Der Gesetzesentwurf aus Mecklenburg-Vorpommern soll "zur Neuregelung des Besoldungsgrechts und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften" des Landes führen, ist also nicht mit dem aktuellen oder zukünftigen Besoldungsanpassungsgesetz zu verwechseln. Damit soll er offensichtlich das derzeit geltende Besoldungsgesetz aus dem Jahr 2001 ablösen und aktualisieren. Da das Besoldungsneuregelungsgesetz, sofern es denn so beschlossen wird, mehr oder minder der Überbau für die Besoldungsanpassungsgesetze ist, muss es solange keine Prozeduralisierung vergangener oder zukünftiger Besoldungen vornehmen, wie es nicht auf konkrete Berechnungen zurückgreift bzw. jene thematisiert; denn diese Thematisierung bzw. konkrete Berechnung ist zunächst einmal den Besoldungsanpassungsgesetzen vorbehalten. Von daher erfüllt der Entwurf durch die beigefügte Begründung der Drs. 7/5440 erst einmal vielfach die dem Land obliegenden Prozeduralisierungspflichten, da es sich wiederholt mit den Folgen der Entscheidung 2 BvL 4/18 auseinandersetzt und begründet, welche Folgen es aus ihr zieht.
Einleitend führt die Begründung aus, dass das Land zukünftig den vom BVerfG vorgegebenen Rechenweg zur Bestimmung der Mindestalimentation einhalten wolle (S. 10). Erstaunlich ist auf den ersten Blick aber, dass ein Handlungsbedarf durchgehend nur für die Besoldungsgruppen A 4 bis A 6 gesehen wird und hier auch nur für "gestaffelte Erhöhungsbeträge für den Familienzuschlag ab der Stufe 3" (S. 11). Jener Regelungsbedarf soll dann über ein Zuschlagssystem erfolgen, das verschachtelt dargestellt wird, vgl. § 73 (1) auf der S. 63, der wiederum auf § 2 (1) verweist, der wiederum als einzigen Zuschlag den Familienzuschlag kennt (dort unter der Nr. 3 auf der S. 30). Verschachtelt wird also eine komplexe Systematik angekündigt, tatsächlich erfolgt am Ende nur die Erhöhung der Familienzuschläge für die Besoldungsgruppen A 4 bis A 6 (vgl. Anlage 10, S. 108). Da hier nun konkrete monetäre Werte genannt werden, jedoch keine Berechnung erfolgt, dürfte das Land - so wie kommunalbeamter91 schreibt - an dieser Stelle seine Prozeduralisierungspflichten verletzen (vgl. auch die entsprechende Begründung auf der S. 161).
Der zentrale Haken liegt aber - wenn ich das richtig sehe - vor allem an einer anderen Stelle: Denn zwar betont die Begründung zum Gesetzesentwurf wiederholt, dass aus den beiden Entscheidungen des BVerfG ein "Handlungsbedarf" abzuleiten sei (s. insbesondere 168 f.). Jener erstreckt sich aus auf den ersten Blick nicht erschließbaren Gründen für die Begründung nur auf die Besoldungsgruppen A 4 bis A 6, was daran liegt, dass die Grundsichtweise - versteckt auf der S. 251 - weiterhin wie folgt lautet: "Eine Verletzung des vom Bundesverfassungsgericht benannten [Mindest-]Abstandsgebotes ist mit Blick auf die derzeitige Besoldung nicht erkennbar. Insbesondere hat die Streichung der Besoldungsgruppen A 2 und A 3 dazu geführt, dass der Abstand zwischen der niedrigsten Besoldung (jetzt nach A 4) und dem sozialhilferechtlichen Bedarf angestiegen ist."
Das allerdings erstaunt zunächst; denn nicht umsonst geht Stuttmann aktuell unter Verwendung der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Direktiven davon aus, dass in Mecklenburg-Vorpommern erst die Besolungsgruppe A 8 in den Erfahrungsstufen 4/5 den Mindestabstand zum sozialhilefrechtlichen Existenzminimum erreicht (vgl. bei Stuttmann, S. 87). Das Erstaunen löst sich aber recht schnell auf, wenn man schaut, wie in der Begründung mit den Direktiven des Bundesverfassungsgerichts verfahren wird, die man ja - so wurde eingangs betont - einzuhalten gedenkt. Denn an der zentralen Stelle werden diese offensichtlich gezielt missachtet - nämlich mit Blick auf die Wohnkosten, also genau bei dem Posten in der Bemessung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums, der den maßgeblichsten Einfluss auf das anzuhebende Besoldungsniveau hat.
Diesbezüglich hat das BVerfG in der aktuellen Entscheidung hervorgehoben: "Um der verfassungsrechtlichen Zielsetzung, das Grundsicherungsniveau als Ausgangspunkt für die Festlegung der Untergrenze der Beamtenbesoldung zu bestimmen, gerecht zu werden, muss der Bedarf für die Kosten der Unterkunft so erfasst werden, wie ihn das Sozialrecht definiert und die Grundsicherungsbehörden tatsächlich anerkennen. Auch muss der Ansatz so bemessen sein, dass er auch in den Kommunen mit höheren Kosten der Unterkunft das Grundsicherungsniveau nicht unterschreitet." (Rn. 57) Und weiter: "Anders als die Regierung des Saarlandes in ihrer Stellungnahme ausführt, kann der Dienstherr nicht erwarten, dass Beamte der untersten Besoldungsgruppe ihren Wohnsitz 'amtsangemessen' in dem Ort wählen, der landesweit die niedrigsten Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernt sich unzulässig vom Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen. Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76 <November 2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. § 72 Abs. 1 BBG sowie § 69 LBesG BE)." (Rn. 60)
Aus diesen Darlegungen wird ersichtlich, dass auch überdurchschnittliche Wohnkosten in die Berechnung im Sinne des 95 %-Perzentils (Rn. 59) in die Bemessung mit einzubeziehen sind. Das gilt insbesondere auch und gerade für das Land Mecklenburg-Vorpommern, das zwar hervorhebt, dass es keine Residenzpflicht wiedereinführen möchte (vgl. S. 189), das aber in § 19 die Wohnortwahl einschränkt (vgl. S. 37), was zur Folge hat, dass es die realen Wohnkosten der Beamten in Sinne der BVerfG-Entscheidung unumschränkt anzuerkennen hat - tatsächlich stellt es sich aber entgegen der Direktive des BVerfG auf den Standpunkt des Saarlands, indem im Entwurf formuliert wird: Es müsse
"die Beamtin oder der Beamte die höheren Mietkosten für die Wahl einer Wohnung in bevorzugter Lage [...] selbst tragen. Insofern erfolgt mit der Vorschrift kein Einstieg in die individuelle Besoldung, die abgesehen von der durch Familienzuschläge berücksichtigten familiären Situation die persönlichen Lebensumstände der Beamtin oder des Beamten berücksichtigt." (S. 252)
Aus dieser Passage wird ersichtlich, wieso ein Handlungsbedarf nur für die Besoldungsgruppen A 4 bis A 6 erkannt wird. Denn an der entscheidenden Stelle will der Entwurf weiterhin verfassungswidrig verfahren. Denn da sich Beamte oder Richter nicht selbst aussuchen können, ob ihr Dienst- und damit Wohnort in Rostock (Mietenstufe IV wie Berlin) oder Bad Doberan, Greifswald, Schwerin, Stralsund, Waren, Wismar oder Wolgast liegt (allesamt Mietenstufe III), hat der Besoldungsgesetzgeber sicherzustellen, dass ihre realen Lebenshaltungskosten beachtet werden. Der Besoldungsgesetzgeber sei zwar "nicht verpflichtet, die Mindestbesoldung eines Beamten oder Richters auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist" (Rn. 61) - allerdings sind die Beamten an den genannten Orten von jenen betroffen und können ihnen nicht ausweichen bzw. können nicht gezwungen werden, ihnen auszuweichen, da sie nicht zuletzt zugleich gezwungen werden, ihren dienstlichen Wohnsitz an dem Ort zu nehmen, "an dem die Behörde oder ständige Dienststelle ihren Sitz hat" (§ 19 des Entwurfs, s. S. 37).
Ergo: Eine so bemessene Alimentation ist offensichtlich verfassungswidrig, da sie mindestens gegen eine der zentralen neuen Direktiven des BVerfG verstößt. Das erklärt auch, weshalb mit Blick auf die neu festgesetzten Familienzuschläge der Besoldungsgruppen A 4 bis A 6 keine Berechnung erfolgt. Denn diese würde schnell anhand der zugrunde gelegten Werte zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Existenzminimum deutlich machen, dass die zu beachtenden Direktiven des BVerfG mindestens mit Blick auf die Wohnkosten offensichtlich nicht eingehalten werden.