Die Berliner Senatsverwaltung führt nun aus, dass Berliner R-Besoldung in den letzten Jahren überproportional erhöht worden sei; ob das ausreicht, um eine amtsangemessene Alimentation zu gewährleisten, wird sich zeigen müssen.
Das aktuelle Urteil verpflichtet das Land Berlin - wie auch alle anderen Bundesländer und den Bund - nun noch einmal besonders, den amtsangemessenen Charakter seiner Gesetzgebung im Vorfeld realitätsgerecht zu prüfen (die nachfolgende Formulierung des BVerfG ist, wenn ich es richtig sehe, eine der vorgenommenen Verschärfungen - oder vorsichtiger formuliert: Konkretisierungen -; sie findet sich in den Beschlüssen der letzten Jahre in dieser Deutlichkeit nicht, jedenfalls habe ich sie dort auf die Schnelle bislang nicht gefunden): Den Gesetzgeber treffe "die Pflicht, die ihm zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Höhe der Grundsicherungsleistungen auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen" (Rn. 53). Der "gebotene Umfang" bedeutet seit dem Beschluss vom November 2015: Eine verfassungskonforme Mindestalimentation der unteren Gehaltsstufen muss zwingend mindestens 15 Prozent über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum liegen.
Genau hierzu hat das BVerfG nun im aktuellen Beschluss die Berechnungsmethodik vorgegeben, die damit rechtskräftig sowohl für die R- als auch für die W- und A-Besoldung heranzuziehen ist (für alle drei Besoldungen gilt im Grundsatz das identische Besoldungsrecht, weshalb der aktuelle Beschluss zur R-Besoldung in seiner grundlegenden Ausformung praktisch identisch auf die W- und A-Besoldung zu übertragen ist).
Bislang war hingegen mit Ausnahme des sog. Regelbedarfssatzes nicht klar, welche weiteren Parameter wie in jene Berechnung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums einzubeziehen sind, weshalb die verschiedenen Gerichte unterschiedliche Berechnungsverfahren zugrunde gelegt und ihren Beschluss dann jeweils als Vorlage dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt haben. Das BVerfG hat nun über den Vorlagenbeschluss des BVerwG vom 22.09.2017 entschieden und dessen Berechnungsmethodik über weite Strecken bestätigt; sie darüber hinaus in Teilen offensichtlich noch weiter in Richtung einer die Alimentation erhöhenden Grundlage erweitert (insbesondere mit Blick auf soziale Teilhabe- und PKV-Kosten).
Im anderen Zusammenhang (
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,112516.15.html) habe ich am 13.09.2019 (für die, die den Kontext nachlesen wollen) mal die Berechnungen auf Grundlage der Annahmen des BVerwG für das Land Bayern als deutschem Bestbesolder vorgenommen, die ich hier jetzt einfach noch einmal mittels copy and paste wiedergebe, um die finanzielle Sprengkraft des aktuellen Beschlusses darzulegen (wobei der nachfolgende Wert der Unteralimentation höchstwahrscheinlich im Lichte des aktuellen Beschlusses als zu niedrig anzusehen sein dürfte, da das BVerfG offensichtlich von höheren sozialen Teilhabe- und PKV-Kosten ausgeht; das habe ich mir im aktuellen Beschluss aber noch nicht im Detail angeschaut):
"Das Bundesverfassungsgericht legt regelmäßig die Nettoalimentation einer vierköpfigen Familie mit einem verbeamteten Alleinverdiener zugrunde. Die Netto-Einstiegsbesoldung eines bayerischen Landesbeamten der Besoldungsgruppe A 6 beträgt inklusive Sonderzahlungen sowie Familien- und Kinderzuschläge 32.200,42 € (vgl.
http://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/by?id=beamte-bayern-2019&g=A_6&s=1&f=3&z=100&zulageid=10.1&zulage=&stj=2019&stkl=3&r=0&zkf=0). Amts- und Stellenzulagen werden nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Betrachtung nicht hinzugezogen, da es um den Ausweis als Mindestalimentation geht. Von dieser Grundbesoldung sind nach der Methodik des Bundesverwaltungsgerichts 5.092,56 Euro für die PKV abzuziehen sowie 4.776,- Euro Kindergeld hinzuzuaddieren. Als Ergebnis liegt also eine Mindestalimentation von 31.883,86 Euro vor.
Die sozialhilferechtliche Regelleistung für zwei Erwachsene beträgt 9.168,- Euro, für zwei Kinder 6.912 Euro, die Bedarfspauschale für Bildung und Teilhabe 456,- Euro. Diese Werte sind unstrittig. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts müssen Unterkunftskosten der Mietenstufe VI hinzuaddiert werden, was einem Gegenwert von 10.548,- Euro entspricht, sowie der Ausgleich von jährlichen Heizkosten in Höhe von 1.870,- Euro. Das Grundsicherungsniveau beträgt innerhalb der Bundesverwaltungsgerichtsmethodik folglich 28.954,- Euro. Die Vergleichsschwelle von 115 Prozent läge demnach bei 33.297,10 Euro.
Innerhalb der vom Bundesverwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegten Berechnungsmethodik liegt die Netto-Einstiegsbesoldung eines bayerischen Landesbeamten der Besoldungsgruppe A 6 folglich nur rund 10,1 Prozent oberhalb des sozialhilferechtlichen Existenzminimums – oder als monetärer Wert: Der entsprechende bayerische Beamte müsste – sofern man diese Besoldungsgruppe und nicht die Besoldungsgruppe A 3, die m.E. tatsächlich zugrundegelegt werden müsste – jährlich netto um mindestens 1.413,24 höher besoldet werden. Legte man die Besoldungsgruppe A 3 zugrunde, würde sich dieser Werte noch einmal recht deutlich erhöhen.
Da das Abstandsgebot als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums unabdingbar einzuhalten ist, müsste sich – sofern das Bundesverfassungsgericht die Methodik des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt – folglich die Alimentation der höheren Besoldungsgruppen weitgehend entsprechend den heutigen prozentualen Abständen erhöhen.
Auf Grundlage dieser Werte wird verständlich, weshalb dem noch für dieses Jahr angekündigten, aber noch nicht terminierten Verfahren 2 BvL 4/18 die allenthalben spürbare Sprengkraft zukommt. Denn zwar behandelt das Verfahren vordergründig die Berliner R-Besoldung der Jahre 2009 bis 2015. Innerhalb des Verfahrens wird das Bundesverfassungsgericht aber – etwas vereinfacht ausgedrückt – unter Betrachtung des Abstandsgebot einen Quervergleich zur A-Besoldung anstellen und damit dann, so ist zu erwarten, über die Berechnungsmethodik des Bundesverwaltungsgerichts befinden. Als Folge sollte dann der zweite Teil des vierten Prüfparameters, den das Bundesverfassungsgericht im November 2015 noch unoperationalisiert einführte, konkret ausgestaltet werden. Danach sollte dann mit Blick auf den Vergleich von Grundsicherung und Besoldung klar sein, wohin die Reise ökonomisch geht.
Langer Rede kurzer Sinn: Aus den oben genannten Daten wird ersichtlich, wie sehr die anderen Länder einer amtsangemessenen Alimentation hinterherhinkten, sofern das Bundesverfassungsgericht die Methodik des Bundesverwaltungsgerichts bestätigte – denn wenn schon der Primus Bayern nicht ansatzweise verfassungskonform alimentierte, kann man sich vorstellen, wie es in allen anderen Ländern aussieht: übrigens (nun sind wir wieder beim Thema) gerade deshalb, weil 2003/06 die bundeseinheitliche Besoldungspraxis von den Ländern gezielt zur Haushaltssanierung zerstört wurde."