Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
§ 75
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Steht uns Bundesbeamten der Rechtsweg vielleicht schon offen? mdB um fachkundige Prüfung
Die Frage ist auf dem ersten Blick einfach zu beantworten, was aber auf dem zweiten Blick, also in der Realität, dann doch nicht immer so der Fall ist, emdy (das typische Problem der meisten Rechtsfälle). Bei der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO handelt es sich zunächst um eine Ausnahmevorschrift, die möglich ist, aber keine Klageart als solche darstellt und die auf drei notwendigen Voraussetzung beruht: Es ist bislang (1.) keine Sachentscheidung vollzogen worden, dies ist (2.) ohne zureichenden Grund geschehen und die für die Sachentscheidung (3.) angemessene Zeit ist verstrichen. Gelingt der Nachweis, dass alle drei notwendigen Bedingungen erfüllt sind, kann das Gericht die eigentliche Klage auch ohne abschließende Bescheidung durch den Beklagten zulassen, sodass dann gehandelt werden kann, als wenn eine negative Bescheidung des Widerspruchs vorläge, jedenfalls solange der im Zuge der Untätigkeitsklage Beklagte nicht bis dahin die Bescheidung selbst vorgenommen hätte. Sobald der in der Untätigkeitsklage Beklagte während des Untätigkeitsklageverfahrens eine Bescheidung des Widerspruchs vollzöge, wäre dieses Verfahren beendet, da der Grund zu seiner Fortführung entfiele: Fiele die Bescheidung positiv aus, entfiele ebenso der Grund für das eigentliche Widerspruchsverfahren, da der Widerspruchsführer sein Ziel erreicht hätte; fiele sie negativ aus, stände ihm der weitere Rechtsweg offen.
Der Weg ist also möglich, insbesondere um das Verfahren der Bescheidung zu beschleunigen; seine Grundlage bleibt aber eine Ausnahmevorschrift, in deren Rahmen die erste und dritte notwendige Voraussetzung für das Untätigkeitsklageverfahren an sich relativ einfach nachgewiesen werden kann: 1. Es liegt weiterhin keine abschließende Bescheidung vor (das zu entscheiden, ist einfach) und 3. die Drei-Monatsfrist ist überschritten - und das ist ebenfalls einfach zu entscheiden, jedoch folgenlos, sofern die Entscheidung dahingehend ausfiele, dass die Drei-Monatsfrist überschritten wäre (wäre sie es nicht, wäre das Untätigkeitsklageverfahren als unbegründet beendet). Denn die Drei-Monatsfrist ist eine notwendige Bedingung für die Untätigkeitsklage, was nicht heißt, dass der so Beklagte sich ausnahmslos gezwungen sehen muss, innerhalb von drei Monaten die Bescheidung des Widerspruchs vollzogen zu haben - hier geht es also wie vielfach im Verwaltungsrecht um die Verhältnismäßigkeit: Ist es verhältnismäßig, dass der im Zuge der Untätigkeitsklage Beklagte bislang keine Bescheidung vorgenommen hat oder nicht? Auch deshalb kann es hinsichtlich des zureichenden Grunds (der zweite der drei notwendigen Voraussetzungen) ggf. etwas komplexer aussehen, da der Widerspruchsführer, der über die Untätigkeitsklage eine Beschleunigung seines eigentlichen Anliegens und ggf. (Klage-)Verfahrens erreichen will, hier genauso wie das angerufene Gericht zunächst einmal keine Einsicht in die Hintergründe hat, weshalb bislang keine Bescheidung vollzogen worden ist, sodass die Verhältnismäßigkeitsprüfung und also der Nachweis, dass die bisherige Wartefrist auf eine Bescheidung des Widerspruchs unverhältnismäßig lang wäre, nicht unbedingt ganz einfach ist. Denn diese Prüfung setzt letztlich die Kooperation des Beklagten voraus, die ggf. vom Gericht erzwungen werden muss und von daher ebenfalls Zeit kosten kann. Denn entsprechend darf man in der Realität davon ausgehen, dass der Prozessgegner diesbezüglich die Möglichkeit hat, auf Zeit zu spielen, wenn er das denn will: Denn wenn er keinen Grund hätte, auf Zeit zu spielen, würde er i.d.R. spätestens, wenn eine Untätigkeitklage nach § 75 VwGO im Raum stände, handeln; jedenfalls solange die Sachlage hinreichend klar und die Komplexität der Materie, in deren Rahmen entschieden werden muss, eine hinreichende Entscheidung innerhalb der angemessenen Frist als für ihn zumutbar erscheinen ließe.
Dabei ist das Verwaltungsgericht zunächst einmal und also bis zum Beweis des Gegenteils gehalten, vorauszusetzen, dass die bislang nicht erfolgte Bescheidung im rechtmäßigen Rahmen vollzogen worden ist, denn die Verwaltung ist ja an Recht und Gesetz gebunden. Das Gericht ist also gehalten, davon auszugehen, dass der im Rahmen der Untätigkeitsklage Beklagte während des Verfahrens die Arbeit am Verwaltungsakt mit dem Ziel fortsetzte, um innerhalb einer angemessenen und also verhältnismäßigen Zeit den Widerspruch endgültig zu bescheiden (was wiederkehrend während solcher Verfahren tatsächlich geschieht; denn i.d.R. hält sich die Verwaltung in der Bundesrepublik an Recht und Gesetz). Erst wenn unzweideutig klar ist, dass dem nicht der Fall ist und/oder es dem Kläger nicht weiter zumutbar wäre, auf die Bescheidung weiterhin zu warten, kann das Gericht im Sinn des Klägers im Untätigkeitsverfahren entscheiden, sodass ihm der weitere Rechtsweg offenstände.
Ergo: Die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO ist eine Ausnahmeregelung, die zur Anwendung kommen kann, wenn alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Von deren Beginn bis zur Entscheidung über ihre begründete Rechtmäßigkeit vergeht in der Regel - solange keine besondere Eile vorliegt - ebenfalls geraume Zeit, nicht zuletzt da das Verwaltungsgericht zu prüfen hat, ob tatsächlich alle anderen Rechtsmittel ausgeschöpft und die Zumutbarkeit der Wartefrist tatsächlich überschritten ist. Alle anderen Rechtsmittel sind darüber hinaus i.d.R. erst dann ausgeschöpft, wenn der Kläger im Rahmen der Untätigkeit den begründeten Nachweis führen kann, dass er wiederholt und in insgesamt angemessener Art und Weise die Abilfe der ggf. vorhandenen Untätigkeit herbeizuführen versucht hat, ohne dass ihm das gelungen wäre, was nicht in seiner Verantwortung läge und nicht auf die Komplexität der eigentlichen Materie oder des eigentlichen Falls zurückzuführen wäre, sodass sich eine weitere Wartefrist für ihn als nicht zumutbar herausstellte, eben weil sie nicht verhältnismäßig wäre. Dabei darf man - wenn der Beklagte dazu einen Grund hat oder sieht - nicht unbedingt mit seiner Kooperation rechnen, denn ansonsten würde er den Verwaltungsakt der Bescheidung auch ohne die Untätigkeitsklage vollziehen, wenn ihm das tatsächlich auf Grundlage von Recht und Gesetz sowie in der bislang verstrichenen Zeit möglich wäre.
Insofern stellt sich andersherum die Frage, ob ein Bundesbeamter bereits zwecks Klage die Bescheidung seines Widerspruchs verlangt hat und ob dem nicht innerhalb einer angemessenen Zeit nachgekommen wäre. Gibt es hier Erfahrungen im Forum?