dazu gekommen wäre, dass sie das Recht des öffentlichen Dienstes unter der Berücksichtigung (und in Teilen Beachtung) der hergebrachten Grundsätze entsprechend so fortentwickelt hätten, dass als Folge eine massive Abschmelzung der Alimentation das Ergebnis gewesen war, dann hätte das Bundesverfassungsgericht auch über 2012 hinaus seine vormalige Besoldungsdogmatik nicht in Zweifel gezogen, und wären diese Zweifel also 2007 nicht zum ersten Mal geäußert worden.
Das Alimentationsniveau des Jahres 2003 wäre also das heute weiterhin prägende und fortentwickelte gewesen. Eventuell hätte sich das Bundesverfassungsgericht im Zuge der ab den beginnenden 2000er Jahren mit den Hartz-Gesetzgebungen einsetzenden starken Veränderungen in der Sozialgesetzgebung irgendwann veranlasst gesehen, diese Veränderungen in seine Betrachtungen mit einzubeziehen - aber auch das bleibt nur eine kontrafaktische Vermutung, was zeigt, dass Teleologien nicht weiterhelfen. Das, was heute die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind - und nur sie sind als Grenze bei der Fortentwicklung des öffentlichen Dienstrechts zu berücksichtigen -, sind ausnahmslos (und nicht nur "fast ausnahmslos", wie Du meinst) die Schöpfungen des Bundesverfassungsgerichts, das in ganzheitlicher Betrachtung des Grundgesetzes diese im Zuge seiner Rechtsprechung entwickelt und als solche verpflichtend vom Besoldungsgesetzgeber zu berücksichtigen in die Tat umghesetzt hat. Die von Dir unterstellte Teleologie, also ein Zielpunkt, eine Grenze, die heute "nur noch nicht eindeutig bestimmt" sei, gibt es nicht - denn andere vom Gesetzgeber vollzogene Abzweigungen hätten als Konsequenz heute eventuell ähnliche, aber vielfach anders vollzogene Auslegungen, wie ein jeweiliger Grundsatz zu verstehen ist, zur Folge gehabt. Es geht eben gerade nicht um's Suchen, was irgendwie schon im Art. 33 Abs. 5 enthalten ist, wie Du meinst - also im Letzten um einen formalen Rechspositivismus oder Originalismus, der sich an Buchstaben vermeintlich ontologischer Qualität hält und den das Bundesverfassungsgericht gezielt ab 1951 überwunden hat oder in den Worten Dieter Grimms, der hier nicht zum ersten Mal zu Wort kommt:
"Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem formalen Verfassungsverständnis gebrochen, das sich im Kaiserreich gebildet hatte und noch in der Weimarer Republik vorherrschte, wenn auch nicht mehr unangefochten. Es pflegt ein materiales Verfassungsverständnis und versteht das Grundgesetz als 'living constitution' [lebende Verfassung/Kontextualismus]. [...] Desgleichen folgt das Gericht nicht dem juristischen Positivismus, der als Mittel zur Sinndeutung von Rechtsnormen nur Wortbedeutung und Logik gelten ließ. Originalismus und Positivsmus fehlt die Möglichkeit, den Sinn verfassungsrechtlicher Regelungen an neue Herausforderungen anzupassen, die sich aus dem sozialen Wandel ergeben. Sie stehen im Gegensatz zu der Idee von einer 'living constitution'." (Dieter Grimm, Das Bundesverfassungsgericht im Überblick, in: Ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2021, S. 13 (22 f.).)
Wenn Du also meinst, dass im Grundgesetz eine "dort aber schon immer" gegebene Grenze vorhanden gewesen sei, die nur bislang "eben nicht eindeutig erkannt [worden sei], weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist", dann endet für Dich genau in dieser Ablehnung die Überzeugungskraft meiner Argumentation, die aber nicht die meine ist, sondern die des Bundesverfassungsgerichts, das eben gerade nicht davon ausgeht, dass in den Wortlauten des Grundgesetzes ein originaler Sinn verborgen sei, der bislang nur "noch nicht eindeutig bestimmt" sei, wie Du meinst, sondern das vielmehr die Artikel des Grundgesetzes als zu kontextualisierende Verfassungsnormen begreift, die also in ihrem Bedeutungsgehalt in die je sich ändernde gesellschaftliche Wirklichkeit einzupassen sind, eben als lebende Verfassung. Was Du also als "noch nicht eindeutig bestimmt" ansiehst, ist tatsächlich nichts anderes als der weite Entscheidungsspielraum, über den der Gesetzgeber verfügt. Und der bleibt vom Bundesverfassungsgericht solange unangetastet, solange es keine (weitere) "negative Gesetzgebung" vollziehen muss. Der weite Entscheidungsspielraum wäre also offensichtlich heute viel weitergefasst, sofern die Besoldungsgesetzgeber in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen (und damit eine in Teilen andere gesellschaftliche Wirklichkeit verrechtlicht) hätten. Da sie das nicht getan haben, sind die durch die "negative Gesetzgebung" des Bundesverfassungsgericht errichteten Grenzen des möglichen Besoldungsrechts enger geworden (das ist das, was ich vor ein paar Tagen als Einschränkung von Freiheitsgraden bezeichnet habe), also z.B., dass ab 2020 ein Mindestabstandsgebot vom Gesetzgeber zu beachten ist. Diese Grenze ist nun gegeben und vom Gesetzgeber zu beachten - sie findet sich aber nicht im Grundgesetz und ist in diesem auch nicht irgendwie bereits angelegt, sondern ist 2020 als solcher so festgelegter hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums vom Gesetzgeber ab 2020 zu beachten und war also nicht schon in der Vergangenheit vor dem 04.05.2020 von ihm zu beachten, da es ihn bis dahin nicht als solchen gab. Was vom Gesetzgeber hinsichtlich des mit der Entscheidung vom 04.05.2020 als hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachteten Mindestabstandsgebots generell zu beachten ist, ist, dass er eine nicht mit der Verfassung in Einklang stehende Rechtslage auch für die Vergangenheit zu ändern hat. Also auch hier ist folglich keine Teleologie gegeben - eine in der Verfassung angelegt Zielgerichtetheit, die immer klarer zu Tage treten könnte -, sondern es gelten die entsprechenden Bindungen des Grundgesetzes. Insofern verlief die Grenze zur Verfassungswidrigkeit dort nicht "aber schon immer, nur wurde sie eben nicht eindeutig erkannt, weil sie im Grundgesetz so abstrakt formuliert worden ist", sondern sie verläuft mit dem 04.05.2020 und keinem Tag früher dort, wohin sie mit jenem Tag vom Bundesverfassungsgericht mittels "negativer Gesetzgebung" gesetzt worden ist; und sie gilt ab dem Moment ebenso für die Vergangenheit, weil der Gesetzgeber eine mit der Verfassung nicht in Einklang stehende Rechtslage auch für die Vergangenheit zu ändern hat. Aber auch dort ist keine Teleologie dahinter, sondern das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG: "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung" gebunden. Denn die Ewigkeitsklausel besagt, dass sie seit dem 23. Mai 1949 daran gebunden ist, und zwar unabänderlich, von daher hat der Gesetzgeber - ganz ohne Teleologie - eine nicht mit der Verfassung in Einklang stehende Gesetzgebung auch für die Vergangenheit zu ändern, nämlich um das Rechtsstaatspeinzip uneingeschränkt zu gewährleisten.
1951 war es also nicht in teleologischer Weitsicht zu erkennen, dass 2020 ein Mindestabstandsgebot vom Bundesverfassungsgericht als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet werden würde; allerdings hätten sich die Besoldungsgesetzgeber spätestens 2015 ausrechnen können, dass das Bundesverfassungsgericht die 2015 noch nicht konkretisierten Bemessungsgrundlagen für die Mindest- und gewährte Nettoalimentation irgendwann festlegen würde, sofern sie weitermachten wie bisher. Keine Teleologie, sondern politische Kurzsichtigkeit ist von daher die Ursache dessen, was heute der Fall ist. Und darüber hinaus gilt, um die Folgen der Kurzsichtigkeit in Gänze offenzulegen, dass das Alimentationsprinizp vom Bundesverfassungsgericht als ein besonders wesentlicher Grundsatz des Berufsbeamtentums betrachtet wird, was den Besoldungsgesetzgeber nur umso mehr in seinem weiten Entscheidungsspielraum einschränkt. Denn ein solcher besonders wesentlicher Grundsatz ist nicht nur zu berücksichtigen, sondern er zu beachten - das ist Teil der inneren Differenzierung der Grundsätze, wie sie das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat -, woraus folgt, dass ebenso das Mindestabstandsgebot zu beachten ist, da es vom absoluten Alimentationsschutz umfasst ist. Genau deshalb wird's nun für die Dienstherrn so teuer, da sie nun genau zu beachten haben, was vor dem 04.05.2020 noch eher unbestimmt war: die realtitätsgerecht bemessene Mindest- und gewährte Nettoalimentation.
Ohne dass da also eine Teleologie im Spiel gewesen wäre, haben sich folglich die Besoldungsgesetzgeber nach 2015 nach und nach die Entscheidung von 2020 selbst so - also absehbar - eingebrockt, in der das Bundesverfassungsgericht mittels Rechtsprechung eine "negative Gesetzgebung" vollzogen hat, indem es das Berliner Besoldungsgesetz im Zeitraum für 2009 bis 2015 als verfassungswidrig betrachtete und dabei zugleich ebenso das Mindestabstandsgebot als hergebrachten Grundsatz betrachtet hat (was es 2017, als es dort den systeminternen Abstand entsprechend zu einem Grundsatz erklärte, noch nicht getan hat), das nun wiederum seit November 2015 unaufhebbar mit dem Alimentationsprinzip verbunden ist, wodurch zukünftig ihr weiter Entscheidungsspielraum recht deutlich eingeschränkt worden ist. Denn hätten sie sich nach 2015 eng an die beiden Entscheidungen jenes Jahres angelehnt und jenen Rahmen akzeptiert, dann hätte sich das Bundesverfassungsgericht mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit 2020 nicht gezwungen gesehen, anhand des Zeitraums 2009 bis 2015 eine Konkretisierung des Mindestabstandsgebots zu vollziehen und dieses dabei in den Stand eines hergebrachten Grundsatzes zu erheben. Es hätte dann die entsprechende R-Besoldung von 2009 bis 2015 ebenso als als verfassungswidrig betrachtet, da das auch ohne weiter konkretisierte Bemessungsverfahren zur Mindest- und gewährten Nettoalimentation anhand der Parameter der beiden ersten Prüfungsstufen der Fall gewesen wäre. Nur dürfte das Bundesverfassungsgericht dann 2020 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht so weit gegangen sein, wie es nun gegangen ist - denn wenn das erklärtermaßen von Beginn an sein Ziel gewesen wäre, dann wäre es schon im November 2015 oder im Mai 2017 so verfahren und hätte also dort die Bemessungsverfahren für die Mindest- und gewährte Nettoalimentation realitätsgerecht vorgeschrieben. Auch hier zeigt sich also, dass das Bundesverfassungsgericht schonend nach Ausgleich sucht, eben weil es unterstellen muss, dass ebenso die anderen Verfassungsorgane sich ausnahmslos an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden sehen (auch dazu hatte ich die letzten Tage schon geschrieben). Wäre es aber aus freien Stücken dann 2020 nicht so weit in seiner "negativen Gesetzgebung" gegangen, dann könnten die Besoldungsgesetzgeber heute weiterhin Gesetze, angelehnt weitgehend pauschalisierten Beträgen des Existenzminimumsberichts, ohne konkrete realitätsgerechteBemessungen die beiden genannten Alimentationsbetrachtungen, so vollziehen wie bisher. Diese Möglichkeit haben sie sich offensichtlich selbst nach 2015 genommen und nicht zwischen 2009 und 2015, also in dem unlängst vom Bundesverfassungsgericht betrachteten Zeitraum.
Fakt ist also, dass das Bundesverfassungsgericht seit 2012/15 entsprechend wie gestern oder vorgestern aufgelistet gehandelt hat und dass es damit - darum ging unsere Debatte - in einem hohen Maße eine "negative Gesetzgebung" vollzogen hat, wie das mit diesem Sachbegriff in den Rechtswissenschaften betrachtet wird, auch wenn Du das anders sehen magst. Denn die sich aus § 78 BVerfGG ergebenden Konsequenzen werden entsprechend so betrachtet und benannt, eben als "negative Gesetzgebung":
"Kommt das Bundesverfassungsgericht zu der Überzeugung, daß Bundesrecht mit dem Grundgesetz oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder dem sonstigen Bundesrecht unvereinbar ist, so erklärt es das Gesetz für nichtig. Sind weitere Bestimmungen des gleichen Gesetzes aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht unvereinbar, so kann sie das Bundesverfassungsgericht gleichfalls für nichtig erklären."
Damit wird das gerade skizzierte Rechtsstaatsprinzip endgültig in Funktion gesetzt, weil nun die legislative Gewalt von einer judikativen kontrolliert und von dieser - dem Bundesverfassungsgericht - ohne Wenn und Aber zur Korrektur gezwungen werden kann, sofern die kontrollierende Prüfung zu dem Ergebnis kommt, ein Gesetz breche Verfassungsrecht. Die Folgen habe ich gestern oder davor bereits beschrieben. Sie werden noch einmal deutlich klarer vom unlängst 85 Jahre alt gewordenen Dieter Grimm in der ihm eigenen eleganten Sprache und klaren Gedankenführung wie folgt zusammengefasst, womit wir wieder bei der Verantwortung der Exe- und Legislative wären, die wir - wenn ich es richtig sehe - nicht unterschiedlich betrachten:
"Wo verfassungsrechtliche Kriterien dafür, was 'besser' ist, fehlen, ist die Politik frei zu handeln oder untätig zu bleiben, hat aber auch die Verantwortung für ihre Entscheidung zu tragen. [Absatz] Der Vorwurf der Juridifizierung [der Politik; Hervorh. durch mich] trifft aber nicht nur Verfassungsgerichte. Oft ist es die Politik selbst, die ein Interesse am Überspringen der politischen Phase der [exekutiven und legislativen; Hervorh. durch mich] Auseinandersetzung hat. Politiker können dann die Verantwortung für Maßnahmen, die unpopulär sind und Wählerstimmen kosten könnten, auf das Gericht abschieben. Allerdings profitiert die Politik davon meist nur kurzfristig. Auf lange Sicht kommt es zu einer Schwächung der Politik, weil Handlungsfelder, die einmal an das Gericht abgetreten worden sind, schlecht in die politische Arena zurückgeholt werden können. Die Spirale sieht so aus: Je mehr Entscheidungen der Verfassungsrechtsprechung überlassen werden, desto weniger Raum bleibt für politische Entscheidungen, desto geringer wird die Bedeutung der Wahl, desto schwerer wird die Durchsetzung von Innovationen oder Politikveränderungen. Die Tendenz der Rechtsprechung zur Stärkung des Status quo entwertet den demokratischen Wettbewerb und fördert die Versteinerung der Verhältnisse. Am Ende können politische Blockaden und ein Legitimationsverlust für das ganze System stehen." (Dieter Grimm, Weder Widerspruch noch Bedingung: Verfassungsrechtsprechung und Demokratie, in: Ders., Verfassungsgerichtsbarkeit, Berlin 2021, S. 61 (83).)
Und weil wir die maximale Länge erreicht haben: das abschließende Fazit in einem neuen Tweet...