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https://www.aachener-zeitung.de Alimentationsprinzip : Klagewelle von NRW-Beamten erwartetDüsseldorf Ein Streit um die Besoldung könnte zu Zehntausenden juristischen Auseinandersetzungen führen. Weil das Land sich weigert, etwas gegen eine Verjährung zu tun, müssen die Staatsdiener einzeln für ihr Recht kämpfen.
Von Maximilian Plück
Dem Land droht eine große Zahl von Einzelklagen seiner Beamten. Grund dafür ist die Unzufriedenheit der Staatsdiener mit ihrer Besoldung. Diese halten viele für nicht mehr angemessen. Wie aus einer Antwort des NRW-Finanzministeriums auf eine Kleine Anfrage von FDP-Fraktionsvize Ralf Witzel hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegt, sind seit 2021 knapp 85.000 Widersprüche gegen die sogenannte amtsangemessene Alimentation beim Land eingegangen. Für das laufende Jahr sind es bislang zwar nur 3152, erfahrungsgemäß steigt der Wert aber zum Jahresende rapide an.
Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, die Beamten und ihre Familie lebenslang angemessen zu bezahlen. Die Höhe richtet sich dabei nicht nur nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach Maßgabe der Bedeutung des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit. Zudem wird dabei die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards berücksichtigt. Im Frühjahr 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass der Abstand in der untersten Besoldungsgruppe zum Grundsicherungsniveau nicht mehr gegeben sei und die Politik zum Handeln aufgefordert. (Az. 2 BvL 4/18 und 2 BvL 6/17)
Zwar hatte die damals noch schwarz-gelbe Landesregierung Anfang 2022 die Bezahlung der Beamten noch einmal deutlich verbessert. Doch es gibt Stimmen, die auch das nicht für ausreichend halten. So sagte der Chef des Deutschen Beamtenbunds NRW, Roland Staude, unserer Redaktion: „Wir haben erhebliche Bedenken, dass die Besoldung im Jahr 2022 aufgrund der Inflation und im Jahr 2023 aufgrund der Einführung des Bürgergelds im Hinblick auf das Abstandsgebot zum Grundsicherungsniveau verfassungskonform war. Deshalb sollte das Land die Widersprüche sehr ernst nehmen.“ Das Bürgergeld liegt rund 14 Prozent über der früheren Grundsicherung.
Der NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) sieht hingegen keinen weiteren Anpassungsbedarf: „Durch die Besoldungsanpassung 2022 sowie die Neustrukturierung und Erhöhung der Familienzuschläge zum 1. Dezember 2022 hat das Land Nordrhein-Westfalen erhebliche finanzielle Verbesserungen für die Beamtinnen und Beamten umgesetzt.“ Die zugrunde liegenden Gesetzentwürfe seien nach den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes erstellt worden, sodass aus hiesiger Sicht keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen zur Verfassungsgemäßheit der Alimentation bestünden. „Ein generelles Ruhendstellen der Widersprüche gegen die Alimentation für das Jahr 2022 ist insoweit nicht angezeigt“, schreibt Optendrenk.
Genau das könnte die zahlreichen Klagen auslösen. So erklärte Beamtenbund-Chef Staude: „Es besteht die Gefahr, dass Ansprüche auf amtsangemessene Alimentation trotz eingelegten Widerspruchs gegen die Besoldung nach drei Jahren verjähren.“ In der Vergangenheit sei es geübte Praxis gewesen, dass das Land die Widersprüche ruhend gestellt und somit der Verjährung vorgebeugt habe. Das hatte noch einen weiteren Effekt, denn es ermöglichte dem Beamtenbund, Musterklagen anzustrengen, um die Verfassungsmäßigkeit der Besoldungshöhe zu überprüfen. „Von dieser Praxis weicht das Land nun ab und zwingt damit seine Landesbeamten im Ernstfall, einzeln für die Durchsetzung ihrer Ansprüche vor Gericht zu streiten. Es kann nicht im Interesse des Landes sein, dass es nun eine Klagewelle vom Zaun bricht.“ Staude forderte das Land auf, unverzüglich zur geübten Praxis zurückzukehren. „Alles andere wäre ein Affront für die eigenen Beamten.“
Rückendeckung gibt es von der Opposition
Rückendeckung gibt es von der Opposition. „Die zahlreichen Widersprüche zur Besoldung bleiben ebenso achtlos liegen wie die Masseneinsprüche bei der Grundsteuer. Untätigkeit ist die neue Devise dieser Landesregierung“, so FDP-Fraktionsvize Witzel und forderte ebenfalls die Ruhendstellung, damit schnell und effizient in Musterverfahren über die aufgeworfenen Fragen entschieden werden könne. „Wenn die Gerichte seiner Argumentation folgen, hat der Minister nichts zu fürchten. Mit seinem bisherigen Vorgehen setzt er die Attraktivität des öffentlichen Dienstes für dringend benötigte Stellenbewerber aufs Spiel.“