Hallo Nelson,
nein, das "absolute Minimum" ist auch als Übersetzung keine sachgerechte Darlegung (s. Deinen Beitrag von 13:02 Uhr). Nicht umsonst sind 2019 - also zu einer Zeit, als man davon ausgehen konnte, dass die familienbezogenen Besoldungskomponenten noch sachgerecht gewährt worden sind - die Grundgehaltssätze des Musterbeamten durch die sozialen Besoldungskomponenten in den 14 Ländern, die zu jener Zeit noch kein Doppelverdienermodell betrachtet haben, zwischen 16,7 % und 21,5 % angehoben worden. Das ist offensichtlich kein "absolutes Minimum" und dürfte mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sowohl von der Struktur als auch von der Höhe her im Einklang gestanden haben. In Brandenburg und Rheinland-Pfalz, die zu jener Zeit bereits Doppelverdienermodelle in ihr Besoldungsrecht eingeführt hatten, wurden die Grundgehaltssätze entsprechend um 13,9 % und 20,4 % erhöht, was offensichtlich gleichfalls im Rahmen der konkreten gesetzlichen Regelungen als sachgerecht zu begreifen war. Entsprechend habe ich vorhin einen Maßstab für eine offensichtlich sachgerechte Betrachtung hervorgehoben: Auch die sozialen Besoldungskomponenten sind sachgerecht zu gewähren und dürfen sich also an den tatsächlichen Bedarfen
orientieren.
Der Faktor 3, den Du zurecht ins Feld führst, beinhaltet allerdings keinerlei sachliche Zusammenhänge mit der Bemessung der Beamtenalimentation. Nicht umsonst hebt der Senat im aktuellen Judikat hervor, dass bei der Bemessung der Besoldung der
qualitative Unterschied zwischen der Grundsicherung, die als staatliche Sozialleistung den Lebensunterhalt von Arbeitsuchenden und ihren Familien sicherstellt, und dem Unterhalt, der erwerbstätigen Beamten und Richtern geschuldet ist, hinreichend deutlich werden muss (Rn. 47;
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/05/ls20200504_2bvl000418.html).
Als möglichen Vergleichgegenstand für die Betrachtung der tatsächlichen Bedarfe, die aus der Kinderzahl erwachsen, hebt das Bundesverfassungsgericht bspw. die Düsseldorfer Tabelle hervor, die also nicht auf Bedarfssätze von Grundsicherungsempfängern abstellt. Als sachgerechte Betrachtung hat der Senat 1990 in seiner zweiten maßgeblichen Entscheidung über den alimentationsrechtlichen Mehrbedarf kinderreicher Beamter hervorgehoben, wobei zu vermuten ist, dass diese Betrachtung auch heute noch vom Grundsatz her ebenso in der Betrachtung der sozialen Komponenten herangezogen werden kann (die Düsseldorfer Tabelle bietet also eine
Orientierungshilfe; am Ende müssen ebenfalls die sozialen Besoldungskomponenten in ihrer Form und Höhe sachgerecht vom Besoldungsgesetzgeber begründet werden):
"Bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und die weiteren Kinder des Beamten entsteht und vom Dienstherrn über die Alimentation der Zwei-Kinder-Familie hinaus zu decken ist, kann der Gesetzgeber, wie im Beschluß vom 30. März 1977 (BVerfGE 44, 249 [274]) dargelegt, von denjenigen Regelsätzen für den Kindesunterhalt ausgehen, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt. Allerdings sind diese Sätze auf die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse hin ausgerichtet.
Ihre ungleiche Aussagekraft für die Höhe des dem Beamten von seinem Dienstherrn geschuldeten amtsangemessenen Unterhalts hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. So sind etwa Bedarfssätze, die an dem äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Sozialhilfesätze, staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Die Alimentation des Beamten und seiner Familie ist demgegenüber etwas qualitativ anderes (vgl. BVerfGE a.a.O., S. 264 f.). Diesen Unterschied muß die Bemessung der kinderbezogenen Bestandteile des Beamtengehalts deutlich werden lassen. Beispielsweise bieten die Unterhaltssätze für die ehelichen Kinder nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle einen Anhalt dafür, wie der auf jeden Fall durch zusätzliche Leistungen auszugleichende Unterhaltsbedarf eines Kindes zu bemessen ist, soll nicht die Amtsangemessenheit des Gehalts insgesamt unterschritten werden. Freilich ist hierbei wiederum zu berücksichtigen, daß in diesen Sätzen nicht etwa der gesamte Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes veranschlagt wird. Auch die vom Statistischen Bundesamt errechneten Indices für die Lebenshaltung eines Kindes sind grundsätzlich eine geeignete
Orientierungsgröße für die Höhe des auszugleichenden Bedarfs. Der Gesetzgeber darf also nicht in der Weise verfahren, daß er die verfügbaren Regelsätze addiert und deren arithmetisches Mittel seiner Regelung zugrundelegt. Vielmehr muß er diese Regelsätze nach Maßgabe ihrer Aussagekraft gewichten." (BVerfGE 81, 363 <378 f.>, Hervorhebungen durch mich;
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv081363.html).
Dabei bliebe aber ebenso bis auf Weiteres zu beachten, was der Senat 1977 in seiner ersten entsprechenden Leitentscheidung ausgeführt hat, was bislang bis auf Weiteres als zu betrachten sich anbieten sollte und worin sich die Spannbreite der zu begründenden Höhe der jeweiligen sozialen Komponente dokumentieren kann:
"Legt man etwa das gegenwärtige System der Besoldungsstruktur zugrunde, das, wie dargelegt, verfassungsrechtlich nicht festgeschrieben ist, so entspricht es bei natürlicher Betrachtung einer gewissen Selbstverständlichkeit, daß bei der Familie mit einem oder zwei Kindern der Kindesunterhalt ganz überwiegend aus den allgemeinen, d. h. 'familienneutralen' und insoweit auch ausreichenden Gehaltsbestandteilen bestritten werden kann und die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile ergänzend hinzutreten. In diesem Fall bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, wenn dieser Betrag in seiner Höhe erheblich unter den Beträgen bleibt, die von der Rechtsordnung als Regelsätze für Kindesunterhalt als angemessen erachtet und veranschlagt werden." (BVerfGE 44, 240 <274 f.>;
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv044249.html)
Am Ende erscheint es mir als Folge von Doppelverdienermodellen als mit einiger Wahrscheinlichkeit sachgerecht:
1. Den Verheiratetenzuschlag deutlich zu reduzieren (wie das in den 2010er Jahren Rheinland-Pfalz getan hat) oder ihn ganz abzuschaffen (entsprechend ist in der Zeit Brandenburg verfahren),
2. Die kinderbezogenen Besoldungskomponenten ggf. abzusenken, da der Gesetzgeber ja mit dem Doppelverdienermodell davon ausgehen möchte, dass die überwiegende Anzahl an Familien zwei Ernährer aufweist,
3. Die bis 2021 überkommene Struktur wie gehabt beizubehalten, da die Betrachtung eines Doppelverdienermodells in Rechnung zu stellen hätte, dass insbesondere bei Familien mit jungen Kindern ggf. nicht mehr als deren Hälfte über einen zweiten Verdienst verfügt und dass darüber hinaus die Einkünfte des zweiten Verdieners nach der Geburt von Kindern tendenziell eher geringer liegt als davor.
@ Organisator
Eine Orientierung an Durchschnittswerten, also an den Mietenstufen des WoGG, ist dem Besoldungsgesetzgeber bei der
Betrachtung des Grundsicherungsniveau nicht gestattet, da sich so keine sozialrechtlich realitätsgerechten Kosten bemessen lassen, die aber vorausgesetzt werden müssen, um einen sachgerechten Vergleichsmaßstab bilden zu können, was hier im Forum schon mehrfach so betrachtet worden ist: Der Besoldungsgesetzgeber sieht sich gezwungen, den Bedarf für die Kosten der Unterkunft so zu erfassen, wie ihn das Sozialrecht definiert und die Grundsicherungsbehörden tatsächlich anerkennen (vgl. die Rn. 57 im aktuellen Judikat).
Ein "unterste[s ] Minimum der Grundbesoldung" kann es nicht geben, da der Verfassung entsprechende Beträge nicht zu entnehmen sind (vgl. in der aktuellen Entscheidung die Rn. 26). Von daher sieht sich der Besoldungsgesetzgeber gezwungen, eine sachgerechte Höhe der Grundbesoldung im Gesetzgebungsverfahren zu begründen.
Es nützt allgemein recht wenig, hier wiederkehrend eigene Vorstellungen ohne sachliche Prüfung an der Besoldungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier einzustellen, da das die Diskussion eher verunklart als sie präzisiert, und zwar unabhängig davon, wer so vorgeht. Denn nicht wenige der hier Diskutierenden kennen sich nicht hinreichend genug aus, um eine sachgerechte Diskussion zu führen, woraus man - denke ich - in diesem Fall die Konsequenz ziehen sollte (auch das betrifft alle, die sich nicht hinreichend genug auskennen), die eigenen Thesen vorsichtig hier einzuführen, um damit in Rechnung zu stellen, dass man mit einiger Wahrscheinlichkeit sachlich falsch liegt. Eine Diskussion ist möglich und meines Erachtens auch sinnvoll - aber sie betrachtet ein verfassungsrechtlich komplexes Feld, was man, denke ich, bei der Thesenbildung beachten sollte.