Nun gut, anbei nun mehrere Tabellen, von denen die letzte (Tabelle 3) die entscheidende ist.
Zunächst ein wenig Theorie, um in groben Zügen die Berechnungsgrundlage zu verdeutlichen, die das Bundesverfassungsgericht (wie auch alle anderen Gerichte, die mit Alimentationsfragen beschäftigt sind) regelmäßig zugrunde legt. Wer sich in der Materie gut auskennt, sollte die nächsten langen Passagen beiseite lassen und gleich zum Abschnitt c) gehen oder auch direkt mit der Tabelle 3 und den im Anschluss abgeleiteten Folgen beginnen.
Wer sich in der Materie noch nicht ganz so gut auskennt, dem gebe ich nachfolgend – in groben Zügen und auch sprachlich nicht auf die Goldwaage legend (das Schreiben ist recht zeitaufwändig) – einen Überblick, um insbesondere die Tabelle 3 und deren Folgen innerhalb der Bundesverfassungslogik zu durchdringen.
a) Die Mindestalimentation
Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich bei Entscheidungen zu Alimentationsfragen als Maßstab grundsätzlich immer auf eine vierköpfige Beamtenfamilie, was sich historisch aus einer Art „Normfamilie“ ergeben hat und auch zukünftig so fortgeführt werden wird, um einen immer gleichen, also festgelegten Maßstab zu bilden, von dem aus die Rechtslage betrachtet wird (auf das Gebiet der kinderreichen Beamtenfamilie gehe ich hier nicht weiter ein; es spielt hier keine Rolle).
Die Mindestalimentation muss nun so bemessen sein, dass die Alimentation eines alleinverdienenden Beamten bzw. einer alleinverdienenden Beamtin in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe jener vierköpfigen Familie mindestens 15 Prozent oberhalb des Wertes liegt, den eine vierköpfige Familie ohne Verdiener oder Verdienerin an staatlicher Grundsicherung erhält.
Dazu hat das Bundesverfassungsgericht seit Mai 2015 ein – zunehmend komplexeres – Berechnungsgebilde entwickelt, das mit dem aktuellen Beschluss nun in seinen Grundzügen vollständig vorliegt und das einen relativen Maßstab bildet, um nun entscheiden zu können, wann eine Alimentation noch amtsangemessen ist und wann nicht.
Weiterhin sind zur Berechnung der jeweiligen Nettoalimentationshöhe neben dem Grundgehalt, der Familien- sowie eventuelle weitere Sonderzuschläge hinzuzuberechnen. Von diesen Jahresbruttogesamtbezügen sind die Lohnsteuer sowie die Kosten für die Krankenvorsorge abzuziehen und ist schließlich das Kindergeld hinzuzuaddieren. Als Ergebnis liegt dann die jeweilige Alimentationshöhe vor. Mit Blick auf die Vorinstanz, das Bundesverwaltungsgericht, sieht die entsprechende Berechnung dann wie folgt aus (leider kann ich offensichtlich diese wie die beiden anderen Tabellen nicht einfach einkopieren, sodass ich die Daten nun untereinander schreibe; ich hoffe, sie sind trotzdem lesbar):
Tabelle 1: Berechnung der Berliner Mindestalimentation durch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.09.2017 – BVerwG 2 C 56.16 – Rn. 188):
Grundgehalt (brutto): + 18.658,88 €
Familienzuschlag (brutto):+ 3.681,02 €
Sonderzuschlag (brutto): + 991,12 €
Jahresbruttogesamtbezüge: + 23.331,02 €
Lohnsteuer: - 652,00 €
Kosten PKV: - 4.080,00 €
Kindergeld: + 4.176,00 €
Alimentationshöhe: 22.775,02 €
Vergleicht man die Berechnungen des Bundesverwaltungsgerichts als Vorinstanz mit denen des aktuellen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts, dann stellt man wenig verwundert fest, dass beide von identischen Jahresbruttogesamtbezügen sowie einem identischen Kindergeld ausgehen. Jedoch setzt das Bundesverfassungsgericht bei einer geringeren Steuerlast deutlich höhere Kosten für die PKV an, wobei es sich bei der Höhe der anzusetzenden Krankheitsvorsorgekosten um einen der thematisch in den letzten Jahren zentralen Streitpunkte handelte, den das Bundesverfassungsgericht als letzten zur Berechnung der Alimentationshöhe nötigen Posten weiterhin nicht rechtsverbindlich geklärt hat (der Streitpunkt ist insbesondere darin zu suchen, dass die Besoldungsgesetzgeber in der Begründung ihrer Besoldungsgesetze überwiegend von möglichst geringen Krankenvorsorgekosten ausgehen, um so ein höheres Alimentationsniveau ausweisen zu können mit dem Ziel, die Mindestalimentation nicht zu unterschreiten).
Tabelle 2: Berechnung der Berliner Mindestalimentation durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.05.2020 – 2 BvL 4/18 – Rn. 150):
Grundgehalt (brutto): + 18.658,88 €
Familienzuschlag (brutto): + 3.681,02 €
Sonderzuschlag (brutto): + 991,12 €
Jahresbruttogesamtbezüge: + 23.331,02 €
Lohnsteuer: - 294,00 €
Kosten PKV: - 4.695,84 €
Kindergeld: + 4.176,00 €
Alimentationshöhe: 22.517,18 €
Das Thema der Einbeziehung der Krankenvorsorgekosten in die Berechnung der Alimentationshöhe ist folglich weiterhin nicht bis ins Letzte geklärt – und es liegt offensichtlich auch nicht im Interesse des Bundesverfassungsgerichts, diese bis in den letzten Cent zu klären, da es sich bei der Mindestalimentation nicht um einen exakt zu berechnenden Wert handelt bzw. handeln kann, sondern um einen Richtwert, der insgesamt nur relativ bestimmbar ist, aber dabei eben im Rahmen des Grundgesetzes nicht vollständig mathematisiert werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat nun aber mit dem zugrunde gelegten Wert eine Richtmarke gesetzt, hinter die zukünftig kein Besoldungsgesetzgeber mehr zurück kann (ein typisches Vorgehen des Bundesverfassungsgericht).
b) Das sozialhilferechtliche Grundsicherungsniveau als mögliche und relative Vergleichsrelation
Weshalb der Beschluss, der bereits für 2019 angekündigt war, mit so viel Spannung erwartet worden ist, liegt daran, dass die Berechnungsmethode des Vergleichswert, des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveau mit Blick auf die mögliche Vergleichsrelation, bislang nicht vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben worden war. Bislang hatte es diesbezüglich aus verschiedenen Gründen nur recht allgemeine Leitsätze dargelegt, insbesondere, weil es nach 2015 zunächst noch kein Verfahren gegeben hat, für das eine Konkretisierung nötig gewesen wäre, aber auch und wohl vor allem, um – ein weiteres typisches Verfahren des Bundesverfassungsgerichts – zunächst abzuwarten, wie die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit jenen Leitsätzen verfährt, sodass sich nach und nach verschiedene Rechtsauffassungen bilden, die das weite Feld von Juristerei und gesellschaftlichen Prozessen abbilden. Diese zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmend, gewichtend und in die Verfassungsordnung einbindend, ist das typische methodische Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts. Nicht zuletzt hierin spiegelt sich seine beeindruckende Lernfähigkeit als verfassungsrechtliche Letztinstanz.
Und nun – kurz vor Ende der Amtszeit von Andreas Voßkuhle, unter dessen Präsidentschaft in den letzten Jahren, man muss es so sagen, das Alimentationsrecht wieder vom Kopf auf die Füße gestellt worden ist – war offensichtlich der Zeitpunkt gekommen, um Nägel mit Köpfen zu machen; denn mit dem aktuellen Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht nun eine Methodik zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveaus mit Blick auf die mögliche Vergleichsrelation vorgelegt und zugleich auf einen konkreten Rechtsfall angewandt. Als Ergebnis besteht nun Rechtssicherheit, ohne dass ich nun auch dazu auch noch unendlich viel schreibe, sondern lieber zu dem Ergebnis komme, dass für uns Beamte vor allem interessant ist.
c) Zur Frage zukünftiger Besoldungshöhen
Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich in der Ausgestaltung der ihm obliegenden Alimentationspflichten verhältnismäßig frei. Durch das Bundesverfassungsgericht ist allerdings geklärt, dass es sich bei dem 15%igen Abstand der Mindestalimentation zum Grundsicherungsniveau um einen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentum handelt, er also zum absoluten Kernbereich gehört und von daher grundgesetzlich besonders geschützt ist (etwas vereinfacht ausgedrückt).
Da sich die Alimentation wie in den Tabellen 1 und 2 gezeigt aus mehreren Faktoren zusammensetzt, haben die Besoldungsgesetzgeber verschiedene, allerdings keine willkürlichen Möglichkeiten, das relative Mindestalimentationsniveau zu erreichen. So können sie beispielsweise für alle das Grundgehalt anheben oder die Familienzuschläge innerhalb eines gewissen Rahmen erhöhen oder eben auch mit bestimmten Zuschlägen operieren, die nicht allen Beamten der verschiedenen Besoldungsgruppen oder Besoldungsstufen gewährt werden müssen – insgesamt müssen sie dabei allerdings den verfassungsrechtlichen Rahmen einhalten, also insbesondere die vom Bundesverfassungsgericht entwickelt übergreifende Prüfmethodik vollständig beachten, innerhalb derer die Mindestalimentation nur einer von mehreren Faktoren darstellt.
2017 und 2018 hatte das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage seiner Bestimmung des sozialhilferechtlichen Grundsicherungsniveaus in Berlin eine durchgehende Unteralimentierung festgestellt, da nach seiner Auffassung die vom Berliner Senat gewährte Alimentationshöhe in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe während der Jahre 2009 bis 2015 zwischen knapp zehn und knapp über zwölf Prozent hätte höher ausfallen müssen, um zu einer amtsangemessenen Mindestalimentation zu gelangen (vgl. die ersten beiden Zeilen der Tabelle 3).
Wäre die Berechnungsmethodik des Bundesverwaltungsgerichts vom Bundesverfassungsgericht übernommen worden, hätte das dazu geführt, dass selbst im Land Bayern als Bestbesolder die Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe (bzw. genauer: der Besoldungsgruppe A 6) im Jahre 2019 um 1.413,24 Euro zu niedrige alimentiert worden wäre (vgl. oben meine am 29.07. um 15.12 Uhr eingestellte Berechnung aus dem Jahr 2019, der die Berechnungsmethodik des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegt).
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht die Methodik des Bundesverwaltungsgerichts nur in Teilen bestätigt, ist allerdings insbesondere an der zentralen Stelle, der Ansetzung der Unterkunftskosten, noch einmal sehr deutlich über das Bundesverwaltungsgericht hinausgegangen – mit dem Ergebnis, das sich in der dritten und vierten Zeile der nachfolgenden Tabelle 3 zeigt.
Tabelle 3: Vergleich der jeweils vom Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht bestimmten Mindestalimentation
2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
Alimentationshöhe 22.775,02 € 23.342,36 € 23.672,68 € 24.085,91 € 24.486,23 € 25.037,20 € 25.772,53 €
Berlin BVerwG
(Rn. 188-215)
Nötige Mindest- 25.418,40 € 26.073,03 € 26.577,33 € 27.044,93 € 27.177,57 € 27.785,73 € 28.291,73 €
alimentationshöhe +2.643,38 € +2.730,67 € +2.904,65 € +2.959,02 € +2.691,34 € +2.748,53 € +2.519,2 €
BVerwG + 11,6 % + 11,7 % + 12,3 % + 12,3 % + 10,99 % + 10,98 % (+ 9,77 %
(Rn. 188-215)
Alimentationshöhe 22.517,18 € 22.474,60 € 22.643,72 € 22.871,26 € 23.189,35 € 23.688,32 € 24.340,09 €
Berlin BVerfG
(Rn. 150 f.)
Nötige Mindest- 29.558,50 € 30.213,17 € 31.272,59 € 32.404,19 € 32.563,67 € 33.144,98 € 33.651,02 €
alimentationshöhe +7.041,32 € +7.738,57€ + 8.628,87€ + 9.532,93€ +9.347,32 € + 9.456,66 € +9.310,93 €
BVerfG (Rn. 153) + 31,3 % + 34,4 % + 38,1 % + 41,7 % + 40,4 % +39,9 % + 38, 25 %
Wie oben gezeigt, geht das Bundesverfassungsgericht von einer niedrigeren Alimentationshöhe als das Bundesverwaltungsgerichts aus (Zeilen 1 und 3); und auf dieser Grundlage kommt es zu dem Ergebnis einer extremen Unteralimentation: Denn nach dem aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts muss die während der Jahre 2009 bis 2015 in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe gewährte Alimentation zwischen rund 31 und knapp 42 Prozent erhöht werden, um das Mindestalimentationsniveau zu erreichen. Nicht umsonst stehen jenen Berliner Beamten in der Eingangsstufe der untersten Besoldungsggruppe für sieben Jahre Nachzahlungen von insgesamt über 60.000,- Euro zu, wobei – wie gesagt – das nicht automatisch an Grundbezügen bemessen werden muss, da sich die Alimentation aus mehreren Faktoren errechnet.
Allerdings ist es offensichtlich, dass eine solche Summe auch zu einer deutlichen Erhöhung der Grundbezüge führen muss, denn eine ausschließlich anderweitige Erhöhung ist ohne Verstoß gegen weitere Parameter der ersten Prüfungsstufe nicht möglich, die das Bundesverfassungsgericht ab 2015 entwickelt und die von den Besoldungsgesetzgeber unumschränkt zu beachten sind.
Zugleich wird die Mindestalimentation zwar anhand der Eingangsstufe der untersten Besoldungsgruppe berechnet; die sich hier zeigende Unteralimentation betrifft aber alle Beamten, sodass – sobald bzw. spätestens wenn das erste rechtskräftige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur A-Besoldung erfolgt – die gesamte Berliner A-Besoldungsordnung entsprechend zu überarbeiten ist.
Der langen Rede kurzer Sinn: Zwar hinkte die Berliner Beamtenbesoldung der Jahre 2009 bis 2015 deutlich hinter der der anderen Länder hinterher – aber diese Deutlichkeit betrug nicht weit über 30 bis 40 Prozent.
Und um es an einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen: Niedersachsen gehört in den unteren Besoldungsgruppen ebenfalls zu den Ländern, die ihren Beamten insbesondere, aber nicht nur in den unteren Besoldungsgruppen eine im Vergleich deutlich unterdurchschnittliche Alimentation gewähren. Auf Grundlage der Berechnungsmethodik des Bundesverwaltungsgerichts hätte im letzten Jahr nicht einmal die Besoldungsgruppe A 9 das Niveau der Mindestalimentation erreicht (die in Niedersachsen anhand der Besoldungsgruppe 5 zu berechnen ist). Nun aber dürfte sich das Bild noch einmal sehr viel anders darstellen, eben weil das Bundesverfassungsgericht so deutlich über das Bundesverwaltungsgericht hinausgegangen ist, wie es die Tabelle 3 zeigt.
Genau deshalb habe ich in meinem Eingangsbeitrag von einer Zeitenwende gesprochen, eben wegen dieser extremen Werte, wobei jene Zeitenwende mich – je mehr ich mich wieder in das Thema hineinarbeite – weiterhin eher erschreckt (bei aller Freude, die irgendwie auch da ist), als euphorisch machte.
Und PS. Lieber Was_guckst-du, wie wohl deutlich wird, bin ich am Thema interessiert, weshalb ich gerne konkrete Gegenargumente lesen möchte (von Dir und natürlich jedem anderen); denn ob das, was ich hier schreibe, alles richtig ist, kann ich nicht entscheiden. Was mich aber wirklich irritiert, ist, dass Du anderen Widersprüche ausreden willst. Ein Widerspruch kostet keinen Euro an Papier, Kuvert und Porto und kann mittels copy and paste in wenigen Minuten erstellt werden. Die Summe, die einem aller Wahrscheinlichkeit entgeht, sofern man keinen Widerspruch einlege, liegt meiner Meinung nach allerdings sehr viel höher... Und jetzt würde ich gerne mal ein paar juristische Gegenargumente von Dir hören. Wäre Dir das möglich? Darüber würde ich mich freuen.