Nun gut: Hier mal das Gedankengebäude, das sich mir in der Nacht aufgetürmt hat und das ich hier nun also zur Debatte stelle, hoffend das ich mir mit ihm nicht selbst auf dem Leim gehe, weshalb ich das Gedankengebäude hier öffentlich zur Kritik stelle. Am Ende erfolgt eine Konklusion, deren Prämissen ich zuvor entwickle. Gehen wir dazu mal das, was sich uns seit gestern als Informationen darstellt, sachlich durch und verbinden es mit weiteren Gedanken zur Analyse des bundesverfassungsgerichtlichen Handelns. Wenn man also so vorgeht, kann man folgende Prämissen begründen, was nicht heißt - das Handeln des Bundesverfassungsgerichts bleibt allein wegen des Beratungsgeheimnisses und seiner Folgen bis zur Veröffentlichung von Entscheidungen eine Black Box -, dass man damit den Nagel auf den Kopf trifft. Aber immerihn hat man hier nun begründete Vermutungen. Ich nummeriere mal wieder die einzelnen Prämissen durch, von denen ich begründet ausgehe, das sie gegeben sein könnten, sodass sie wegen der Numerierung einfacher zu diskutieren sind, sofern man sie diskutieren will (man kann durch die Nummern präzise sagen, worauf man sich bezieht, sofern man auf diesen Beitrag reagieren will). Es sind ein Haufen an Prämissen, die ich möglichst thesenhaft formuliere und die man, wenn man sich mit diesem Text beschäftigen will, jeweils einzeln nach und nach lesen und prüfen, also sich fragen sollte, ob man die jeweilige These als schlüssig ansieht oder nicht:
1) Ich habe gestern in der Nr. 11087 (Uhrzeit: 9:27 h) einen Beitrag geschrieben, in dem ich versucht habe, das Handeln des Zweiten Senats, so wie es sich mir seit der Entscheidung vom 04. Mai 2020 darstellt, zu skizzieren. Das habe ich wohlweislich getan, bevor die neuen Informationen aus Karlsruhe veröffentlicht worden sind:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114508.11085.html. Denn da wir beständig neue Informationen in unser Denken integrieren, sind wir zumeist davon überzeugt, jederzeit konsistent zu denken, was aber vielfach nicht der Fall ist. Anders sind unsere Selbstidealisierungen, die für unser psychisches Wohlbefinden existentiell sind, nicht aufrechtzuerhalten. Also habe ich mir gestern gesagt: "Vergewissere Dich mal besser noch einmal öffentlich selbst, bester Swen, bevor die neuen Informationen sich in Dein Denken integrieren, ohne dass Du das dann (be-)merkst."
2) Ohne dass ich diesen Beitrag nun noch einmal vollständig wiedergeben will, denn er liegt ja im genannten Link nachlesbar vor, lassen sich folgende Kernthesen als diskutierbare Prämissen festhalten (wie gesagt, ab hier würde ich nun als Leser für mich prüfen, ob ich der These sachlich folgen kann oder nicht):
a) Das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung muss ein gesteigertes Interesse daran haben, dass das Besoldungsrecht als schwärenden Wunde des Verfassungsrechsts besser heute als morgen wieder in die Bahnen des Alimentationsprinzips zurückgeführt wird.
b) Die einzigen, die das qua Gesetzgebungskompetenz können, sind die 17 Besoldungsgesetzgeber, und zwar jeder nur einzeln für seinen Rechtskreis.
c) So verstanden ist die Vollstreckungsanordnung nach § 35 BVerfGG die Ultima Ratio des Bundesverfassungsgerichts. Es ermächtigt die Gerichte, den Gesetzgeber zu ersetzen, sofern dieser nicht i.d.R. binnen Jahresfrist hinreichend tätig wird, wodurch dieser Gesetzgeber gehörig unter Druck gesetzt wird, selbst wieder in den Rahmen der Verfassung zurückzukehren, deshalb: Ultima Ratio.
d) Das Bundesverfassungsgericht dürfte im ersten Halbjahr 2022 - also nach Veröffentlichung der Jahresvorschau 2022 im März jenes Jahres - zu dem Schluss gekommen sein, dass die für 2022 angekündigten Entscheidungen über die bremische Besoldungsrechtslage 2013 und 2014 nicht hinreichen würde, um für ein anderes Handeln der Besoldungsgesetzgeber zu sorgen, als es sich bis dahin seit 2020 öffentlich dargestellt hat.
e) Es war dem Zweiten Senat im Rahmen seiner gesetzlichen Bindungen kaum möglich, diesen Bewusstseinswandel vor dem März 2023 öffentlich anzudeuten; nun vollzog es diesen Bewusstseinswandel - den eigenen Lernerfolg -, indem es an jenem 08. März 2023 die zwei weiteren Rechtskreise Niedersachsen mit dem Klagezeitraum 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 sowie Schleswig-Holstein mit dem Klagezeitraum 2007 in die Jahresvorschau 2023 mit einbezogen hat.
f) Die Arbeit an solchen Normenkontrollverfahren ist mit einem hohen zeitlichen Aufwand verbunden, der im Kontext des umfassenden Karlsruher Alltagsgeschäfts zu verrichten ist.
g) Die personellen und zeitlichen Mittel für die Arbeit an konkreten Normenkontrollverfahen sind also nur begrenzt vorhanden.
h) Die im Verlauf des Jahres 2022 vollzogene Entscheidung, zwei weitere Entscheidungen in Normenkontrollverfahren für 2023 zu einzuplanen, musste folglich eine gehörige Mehrarbeit bei gleichbleibenden personellen Ressourcen nach sich ziehen.
i) Folge musste eine weitere Verfahrenslänge sein, die in Karlsruhe als nicht unerheblich betrachtet werden musste, als die Entscheidung zur Ausweitung der eigenen Rechtsprechung getroffen worden ist.
j) Denn alles andere - also keine Ausweitung der Verfahrenslänge - hätte bedeuten müssen, personelle und zeitliche Ressourcen vom Alltagsgeschäft oder anderen langwierigen Verfahren abzuziehen, was sich ggf. unter Verhältnismäßigkeitgesichtspunkten sachlich nicht hätte rechtfertigen lassen (davon ist auszugehen, also dass hier keine sachliche Rechtfertigung eines solchen Handelns im Jahr 2022 möglich gewesen wäre).
3) Soweit lassen sich die wichtigsten Prämissen der gestrigen Darstellung, die ich oben verlinkt habe, möglichst knapp zusammenfassen.
4) Eine weitere zentrale Prämisse für die Auswahl der beiden weiteren Rechtskreise Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist m.E. das, was man als "verfassungsrechtliches Faustpfand" verstehen kann, also verkürzt dargelegt:
a) Der Zweite Senat hat in seiner Ankündigung aus dem März 2023 für Niedersachsen und Schleswig-Holstein nur Teile der anhängigen Vorlagebeschlüsse zur Entscheidung gestellt.
b) Weitere anhängige Verfahren zu beiden Rechtskreisen hat er in der Jahresvorschau 2023 von den angekündigten Entscheidungen ausgenommen.
c) Ein solches Vorgehen ist eher ungewöhnlich.
d) Das meint nun der Begriff des "verfassungsrechtlichen Faustpfands": Das Zurückhalten von anhängigen Entscheidungen zum selben Rechtskreis dürfte dazu dienen sollen, um an ihnen dann ggf. verstärkt durch eine Vollstreckungsanordnung dem verfassungskonformen Besoldungsrecht wieder mit zum Durchbruch zu verhelften, sofern Niedersachsen und Schleswig-Holstein nach den für 2023 angekündigten Entscheidungen nicht zu einer verfassungskonformen Besoldungsregelung zurückkehren würden oder gekehrt wären.
e) Denn sofern nach den für 2023 angekündigten Entscheidungen bis zum Fristende keine Rückkehr in den Rahmen des Alimentationsprinzips durch diese beiden Bundesländer vollzogen worden wäre, wäre die weitgehend identische Entscheidung nach dem Fristende an jenen "Faustpfänden" erneut gesprochen und nun mit der Vollstreckungsanordnung verbunden worden.
f) Damit wäre diesen Gesetzgebern - insbesondere Niedersachsen - bereits nach den für 2023 angekündigten Entscheidungen klargeworden, dass sie anders zu handeln hatten, als das seit 2020 Berlin vollzogen hat, indem es (Berlin) gezielt das von ihm zu erwartende Handeln, wieder zu einer verfassungskonformen Gesetzgebung zurückzukehren, nicht vollzogen hat.
g) Das hätte die Wahrscheinlichkeit erhöhen sollen, dass diese Rückkehr bereits nach den für 2023 angekündigten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Niedersachsen erfolgte.
h) Denn in Niedersachsen die Alternative vor Augen, entweder die für jenes Jahr 2023 angekündigte Entscheidung zu akzeptieren und also zu einer amtsangemessenen Alimentation im Verlauf dieses Jahres 2024 zurückzukehren, oder ab 2025 damit rechnen zu dürfen, nun mit einer Vollstreckungsanordnung mit Wirkung ab dem Jahr 2026 belangt zu werden, hätte für den Nidersächsischen Landtag ein nicht geringes Druckpotenzial aufgebaut.
5) Im Winter des letzten Jahres hat der Berichterstatter hervorgehoben, dass man die Arbeit an Leitverfahren, die übergreifende Bedeutung und Wirkung auch für die weiteren anhängigen Verfahren haben sollten, seit geraumer Zeit intensiviert habe.
6) Im Zuge der Intensivierung sei man in diesen Leitverfahren recht weit fortgeschritten, sodass - implizit dargelegt - nun alsbald mit einer Entscheidung zu rechnen sein dürfte.
Sofern sich diese sechs Prämissen mitsamt ihrer Unterprämissen als sachlich haltbar erweisen sollten (was wir heute nicht wissen können, sie bleiben zu einem nicht geringen Teil begründete Vermutungen), ließen sich aus den gestrigen Informationen folgende Schlüsse ziehen:
I) Niedersachsen und ggf. Schleswig-Holstein sind nicht mehr Teil der Leitverfahren.
II) Das soll einer beschleunigten Entscheidung dienen; denn die Arbeit an zwei Rechtskreisen, von denen - wie gestern gezeigt - der eine, nämlich der Berliner, bereits weitgehend entschieden vorliegt, lässt sich schneller bewerkstelligen als die Arbeit an dreien, von denen insbesondere der niedersächsische allein wegen der hohen Zahl an zu entscheidenden Jahren - 2005 bis 2012 und 2014 bis 2016 - große zeitliche Ressourcen binden muss.
III) Diese Entscheidung, Niedersachsen und Schleswig-Holstein durch Berlin zu ersetzen, müsste dann vor dem Winter 2023 getroffen worden sein.
IV) Dafür spricht gleichfalls, dass der Zweite Senat im November 2023 Stellungnahmen zum Berliner Rechtskreis eingeholt hat, der sich nun als Teil der mit Leitverfahren betrachteten Rechtskreise entpuppt.
V) Die Intensivierung und damit Beschleunigung verfolgt dasselbe Ziel, wie es oben unter der Nr. 2 a genannt worden ist: Der Hüter der Verfasssung hat das Ziel, dass die 17 Besoldungsgesetzgeber möglichst eher heute als morgen wieder in den Rahmen der Verfassung zurückkehren.
VI) Und damit kommen wir zu einer weiteren Interpretation, die sich mir als schlüssig darstellt: Das "verfassungsrechtliche Faustpfand" könnte ggf. - sofern tatsächlich weitere (niedersächsische) Entscheidungen nach den für 2023 angekündigten notwendig geworden wäre, das "Faustpfand" also tatsächlich eingesetzt und zur Anwendung hätten kommen müssen - in eher längeren als kürzeren Zeiträumen die Rückkehr der Besoldungsgesetzgeber in den Rahmen der Verfassung bedeutet haben. Ich habe ja in der Nr. 4 h gezeigt, dass die übernächste Entscheidug kaum vor 2026 hätte gefällt werden können, die dann Niedersachsen mit einer Vollstreckungsanordnung belegt hätte.
VII) So betrachtet wäre die Umsetzung des "verfassungsrechtlichen Faustpfands" ein weiterer Umweg gewesen, der im Rahmen des vom Berichterstatters angekündigten Effizenzgewinns unnötig sein dürfte, wie nun die nachfolgende Nr. VIII zeigt.
VIII) Denn damit wären wir bei der Konklusion, die ich bereits vor ein paar Tagen skizziert habe, als ich von den gestigen neuen Informationen noch nichts wusste, sodass auch diese Darlegungen keine Verschiebung durch diese gestrigen Informationen erfahren haben können (also im Sinne dessen, was ich oben im ersten Absatz geschrieben habe). Diese Konklusion findet sich unter der Nr. 5825 hier:
https://forum.oeffentlicher-dienst.info/index.php/topic,114363.5820.html. Sie lautet:
a) Der Berliner Senat hat es mit seinem seit 2020/21 gezeigten Handeln deutlich zu bunt und zu weit getrieben, woraufhin ihm der Zweite Senat nun im Herbst letzten Jahres eine entsprechende Stellungnahme abverlangt hat.
b) Für Berlin dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sein, bereits in der nun angekündigten Entscheidung eine Vollstreckungsanordnung zu vollziehen. Da mit dieser Entscheidung im Verlauf des nächsten oder übernächsten Quartals zu rechnen sein dürfte, müsste sich das Land Berlin dann bis in das Jahr 2025 (etwa ein Jahr nach dem Entscheidungs- oder Veröffentlichungsdatums) gezwungen sehen, wieder zu einer amtsangemessenen Alimentation unmittelbar für die Jahre 2008 bis 2015 zurückzukehren, oder eben sich danach der Vollstreckung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgesetzt zu sehen.
c) Diese Volltreckungsanordnung würde also deutlich schneller erfolgen, als ggf. in den beiden nun offensichtlich nicht mehr zu den Leitverfahen zählenden anhängigen Vorlagen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Damit würde der Effizenzgewinn, den der Zweite Senat im letzten Winter angekündigt hat, Realtät werden.
Sofern dem also so wäre, wie ich das hier nun beschrieben habe, hätten wir den nächsten Karlsruher Lerneffekt vor uns: Der Zweite Senat hätte im Verlauf des Jahres 2023 erkannt, dass er ggf. nicht erst im kommenden oder übernächsten Jahr die Ultima Ratio zur Anwendung bringen sollte, da die schwärende Wunde im Verfassungsrecht mittlerweile im Verlauf des letzten Jahres so vertieft worden ist (Stichwort: Doppelverdienermodelle), dass nun der direkte Weg zu beschreiten wäre, eben die Anwendung der Ultima Ratio nicht erst ggf. in einem übernächsten Verfahren, sondern in dem nächsten, nämlich den nun angekündigten Richtervorlagen über die Berliner Besoldung.
Das würde also bedeuten, dass mit den angekündigten Berliner Entscheidungen eine Vollstreckungsanordnung einhergehen würde, die für diesen Rechtskreis auch bereits Anfang 2022 begründet vor dem Bundesverfassungsgericht gefordert worden ist; sie ist Teil des formellen Verfahrens (vgl. hier den Anhang unter
https://www.berliner-besoldung.de/stellungnahme-zum-normenkotrollverfahren-2-bvl-4-bis-9-18/ und im Anhang die S. 33 ff.).
Wenn sich diese Interpretation also als sachlich tragfähig erweisen sollte, würden wir alsbald die erste Vollstreckungsanordnung vorfinden - das würde auch erklären, wieso es dann als Leitverfahren nicht mehr auf die anhängigen niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Verfahren ankommen würde, die nun aus dem Rahmen von Ankündigungen entfielen, weil es einen effizienteren Weg gebe würde. Die Hauptlast gegenüber den anderen Bundesländern und dem Bund, aus dem offensichtlich konzertierten Verfassungsbruch auszuscheren, würde nun also erneut Berlin aufgebürdet werden, so wie das offensichtlich bereits für 2020 geplant gewesen ist.
Wenn dem also so käme, dann wären das genau in emdys Sinne mehr als eine gute Nachrichten, und zwar auch für uns hier in Niedersachsen wie auch für Schleswig-Holstein.
Nun gut, dieses Gedankengebäude stellt sich mir heute dar, wenn ich versuchen will, eine Interpretation dafür zu finden, wieso Niedersachsen und Schlewig-Holstein gestern nicht mehr in der Jahresvorschau für dieses Jahr zu finden, sondern durch Berlin ersetzt worden sind. Denn einen sachlichen, also rationalen Grund muss es geben - und er kann hinsichtlich dessen, was der Berichterstatter im letzten Winter hervorgehoben haben, nur einem dienen: einem Effizienzgewinn für alle weiteren Verfahren mit dem Ziel, dass die Besoldungsgesetzgeber möglichst eher heute als morgen im Besoldungsrecht wieder in den Rahmen der Verfassung, also zum Alimentatiobsprinzip zurückkehren.