Die in der aktuellen Jahresvorausschau des BVerfG aufgeführte Entscheidung betrifft nicht direkt die Berliner Besoldung, sondern die der Bremer Kolleginnenund Kollegen. Insofern ist nicht auszuschließen, dass vielleicht doch noch etwas passiert.
Die Jahresvorschau wird nicht immer komplett abgearbeitet.
Einmal habe ich auf ein Verfahren gewartet, dass ist dann 3 mal in der Jahresvorschau aufgetaucht bis es endlich durch war.
Swen hatte es glaub schon mal geschrieben, 3 von 12 Richtern verabschieden sich in ca. den nächsten 6 Monaten. Das ist der Arbeitsleistung nicht sehr förderlich.
Da wir ja alle auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten und von dieser abhängig sind, würden wir von unseren Empfindungen her sicherlich allesamt eine möglichst rasche Entscheidung haben wollen, aber wie ja schon mehrfach geschrieben, geht die Rechtsfindung von Verfassungsgerichten aus in der Vergangenheit hier bereits verschiedentlich betrachteten Gründen heraus generell nur langsam vonstatten, darin unterscheidet sich das Bundesverfassungsgericht nicht von anderen Verfassungsgerichten in der Welt - und das nur umso eher, wenn, wie in unserem Fall, eine neue Dogmatik entwickelt wird.
Eine vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsdogmatik ist eine anhand von dargelegte Leitsätzen festgelegte Rechtsauffassung, an die die Recht sprechenden (Unter-)Gerichte ebenso wie der Gesetzgeber gebunden sind. Es gibt kaum ein Rechtsgebiet, zu dem das Bundesverfassungsgericht im Laufe der letzten 71 Jahre nicht dogmatische Grundsätze entwickelt hat, die es mit seiner Rechtsprechung in der Regel kontinuierlich weiterentwickelt. Dabei geschieht der Kontinuitätsbruch eher selten, also die Ersetzung einer vormaligen Dogmatik, die Ersetzung einer wiederkehrenden Rechtsbetrachtung durch eine neue, die die vormalige Kontinuität nicht fortsetzte. Das ist aber nun hinsichtlich der Besoldungsrechtsprechung der Fall: War die Besoldungsdogmatik bis 2012 - mit Ausnahme des alimentativen Mehrbedarfs von kinderreichen Beamtenfamilien, der als ein weitgehend eigenständiges Feld innerhalb des Alimentationsprinzips zu begreifen ist - von einer verhältnismäßig geringen Einschränkung des weiten Entscheidungsspielraums, über den der (Besoldungs-)Gesetzgeber verfügt, geprägt, hat das Bundesverfassungsgericht diesen weiten Entscheidungsspielraum seitdem zunehmend stärker eingegrenzt und also eingeschränkt, nachdem das Besoldungsrecht im Zuge der Föderalismusreform I 2006 wieder konkurrenzlose reföderalisiert worden war und das Bundesverfassungsgericht bereits 2007 nicht mehr hatte ausschließen wollen, dass einzelne Beamtengruppen bis hin zur gesamten Beamtenschaft unteralimentiert sein könnten.
Die neue Besoldungsdogmatik nahm dann in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ab 2007 bis 2012 erste Konturen an, wobei sich schließlich 2012 der gegebenenfalls bevorstehende Kontinuitätsbruch andeutete, indem der für das Besoldungsrecht zuständige Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Urteil vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 - den Besoldungsgesetzgebern prozedurale Pflichten auferlegte, die er im Gesetzgebungsverfahren zu beachten hat. Zentraler Motor dieser Entwicklung war der 2008 als Richter am Bundesverfassungsgericht ernannte Andreas Voßkuhle, der 2010 zu dessen Präsidenten gewählt wurde und der das Alimentationsprinzip bereits 2007 als einen "zahnlosen Tiger" bezeichnet hatte. Ihn leitete nicht zuletzt die Sorge des Qualitätsverlusts des öffentlichen Diensts; diese Sorge dürfte das Bundesverfassungsgericht bis heute weiterhin teilen, wie sie sich ebenso in der letzten Entscheidung zeigt.
Von den acht Richtern, die den Zweiten Senat bilden und die 2012 bereits Richter gewesen sind, sind heute nur noch zwei aktiv; sie werden zum November des Jahres ausscheiden, sodass von den Richtern, die ab 2012 die neue Dogmatik entwickelt haben, kein Richter mehr aktiv sein wird - auch genau deshalb, weil das Recht überpersonell sein muss, kommt es zur Entwicklung von Rechtsdogmatiken, die in der Regel kontinuierlich erweitert und in einem sich dann wiederholenden - eben dogmatischen - Begründungsrahmen vollzogen werden. Jener eine
neue Dogmatik einleitende Entscheidung aus dem Jahr 2012 lag ein sechs zu eins Votum zugrunde, wobei das Sondervotum durch einen Richter vollzogen wurde, der wiederkehrend für die eigene - und damit offensichtlich die Rechtsprechung(sfindung) am Bundesverfassungsgericht belebende - Sichtweise bekannt war und der 2014 auf eigenem Wunsch vorzeitig aus dem Bundesverfassungsgericht ausschied. Die weitere Entwicklung der neuen Besoldungsdogmatik fand im Anschluss in weiterhin großer personeller Kontinuität statt und war dann offensichtlich ebenso von einer großen sachlichen Übereinstimmung getragen. Denn die erste maßgeblich materielle Rechtsprechung, das Urteil des Zweiten Senats vom 05. Mai 2015 - 2 BvL 17/09 -, wurde einstimmig von allen acht Richtern vollzogen (in der Regel gibt das Bundesverfassungsgericht kein Stimmverhältnis bekannt; von dieser Regel wich es hier ab), was - da die weitere Entscheidung des Jahres die Rechtsprechung zur R-Besoldung sachlich nur auf die A-Besoldung übertrung - ebenso für die Entscheidung des Zweiten Senats vom 17. November 2015 - 2 BvL 19/09 - gegolten haben dürfte. Mit der Darlegung des einstimmigen Stimmverhältnisses hatte der Zweite Senat der Öffentlichkeit - und also insbesondere den Besoldungsgesetzgebern - deutlich machen wollen, dass auch zukünftig mit einer sachlichen Kontinuität der neuen Rechtsprechung zu rechnen sein dürfte, wie das seitdem auch geschehen ist. Nachdem im Sommer 2016 ein diese drei Entscheidungen seit 2012 mit fällender Richter ausgeschieden war, wurden die weiteren Entscheidungen 2017, 2018 und 2020 in vollständiger personeller Kontinuität aller acht Richter gefällt - zugleich wäre es verwunderlich, wenn diese Entscheidungen nicht ebenso einstimmig vollzogen worden wären, da sie die ab 2012 vollzogene Neuentwicklung sachlogisch schlüssig fortführten.
Nach der aktuellen Entscheidung vom Mai 2020 ist im Juni 2020 Andreas Voßkuhle ausgeschieden. Im November dieses Jahres werden die letzten beiden Richter, die die Neuentwicklung seit 2012 mit vollzogen haben, ausscheiden; im Dezember des nächsten Jahrs zwei weitere Richter. Im Dezember 2022 werden also von den acht Richtern, die die letzte Entscheidung vom Mai 2020 vollzogen haben, nur noch drei aktiv sein. Insofern wäre es m.E, nachvollziehbar, dass die für dieses Jahr angekündigte Entscheidung zur Bremer Besoldung der Jahres 2013 und 2014 erst nach dem November dieses Jahres vollzogen werden würde, eben um die neu hinzukommende Expertise mit einzubinden, den neuen Richtern "das Wort zu gönnen" und damit die Beratungstradition des Bundesverfassungsgerichts fortzusetzen, die der hier schon mehrfach von mir zitierte ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Dieter Grimm, Politikdistanz als Voraussetzung für Politikkontrolle, in: Ders. (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, 2021, S. 143 (147), wie folgt beschreibt: "Das Bundesverfassungsgericht ist das einzige mir bekannte Gremium, das Entscheidungen von höchster politischer Tragweite fällt und doch keine Vorklärungen, keine Absprachen, keine Fraktionen kennt. Man kommt vielmehr bei den Sitzungen stets von neuem in eine offene Diskussionssituation, in der jeder ernst genommen werden muss, weil man über eine lange Strecke in derselben kleinen Gruppe zusammenarbeiten muss, und in der man mit Argumenten etwas ausrichten kann, weil das Ergebnis am Ende argumentativ begründet werden muss. Damit soll nicht die Begrenzheit des Einsichtsvermögens oder der Diskussionsbereitschaft geleugnet, wohl aber gesagt werden, dass es um eine sachgeprägte Diskussion geht, und die Sache ist hier die rechtlich, nicht die politisch richtige Entscheidung."
Dabei ist m.E. entsprechend nicht zu befürchten, dass die seit 2012 bislang neu entwickelte Dogmatik nicht in der Kontinuität der letzten zehn Jahre fortgeführt werden würde, auch wenn nun die personelle Kontinuität der letzten acht Jahre seit 2015 endet. Denn der Rechtswissenschaft als hermeneutisch vorgehende Wissenschaft ist ein konservativer Zug inhärent, da Rechtssicherheit eben auf Kontinuität basiert und deshalb nicht flüchtigen Empfindungen und Interessen folgen kann - das unterscheidet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von der politischen Arbeit der Parlamente, die Partei- und Mehrheitszwängen unterliegt und sich - nicht zuletzt mit dem Ziel der Wiederwahl - regelmäßig der Meinung der Öffentlichkeit stellen muss: Richter am Bundesverfassungsgericht werden ein Mal gewählt und ernannt, ihr Amt endet nach zwölf Jahren ohne Möglichkeit der Verlängerung, die Beratungen unterliegen dem Beratungsgeheimnis, werden der Öffentlichkeit folglich in keinem Fall bekannt, eine Rechtfertigung vor der Öffentlichkeit ist weder vorgesehen noch - hinsichtlich eines zukünftigen Vorwurfs der Befangenheit - möglich. Entsprechend sind die seit 2012 vollzogenen Entscheidungen sachlich aufeinander bezogen formuliert, sodass eine diese Kontinuität brechende Argumentationen kaum sachlogisch möglich und also schwierig zu begründen wäre. Auch sind ja die Probleme der zunehmend mangelnden Qualitätssicherung wie auch der Nicht-Beachtung grundrechtsgleicher Rechte weiterhin nicht aus der Welt geschaffen. Es wäre dementsprechend verwunderlich, wenn die neu hinzukommenden Richter die derzeitigen sachlich davon überzeugen könnten, dass die von letzteren mitentwickelte neue Dogmatik sachlich nicht schlüssig sein würde und also grundlegende verändert werden müsste. Das nur umso mehr, als dass der Berichterstatter, der eine Entscheidungsvorlage erstellt und der also seit 2014 Richter am Bundesverfassungsgericht ist, noch bis 2026 Richter am Bundesverfassungsgericht sein wird.
Der langen Rede kurzer Sinn: Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird die anstehende Entscheidung eher nach dem November des Jahres gefällt werden - es ist aber m.E. ausgeschlossen, dass sie die neue Dogmatik nicht fortführte, sondern nun einen weiteren Kontinuitätsbruch vornehmen würde. Denn jene würde dann eher einer Achterbahnfahrt gleichen; das Bundesverfassungsgericht ist aber kein Rummelplatz, was es offensichtlich von manchen anderen Orten, die sich ebenfalls mit der Besoldung beschäftigen, deutlich unterscheidet.