Wenn ich mich recht erinnere, habe ich entsprechende Berechnungen hier im Forum bereits durchgeführt, allerdings trügt mich ggf. auch meine Erinnerung. Von daher erstelle ich hier noch einmal entsprechende Bemessungen. Da für das aktuelle Jahr 2023 offensichtlich noch kein 95 %-Perzentil oder eine entsprechende Mitteilung des PKV-Verbands vorliegen, gehe ich in das Jahr der letzten bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zurück und betrachte also die Besoldungssystematik im Jahr 2020, das zugleich, denke ich, als Ausgangspunkt der mit der Corona-Krise eingeleiteten Zeit nach der "Zeitenwende" betrachtet werden kann. Hierzu bemesse ich zunächst das Grundsicherungsniveau sowie die Mindestalimentation (I) und im Anschluss die gewährte Nettoalimentation sowie den Fehlbetrag (II). Daraufhin betrachte ich dann die Mindestbesoldung mit der Folge für die Besoldungssystematik (III). Entsprechend hätte sich ebenso der Besoldungsgesetzgeber im Gefolge der aktuellen Entscheidung veranlasst sehen müssen, die gewährte Alimentation auf ihren verfassungskonformen Gehalt zu überprüfen. Da hier kein Gesetzgebungsverfahren begründet werden muss, gehe ich zugleich in doppelter Hinsicht vor, indem ich hinsichtlich der kalten Unterkunftskosten (a) das 95 %-Perzentil für Bayern in Höhe von 1.400,- € und (b) das 2020 niedrigste 95 %-Perzentil heranziehe, das sich mit 700,- € 2020 in Sachsen-Anhalt finden lässt. Diese zweite Berechnung kann als nicht realitätsgerecht hinsichtlich der Bemessung der Mindestalimentation angesehen werden, da es dem Beamten nicht zuzumuten ist, seinem Wohnsitz in dem Ort zu wählen, der die niedrigsten Wohnkosten aufweist (Rn. 60 der aktuellen Entscheidung), was für Bundesbeamte noch einmal besonders zu beachten wäre - andererseits soll hier ein Aufschluss über die Besoldungssystematik erstellt werden, sodass es sich anbietet, den Vergleich selbst unter nicht realitätsgerechten Prämissen zu vollziehen. Die Betrachtung mündet in einem kurzen Fazit (IV).
I. Grundsicherungsniveau und Mindeszalimentation 2020Insgesamt sind der Bemessung des Grundsicherungsniveaus zunächst die Regelsätze für zwei Erwachsene und zwei nach dem Alter zu differenzierenden Kindern zugrundezulegen, wie sie dem Existenzminimumbericht der Bundesregierung entnommen werden können. Sie betrugen 2020 780,- € und 588,- €. Weiterhin können die Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie der monetäre Gegenwert der Sozialtarife nicht realtitätsgerecht bemessen werden, da zu ihnen vom Gesetzgeber bislang keine entsprechenden Daten veröffentlicht worden sind. Von daher können nur die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Beträge herangezogen werden, die 2020 pro Kind 37,23 € betragen haben. Darüber hinaus wurde 2020 nach dem Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz vom 30.06.2020 je Kind ein steuerfrei zu stellender Bonus von 300,- € gewährt, der ebenfalls hier mit einzubeziehen ist. Tatsächlich muss aber in der Realität hinsichtlich der Kosten für die Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie hinsichtlich des monetären Gegenwerts der Sozialtarife von beträchtlich höheren Beträgen ausgegangen werden als der so zugrunde gelegte Betrag von 124,46 €, was bei der nachfolgenden Betrachtung der Fehlbeträge im Hinterkopf zu behalten wäre. Die Heizkosten sind 2020 anhand des jeweils geltenden Bundesweiten Heizspiegel mit den Abrechnungsdaten des Vorjahrs zu bemessen, die entsprechend 2020 22,61 € pro qm betrugen. In Bayern wie auch Sachsen-Anhalt ist von einer Wohnfläche von 90 qm für eine vierköpfige Familie auszugehen, sodass von monatlichen Heizkosten in Höhe von 169,58 € auszugehen ist. Auf dieser Basis lassen sich nun zwei Grundsicherungsnvieaus und Mindestalimentationen erstellen:
(a) (b)
Regelsätze: 1.368,-- €
+ Kalte Unterkunftskosten: 1.400,-- € 700,-- €
+ Heizkosten: 169,58 €
+ Kosten der Bedarfe für
Bildung und Teilhabe/ 124,46 €
Sozialtarife:
Grundsicherungsbedarf: 3.062,04 € 2.362,04 €
Mindestalimentation: 3.521,35 € 2.716,35 €
II. Gewährte Nettoalimentation und Fehlbetrag 2020Heranzuziehen ist die Besoldung eines verheirateten Beamten mit zwei Kindern, der in der niedrigsten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe, also nach A 3/1, eingruppiert war. Heranzuziehen sind die Besoldungsbestandteile, die allen Beamten der Besoldungsgruppe gewährt worden sind. Nach dem Besoldungsrechner ergibt sich für 2020 das nachfolgende Bild hinsichtlich der Bruttobesoldung (
https://oeffentlicher-dienst.info/c/t/rechner/beamte/bund/a?id=beamte-bund-2020neu&g=A_3&s=1&f=3&z=100&zulage=&stj=2023&stkl=1&r=0&zkf=0); zur Bemessung der steuerlichen Veranlagung ist laut der entsprechenden Mitteilung des PKV-Verbands ein BEG-Anteil in Höhe von 485,42 € heranzuziehen (
https://www.bmf-steuerrechner.de/bl/bl2020/resultbl2020.xhtml?acckey=true). Die PKV-Kosten betrugen 2020 602,42 €. Als Kindergeld wurden monatlich jeweils 204,- € gewährt. Entsprechend ergibt sich das folgende Bild:
Grundgehalt: 2.301,21 €
+ Familienzuschläge: 436,87 €
Bruttobesoldung: 2.738,08 €
- Einkommensteuer: 104,50 €
- PKV-Beitrag: 602,42 €
+ Kindergeld: 408,-- €
Nettoalimentation: 2.439,16 €
Grundsicherungsbedarf: 3.062,04 € 2.362,04 €
Fehlbetrag (absolut): 622,88 € ---
Fehlbetrag (%): 20,3 %
Mindestalimentation: 3.521,35 € 2.716,35 €
Fehlbetrag (absolut): 1.082,19 € 354,31 €
Fehlbetrag (%): 30,7 % 13,0 %
III. Mindestbesoldung und FehlbetragDie Mindestbesoldung kann nach den ZBR-Beiträgen des letzten und dieses Jahrs als der Äquivalenzwert betrachtet werden, der genau auf der Höhe der Mindestalimentation liegt, entsprechend ergibt sich das "Besoldungsäquivalent zur Mindestalimentation". Hierzu werden von der Mindestalimentation das Kindergeld subtrahiert und die PKV-Kosten addiert. Damit erhält man die Nettobesoldung, die sich äquivalent zur Mindestalimentation verhält. Addiert man hierzu die steuerliche Veranlagung, erhält man das entsprechende Besoldungsäquivalent, also die Bruttobesoldung auf Höhe der Mindestalimentation (a). Im Anschluss werden mit Ausnahme des Grundgehaltssatzes die weiteren Besoldungskomponenten subtrahiert, sodass man das "Grundgehaltsäquivalent zur Mindestalimentation" erhält, also den Grundgehaltsbetrag, der genau auf Höhe der Mindestalimentation liegt. Es kann nun zu Vergleichzwecken mit den Tabellenwerten verglichen werden. Da es sich hier um ein indizielles Mittel handelt, können die Nachkommastellen grundsätzlich auf ganze Zahlen aufgrundet werden. Darüber hinaus müsste ich eigentlich ein "Spitzausrechnung" vornehmen, da die Besoldung erst zum 01.03.2020 erhöht worden ist. Die Berechnung erspare ich mir aber, da es ja nur um ein allgemeines Bild geht. In der Realität würden die Fehlbeträge noch etwas größer sein, da die Besoldung in den ersten beiden Monaten des Jahres 2020 geringer ausgefallen ist. Entsprechend ergibt sich das folgende Bild, für dessen Bemessung man insgesamt kaum eine Stunde Zeit benötigt:
Mindestalimentation: 3.522,- € 2.717,- €
- Kindergeld: 408,- €
+ PKV-Beitrag: 603,- €
Äquivalente Nettobesoldung: 3.717,- € 2.912,- €
+ Einkommensteuer: 465,- € 187,- €
Besoldungsäquivalent: 4.182,- € 3.099,- €
- Familienzuschläge: 437,- €
Grundgehaltsäquivalent: 3.745,- € 2.662,- €
tatsächliche gewährte
Grundbesoldung (A 3/1): 2.302,- €
Fehlbetrag (absolut): 1.443,- 360,- €
Fehlbetrag (%): 38,5 % 13,5 %
Ein Grundgehalt in Höhe von 3.745,- € ist keinem Bundesbeamten in den Besoldungsgruppen A3 bis A 8 gewährt worden. In der Besoldungsgruppe A 9 hat erst die letzte Erfarungsstufe diesen Betrag knapp überschritten; in A 9/8 wurde ein Grundgehaltssatz in Höhe von 3.754,27 € gewährt. In A 10 überschritt erst die Besoldungsgruppe A 10/5 das Grundgehaltsäquivalent, in A 11/2 wurden die identischen 3745,12 € gewährt. Erst in der Besoldungsgruppe A 12 überstieg der Grundgehaltssatz ausnahmslos den Wert, der indiziell auf Höhe der Mindestalimentation gelegen hat. Entsprechend zeigt sich die Besoldungssystematik hinsichtlich eines in Bayern gelegenen Dienstorts in neun von 14 Besoldungsgruppen als verletzt; der indizielle Fehlbetrag lag bei 38,5 %, womit sich die Grundbesoldung indiziell um fast 2/5 zu gering entpuppt. Entsprechend offenbart sich die Systematik der Bundesbesoldung in einem so starken Maße als verletzt, dass es offensichtlich ausgeschlossen ist, den Ausschluss der deutlichen Erhöhung der Grundgehaltssätze sachgerecht begründen zu können.
Betrachtet man nun einen Dienstort in Sachsen-Anhalt, dann erreicht dort kein Beamter in der Besoldungsgruppe A 3 das Grundgehaltsäquivalent in Höhe von 2.662,- €. Erst die Besoldungsgruppen A 4/7, A 5/6, A 6/4, A 7/3 und A 8 mit einer Grundbesoldung von 2.685,05 in der ersten Erfahrungsstufe übersteigen jeweils das Grundgehaltsäquivalent. Dabei bliebe aber zu beachten, dass unter Bemessung anhand einer "Spitzausrechnung" auch hier noch ggf. ein Unterschreiten nicht unwahrscheinlich ist. Ebenfalls fällt ins Gewicht, dass die Kosten der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie des monetären Gegenwerts der Sozialtarife mit 124,46 € offensichtlich zu gering angesetzt worden sind. Entsprechend darf davon auszugehen sein, dass hier indiziell mindestens sechs der 14 Besoldungsgruppen 2020 als verletzt zu betrachten wären. Damit zeigt sich auch im Zusammenhang mit dem indiziellen prozentualen Fehlbetrag von 13,5 %, dass selbst in einem Bundesgebiet mit einem geringen Grundsicherungsniveau weiterhin eine deutliche Verletzung des Besoldungssystematik gegeben ist. Der Gesetzgeber wäre also selbst diesbezüglich gezwungen (gewesen), die Vermeidung der Anhebung der Grundgehaltssätze sachgerecht zu begründen, ohne dass ihm das in Anbetracht dessen, dass fast die Hälfte der Besoldungsgruppen von der Verletzung der Besoldungssystematik betroffen ist, möglich (gewesen) sein sollte.
IV. FazitDie Betrachtung der Mindestbesoldung anhand von Äquivalenzbeträgen zur Mindestalimentation ermöglicht indiziell eine umfassende Prüfung der Besoldungssystematik, so wie das in den beiden ZBR-Beiträgen methodisch dargelegt wird. Sie kommt für das in Augenschein genommene Jahr 2020, das den Ausgangspunkt der seitdem sich vollziehenden schweren ökonomischen Verwerfungen bildet, zu den dargelegten Ergebnissen. Zugleich sollte man davon ausgehen können, dass sich die Sachlage seitdem kaum substanziell verbessert hat. Nicht umsonst ist 2021 eine nominale Besoldungsanpassung um 1,2 % zum 01.04. erfolgt, die also eine reale Erhöhung um 0,9 % bedeutet hat, und 2022 erfolgte einer nominale Besoldungserhöhung zum 01.04. um 1,8 %, was real einem Wert von 1,35 % entspricht. Damit ist in jenem Zeitraum der Besoldungsindex von 2020 100 auf Ende 2022 auf 102,3 gestiegen. Die Verbraucherpreise sind 2021 um 3,1 % gestiegen und 2022 um 7,9 %. Damit steht dem genannten Besoldungsindex ein Verbraucherpreisindex von 111,2 gegenüber. Wie man in Anbetracht der in diesem Beitrag vollzogenen Prüfung ohne eine substanzielle Anhebung der Grundgehaltssätze zu einer wieder amtsangemessenen Alimentation zurückfinden will, bleibt entsprechend das Geheimnis - bislang - der Bundesregierung. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass sich ein solches Ansinnen sachgerecht begründen ließe. Ohne eine sachgerechte Begründung sind aber keine Gesetzesnovellierungen möglich, die als verfassungskonform anzusehen wären.
Wie gesagt, all das kann man zeitlich in rund einer Stunde bemessen und betrachten. Es besteht von daher kein sachlicher Grund, nicht umgehend zur Tat zu schreiten - es sei denn, man wollte weiterhin offensichtlich gezielt verhindern, "das massiv erschütterte Vertrauen der Beamtinnen und Beamten wieder zurückzugewinnen und den Alimentationsklagekreislauf zu durchbechen". Entsprechend endet der wichtige Beitrag Alexia Tepkes und Andreas Beckers - der beiden wichtigen Besoldungsspezialisten des dbb - aus dem letzten Jahr wie folgt: "Es gilt vielmehr Gesetze zu erlassen, die die Besoldung - unabhängig von der persönlichen Lebensgestaltung im Familienbereich - finanziell so ausgestalten, dass nicht nur die absolute Mindestbesoldung gewährt, sondern das Vertrauen der Beamtinnen und Beamten in ihren Dienstherrn auf tatsächlichen Erhalt der verfassungsrechtlich zustehenden amtsangemessenen Alimentation unter Berücksichtigung des Leistungsgedankens zurückgewonnen wird. Diese Aufgabe kann das Bundesverfassungsgericht den Dienstherrn nicht abnehmen." (ZBR 2022, S. 153 f.)