Die mit Gesetzeskraft vollzogene Entscheidung ist genauso, wie hier gerade verschiedentlich dargelegt, vom jeweils konkret betroffenen (Besoldungs-)Gesetzgeber zu beachten. Der konkrete Gehalt ergibt sich aus der Entscheidungsformel. An diese ist der (Besoldungs-)Gesetzgeber mit Gesetzeskraft gebunden. Die Entscheidungsformel der aktuellen Entscheidung lautete (Hervorhebungen durch mich):
"IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob die
Grundgehaltssätze der Bundesbesoldungsordnung R, soweit sie vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Juli 2010 die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 im Land Berlin betreffen, und
die
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R, soweit sie vom 1. August 2010 bis 31. Dezember 2015 die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 und vom 1. Januar bis 31. Dezember 2015 darüber hinaus die Besoldungsgruppe R 3 im Land Berlin betreffen,
mit Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes vereinbar sind
– Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts
vom 22. September 2017 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses
vom 22. Januar 2018 - BVerwG 2 C 56.16, 2 C 57.16, 2 C 58.16 –
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
[...]
am 4. Mai 2020 beschlossen:
1. Mit Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes unvereinbar sind
a. Anlage IV Nummer 4 zu § 37 Absatz 1 Satz 2 des Bundesbesoldungsgesetzes in der am 31. August 2006 geltenden Fassung des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2003/2004 vom 10. September 2003 (Bundesgesetzblatt I Seite 1798 –
Grundgehaltssätze der Bundesbesoldungsordnung R ab 1. August 2004),
soweit sie gemäß Artikel 125a Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 85 des Bundesbesoldungsgesetzes vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Juli 2010 die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 im Land Berlin betrifft,
b. Anlage 1 Nummer 4 zu § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Gesetzes zur Besoldungs- und Versorgungsanpassung für Berlin 2010/2011 vom 8. Juli 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 362 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2010),
Anlage 2 des Gesetzes zur Besoldungsneuregelung für das Land Berlin vom 29. Juni 2011 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 306 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2011),
Anlage 1 Nummer 4 zu Artikel I § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 2 des Gesetzes zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2012/2013 vom 21. September 2012 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 291 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2012) und
Anlage 16 Nummer 4 zu Artikel I § 2 Absatz 3 des Gesetzes zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2012/2013 vom 21. September 2012 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 291 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2013),
soweit sie vom 1. August 2010 bis zum 31. Juli 2014 die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 betreffen, sowie
Anlage 1 Nummer 4 zu Artikel I § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Gesetzes zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2014/2015 und zur Änderung weiterer besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 9. Juli 2014 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 250 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2014) und
c. Anlage 15 Nummer 4 zu Artikel I § 2 Absatz 4 des Gesetzes zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2014/2015 und zur Änderung weiterer besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 9. Juli 2014 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Seite 250 –
Grundgehaltssätze der Landesbesoldungsordnung R ab 1. August 2015),
soweit sie vom 1. August 2014 bis zum 31. Dezember 2015 die Besoldungsgruppen R 1 und R 2 und vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2015 die Besoldungsgruppe R 3 betreffen.
2. Der Gesetzgeber des Landes Berlin hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Juli 2021 an zu treffen."
Der Gesetzgeber hat mit dem RBesRepG 2009-2015 v. 23.06.2021 zum 01.07.2021 (GVBl. 2021 S. 678;
https://gesetze.berlin.de/bsbe/document/jlr-RBes2009_15RepGBErahmen) im Sinne der Ziff. 2 der Entscheidungsformel auf die mit Gesetzeskraft vollzogene Entscheidung reagiert. Die konkreten monetären Folgen hat der Landesverband Berlin des DRB in einem so lesenswerten wie launigen Beitrag treffend zusammengefasst:
https://www.drb-berlin.de/mitgliedschaft/votum/votum/news/watt-krich-ick-denn-nu-jenau-eine-kleine-rechenhilfe-zum-rbesrepg-2009-2015 Ob der Gesetzgeber damit der mit Gesetzeskraft ergangenen Entscheidung hinreichend sachgerecht nachgekommen ist, ist nicht ganz einfach - denke ich - zu entscheiden.
Jedoch ist offensichtlich, dass er über die Jahre 2009 bis 2015 hinaus (bzw. vor sie zurück) keine Veranlassung gesehen hat, sich an die zur Begründung der Entscheidung herangezogenen Direktiven des Bundesverfassungsgerichts zu halten (vgl. bspw.
https://www.berliner-besoldung.de/berliner-besoldung-bis-weit-in-den-gehobenen-dienst-hinein-unterhalb-der-grundsicherung/). Wie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alle anderen Besoldungsgesetzgeber seitdem ebenso, hat auch das Berliner Abgeordnetenhaus das Grundsicherungsniveau bzw. die Mindest- bzw. die gewährte Nettoalimentation nicht sachgerecht bemessen und auf dieser Basis insbesondere die familienbezogenen Besoldungskomponenten stark angehoben.
Genau an dieser Stelle hakt der aktuelle ZBR-Beitrag ein, indem er die 2022 in einem vorherigen ZBR-Beitrag entwickelte Methodik zur Bemessung der Mindestbesoldung weiterhin konkretisiert und dann am Bremer Beispiel erneut exemplifiziert. Er zeigt damit den engen Zusammenhang der beiden Abstandsgebote sowie deren gezielt vom Bundesverfassungsgericht hergestellte Verkopplung mit den prozeduralen Anforderungen, die den Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren treffen. Als Ergebnis dürfte sich feststellen lassen, dass auch nach 2020 kein Besoldungsgesetzgeber die ihn treffenden prozeduralen Anforderungen hinreichend erfüllt hat - denn es findet sich seitdem in keinem Rechtskreis eine sachgerechte Begründung, wieso nicht die Grundgehaltssätze angehoben wurden, obgleich der Gesetzgeber mittlerweile in allen Rechtskreisen eingestanden hat, dass die Alimentation zum Zeitpunkt der Gesetzgebung nach der 2020er Entscheidung evident unzureichend gewesen ist.
Stattdessen hätten die Gesetzgeber nun nach 2020 zunächst einmal jeweils die Höhe einer amtsangemessenen Alimentation als Folge des Art. 33 Abs. 5 GG begründen müssen, um diese Begründung mit der weiteren Begründung zu verbinden, wie hinsichtlich des Art. 33 Abs. 2 das Leistungsprinzip hinreichend zu erfüllen wäre - hier nun hätte eine Begründung der Grundgehaltssätze erfolgen müssen, da ja die Alimentation evident unzureichend gewesen ist und da das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidungsformel genauso wie in der Entscheidungsbegründung hinsichtlich des Berliner Besoldungsgesetzgebers unmissverständlich klargestellt hat, dass die Grundgehaltssätze in den Jahren 2019 bis 2015, die R-Besoldung im Land Berlin betreffend, verfassungswidrig zu gering gewesen sind.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ich denke, es dauert u.a. deswegen nach dem gut nachvollziehbaren Empfinden der meisten von uns so lange, bis das Bundesverfassungsgericht zu seiner Entscheidung sowie deren Begründung kommt, da es das Ziel verfolgen wird, dass nicht nur die drei nun zu betrachtenden Besoldungsgesetzgeber, sondern dass im Gefolge der anstehenden Entscheidung alle Besoldungsgesetzgeber wieder zu einer amtsangemessenen Alimentation zurückkehren. Dabei dürfte man in Karlsruhe - denke ich - das Verhalten der Gesetzgeber seit 2020 eingehend studiert und daraus sachliche Schlüsse gezogen haben, um so den "konzertierten Verfassungsbruch", von dem Ulrich Battis spricht, zu seinem verdienten Ende zu führen.
Nun werden einige von uns hier die Ansicht vertreten - "never, geht nicht, wird nicht passieren, die werden sich weiterhin darumherumdrücken, ist sowieso alles sinnlos" (pardon für die plakative Überspitzung). Und kaum jemand von uns wird bestreiten, dass genau das, was ich gerade etwas plakativ zusammengefasst habe, das deutliche Interesse der Gesetzgeber sein wird - denn eine wieder amtsamgemessene Alimentation wird allein unmittelbar exorbitant teuer werden, da die Rückkehr zu verfassungskonformen gesetzlichen Regelungen das verfassungwidrige Interregnum beenden wird, sodass die massiven Einsparungen der letzten rund 20 Jahre dann nicht mehr möglich sein werden. Mittelbar werden dann noch die Tariflöhne deutlich steigen, was die Personalkosten noch einmal stark vergrößern wird - nicht zuletzt auch ebenso hinsichtlich der sowieso zunehmend höher ausfallenden Kosten zur Gewährleistung (bzw. Rückkehr zu) einer amtsangemessenen Versorgung, die sich als Folge einer wieder amtsangemessenen Alimentation zwangsläufig einstellen wird oder muss.
Ob das dem Bundesverfassungsgericht bereits vor dem Vollzug einer Vollstreckungsanordnung gelingen wird, steht in den Sternen - ich denke aber, dass die Zeichen für ein ungebrochenes "Weiter so" vonseiten der Dienstherrn nach der anstehenden Entscheidung insbesondere in Niedersachsen und in kaum geringerer Art und Weise auch in Schleswig-Holstein nicht unendlich gut stehen werden. Denn das Bundesverfassungsgericht reagiert offensichtlich damit, dass es die 2022 angekündigte Entscheidung über die Bremer Besoldung nun auf diese Rechtkreise erweitert hat - und dass es dabei offensichtlich das hier schon mehrfach betrachtete "verfassungsrechtliche Faustpfand" einbehält -, nun noch einmal deutlich weitergehend auf den konzertierten Verfassungsbruch, als es das offensichtlich noch im Frühjahr 2022 geplant hat, worin sich genau eine solche Reaktion auf den "konzertierten Verfassungsbruch" widerspiegeln dürfte, wie sie offensichtlich auch notwendig ist (vgl. zur gesamten Problematik
https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2023/03/Weitere-Normenkontrollantraege-vor-der-Entscheidung-5.pdf). Das Bundesverfassungsgericht dürfte folglich aus den sich 2022 weiter vollzogenen Entwicklungen sachlich Konsquenzen gezogen haben, die es bewogen haben dürften, den Kreis der zu betrachtenden Gesetzgeber um Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu erweitern. Das dürfte, da das Bundesverfassungsgericht seinem verfassungsrechtlichen Auftrag folgend grundsätzlich sehr gezielt vorgeht, nicht von Ungefähr erfolgt sein.
Ergo können wir einige Überraschungen erwarten, denke ich, was die weiter auszuformenen Direktiven des Bundesverfassungsgerichts anbelangt, so wie sich das bspw. hinsichtlich der prozeduralen Anforderungen in der Entscheidung 2 BvF 2/18 bereits andeutet. Die Besoldungsgesetzgeber sind verpflichtet, diese Direktiven hinsichtlich des Alimentationsprinzips zu beachten - und das Bundesverfassungsgericht dürfte spätestens nach den letzten drei Jahren ein starkes Interesse haben, dass diese Beachtung spätestens ab dem Herbst bzw. Winter wieder erfolgt, wenn es also um die Übertragung des Tarifergebnisses auf die Besoldung gehen wird. Da mindestens Niedersachsen, Sachsen, Berlin und Baden-Württemberg nicht mehr unendlich weit von einer Vollstreckungsanordnung entfernt sein dürften, wird man - so denke ich - nun insbesondere dem Erstgenannten sachlich ruhig, aber inhaltlich unmissverständlich die möglichen Instrumente vor Augen führen. Da der Finanzminister den verfassungswidrigen sachlichen Gehalt der derzeitigen Gesetzeslage noch in seiner Funktion als Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses bereits eingestanden hat, dürfte es für die aktuelle Landesregierung nur noch umso schwieriger sein bzw. werden, ggf. sachlich nicht zu rechtfertigende Entscheidungen zu treffen (
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/gerald-heere/fragen-antworten/in-der-letzten-landtagssitzung-haben-sie-die-ablehnung-des-gesetzentwurfs-18/11498-fuer-buendnis-90/die-gruenen).
Schauen wir also mal, wohin die Reise geht: Mit einer eher später erfolgende Entscheidung, die aber in ihrer substanziierten Begründung um so treffender ist, dürfte den Beamten und ihren Familien allemal mehr gedient sein, als wenn die Gesetzgeber sich nach der Entscheidung nicht deutlich an Art. 20 Abs. 3 GG erinnert fühlten, denke ich. Und es sollte davon auszugehen sein, dass alle drei Besoldungsgesetzgeber unmittelbar und alle anderen mittelbar an ihre sie treffenden verfasungsrechtlichen Bindungen erinnert werden werden. Denn alles andere wäre in Anbetracht dessen, wie in den letzten drei Jahen mit der neuen Besoldungsdogmatik von ihrer Seite verfahren worden ist, doch eher erstaunlich.
@ Mitleser
Das liegt, solange er nicht rechtkräftig zu etwas anderem veranlasst wird, zunächst einmal im Ermessen des Gesetzgebers. Jener hat ja in Baden-Württemberg bereits im Gesetzgebungsverfahren eingestanden, dass eine amtsangemessene Alimentation zu Mehrkosten von 2,9 Mrd. € geführt hätte (diesen Betrag wie auch den folgenden schreibe ich aus der Erinnerung), während man am Ende eine Lösung gewählt hat, die Mehrkosten in Höhe von 219 (?) Mio. € nach sich gezogen hat. Da darüber hinaus die Bemessung des Grundsicherungs-, der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation im Gesetzgebungverfahren weiterhin wiederkehrend sachwidrig erfolgt ist, sollte davon auszugehen sein, dass auch in Baden-Württemberg heute alle Beamte - in individuell unterschiedlichem Maße - evident unzureichend alimentiert werden. Um eine wieder amtsangemessene Alimentation auch in Baden-Württemberg zu garantieren, die das sog. "Vier-Säulen-Modell" offensichtlich in keinem Fall gewährleistet, wird auch Baden-Württemberg nicht darum herumkommen, die Grundgehaltssätze deutlich anzuheben. Nicht umsonst belief sich der absolute Fehlbetrag zwischen der Mindest- und der gewährten Nettoalimentation 2020 - also vor Vollzug jenes "Vier-Säulen-Modells" - auf monatlich mehr als 870,- €, was rund 26 % betrug. Eine solch eklatante Verletzung des Alimentationsprinzips kann offensichtlich nicht hinreichend geheilt werden - also unter Beachtung des Leistungsprinzips -, ohne dass die Grundgehaltssätze nicht deutlich angehoben werden würden. Alles andere ließe sich augenscheinlich nicht hinreichend begründen. Genau darin liegt die Quintessenz des aktuellen ZBR-Beitrags, wenn ich das richtig sehe.