Fassen wir die Sachlage nach der aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch einmal zusammen, indem wir uns den vierten Prüfparameter der ersten Prüfungsstufe - die beiden Abstandsgebote - und ihrer Ergebnisse hinsichtlich der Bundesbesoldung vor Augen führen:
I. Das Grundsicherungsniveau und die Mindestalimentation können im Bund für das Jahr 2021 wie folgt realitätsgerecht bemessen werden. Das nachfolgend bemessene Grundsicherungsniveau ist dabei zu gering, da hinsichtlich der Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie der Sozialtarife nur die Regelsätze betrachtet werden können. In der Realität werden die nachfolgend dargelegten Fehlbeträge deshalb noch einmal deutlich höher liegen. Das Jahr 2021 wird nachfolgend zugrundegelegt, weil dafür sämtliche weiteren Werte vorliegen. Eine Betrachtung des Jahres 2022 würde zu keinen substanziell anderen Ergebnissen führen. Für 2023 müsste nicht zuletzt hinsichtlich des neuen Bürgergelds noch einmal mit deutlich höheren Fehlbeträgen gerechnet werden, als sie nachfolgend für das Jahr 2021 konrektisiert werden:
Regelsätze 1.445,33 €
+ Unterkunftskosten (95 %-Perzentil Bayern) 1.400,00 €
+ Heizkosten (90 qm x 21,41 €) 160,58 €
+ Bedarfe für Bildung und Teilhabe sowie Sozialtarife 128,36 €
+ Kinderbonus 25,00 €
+ Kinderfreizeitbonus 16,67 €
Monatsbetrag 3.175,94 €
Jahresbetrag 38.111,28 €
Mindestalimentation (115 % des Grundsicherungsbedarfs)
Monatsbetrag 3.652,33 €
Jahresbetrag 43.827,97 €
Die Mindestalimentation betrug 2021 43.827,97 €.
II. gewährte Nettoalimentation (A 3/1)
Grundgehalt 1 - 3/2021 3 x 2.301,21 €
+ Familienzuschlag Stufe 3 3 x 436,87 €
+ Grundgehalt 4 - 12/2021 9 x 2.328.82 €
+ Familienzuschlag 9 x 441,75 €
Bruttobesoldung 33.149,37 €
- Einkommensteuer 1.118,00 €
- Kranken- und Pflegeversicherung 7.604,04 €
+ Kindergeld 5.256,00 €
Jahresnettoalimentation 29.683,33 €
Ergebnis: Die Nettoalimentation weist einen jährlichen realen Fehlbetrag zur Mindestalimentation von 14.144,64 € (32,2 %) auf, der monatlich rund 1.180,- € beträgt. Der Fehlbetrag führt als eklatante Verletzung des absoluten Alimentationsschutzes zur Verfassungswidrigkeit der Norm.
III. Die indizielle Mindestbesoldung kann auf dieser Grundlage wie folgt bemessen werden, um den Grad der Verletztheit der Besoldungsordnung A zu betrachten:
Mindestalimentation 43.828,00 €
- Kindergeld 5.256,00 €
+ Kranken- und Pflegeversicherung 7.605,00 €
Äquivalente Nettobesoldung 46.177,00 €
+ Einkommensteuer 4.274,00 €
Besoldungsäquivalent zur Mindestalimentation 50.451,00 €
- Familienzuschläge 5.287,00 €
Grundgehaltsäquivalent
Jahresbetrag 45.164,00 €
Monatsbetrag 3.763,67 €
Das monatliche Grundgehaltsäquivalent gibt als Indiz die Grundbesoldung an, die auf Höhe der Mindestalimentation liegt. Würde der Grundgehaltssatz der Besoldungsgruppe A 3/1 den Grundgehaltsäquivalenzwert zur Mindestalimentation in Höhe 3.763,67 € überschreiten, hätten wir ein Indiz dafür, dass die Besoldungsordnung A nicht verletzt sein sollte. Der Äquivalenzwert kann entsprechend nicht zur materiellen Bemessung von Grundgehaltssätzen herangezogen werden, sondern nur zur indiziellen Prüfung der Besoldungsstruktur. Anhand der Tabellenwert kann abgelesen werden, welche Grundgehaltssätze 2021 den indiziellen Betrag verfehlt haben, der - da er auf Höhe der Mindestalimentation liegt - von der ersten Erfahrungsstufe der untersten Besoldungsgruppe (im Fall der Bundesbesoldung: A 3/1) erreicht werden müsste, sofern wie gerade dargestellt keine Verletzung der Besoldungsordnung vorliegen würde.
IV. Ergebnis
Der indizielle Fehlbetrag des Grundgehaltsäquivalents in Höhe von 3.764 € zum Grundgehaltssatz der untersten Besoldungsgruppe A 3/1, der bei 2.329,- € liegt, beträgt 1.435 € (38,1 %). Sämtliche Erfahrungsstufen der Besoldungsgruppen A 8 verfehlen das Grundgehaltsäquivalent, darüber hinaus alle weiteren Besoldungsgruppen bis jeweils A 9/7, A 10/4 und A 11/1. Geht man von A 3 als der niedrigsten Besoldungsgruppe aus, sind indiziell neun von 14 Besoldungsgruppen von der verfassungswidrigen Unteralimentation betroffen. Aus beiden Werten, dem extremen Fehlbetrag und der großen Anzahl der von der Unteralimentation betroffenen Besoldungsgruppen, muss geschlossen werden, dass die Besoldungssystematik eklatant verletzt ist. In diesem Sinne hebt der fünfte Leitsatz der aktuellen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung hervor (Hervorhebung durch mich):
"Beim systeminternen Besoldungsvergleich ist neben der Veränderung der Abstände zu anderen Besoldungsgruppen in den Blick zu nehmen, ob in der untersten Besoldungsgruppe der gebotene Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau eingehalten ist. Ein Verstoß gegen dieses Mindestabstandsgebot betrifft insofern das gesamte Besoldungsgefüge, als sich der vom Gesetzgeber selbst gesetzte Ausgangspunkt für die Besoldungsstaffelung als fehlerhaft erweist. Die indizielle Bedeutung für die verfassungswidrige Ausgestaltung der zur Prüfung gestellten Besoldungsgruppe ist dabei umso größer, je näher diese an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt und je deutlicher der Verstoß ausfällt."
In Anbetracht des letzten Satzes des Zitats lässt sich festhalten, dass, wenn indiziell hier nicht einmal alle Erfahrungsstufen der Besoldungsgruppe A 11 das Besoldungsniveau erreichen, das an sich die Besoldungsgruppe A 3/1 erreichen müsste, hier eine sehr große indizielle Bedeutung dieses Indizes vom Besoldungsgesetzgeber zu beachten ist. Für diesen Fall hebt das Bundesverfassungsgericht weiterhin hervor:
"Ob eine zur Behebung eines Verstoßes gegen das Mindestabstandsgebot erforderliche Neustrukturierung des Besoldungsgefüges zu einer Erhöhung der Grundgehaltssätze einer höheren Besoldungsgruppe führt, lässt sich daher nicht mit der für die Annahme eines Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, je näher die zur Prüfung gestellte Besoldungsgruppe selbst an der Grenze zur Mindestbesoldung liegt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können. Die Verletzung des Mindestabstandsgebots bei einer niedrigeren Besoldungsgruppe ist daher (nur) ein Indiz für die unzureichende Ausgestaltung der höheren Besoldungsgruppe, das mit dem ihm nach den Umständen des Falles zukommenden Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen ist." (Rn. 49; Hervorhebungen durch mich).
Die eklatante Verletzung des Besoldungsgefüges, wie sie die Betrachtung der Mindestbesoldung offenbart, kann in der vom Zitat genannten Wahrscheinlichkeit zu keinem anderen Ergebnis führen als zu einer deutlichen Anhebung des Besoldungsniveaus, wobei dabei - nicht umsonst sind neun der 14 Besoldungsgruppen von der Verletzung betroffen - der Ausgangspunkt des Besoldungsgefüges in den Blick zu nehmen ist, also der Grundgehaltssatz des Besoldungsgruppe A 3/1, der wie gezeigt ein verfassungskonformes Niveau indiziell um 38 % verfehlt; mit diesem schweren Gewicht ist der indizielle Fehlbetrag in die Gesamtabwägung des Gesetetzgebers einzustellen. Entsprechend hebt das Bundesverfassungsgericht ebenso hervor:
"Das für das Verhältnis zwischen den Besoldungsgruppen geltende Abstandsgebot zwingt den Gesetzgeber dazu, bei der Ausgestaltung der Besoldung ein Gesamtkonzept zu verfolgen, das die Besoldungsgruppen und Besoldungsordnungen zueinander in Verhältnis setzt und abhängig voneinander aufbaut. Erweist sich die Grundlage dieses Gesamtkonzepts als verfassungswidrig, weil für die unterste(n) Besoldungsgruppe(n) die Anforderungen des Mindestabstandsgebots missachtet wurden, wird der Ausgangspunkt für die darauf aufbauende Stufung in Frage gestellt. Der Besoldungsgesetzgeber ist danach gehalten, eine neue konsistente Besoldungssystematik mit einem anderen Ausgangspunkt zu bestimmen." (Rn. 48, Hervorhebung durch mich)
Als Folge muss dann mit einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsgefüges, also ebenso neben der untersten Besoldungsgrupper der weiteren Grundgehaltssätze auf Grundlage des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen, die verletzte Besoldungsordnung geheilt werden. Alles andere ließe sich auf Grundlage der gerade zitierten Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts in der Gesamtabwägung nicht rechtfertigen. Ob nun die Anhebung des Grundgehaltssatzes in der untersten Besoldungsgruppe 25, 30 oder noch mehr % betragen muss, bleibt weiterhin eine Sache der Begründetheit, wie nun das Konzert der Besoldungskomponenten vollzogen wird. Dabei bleibt allerdings der Grundgehaltssatz als Hauptkomponente zu beachten, da die eklatante Verletzung des Besoldungsfüges, wie sie sich nicht zuletzt in dem indiziellen Fehlbetrag von rund 38 % offenbart, offensichtlich nur zustandekommt, da sich im Besoldungsniveau als Ganzem eine eklatante Verletzung des Leistungsprinzips offenbart.
Entsprechend liegt mit dieser gerade vollzogenen Betrachtung das Pendant zu den seit gestern von mir dargelegten und gezeigten Brutto- und Nettowerten der Bundesbesoldung vor. Denn der Vergleich mit der Brutto- und Nettoentlohnung eines niedersächsischen Bauarbeiters zeigt in seinem Ergebnis exemplarisch, wie sehr real die Bundesbesoldung von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt ist (das wäre auf der zweiten Prüfungsstufe im Vorfeld der Gesamtabwägung zu beachten), so wie die in diesem Post vollzogene Darlegung anhand der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ebenfalls den realen Gehalt der eklatanten Verletzung offenbart (der reale Fehlbetrag der gewährten Nettoalimentation verfehlt die vom absoluten Alimentationsschutz umfasste Mindestalimentation um über 32 %) und das indiziell unterfüttert, indem der Grad der Verletzung in seinem konkreten Gehalt für die Besoldungssystematik herausgestellt wird. Entsprechend hebe ich wiederkehrend hervor, so wie das Ryan am Ende seines Beitrags betont, dass sich die massive Anhebung der familienbezogenen Besoldungskomponenten, wie sie nun geplant sind, sachlich nicht rechtfertigen lässt - denn wir haben, das wäre spätestens in der Gesamtabwägung vom Gesetzgeber zu betrachten, hier ein sachliches Problem des stark verletzten Leistungsprinzips vorliegen und keines der nicht hinreichend ausgestalteten Besoldung allein von Beamtenfamilien mit bis zu zwei Kindern. Darüber hinaus ist auch das Mittel des Beihilferechts, wie es ebenfalls stark verändert werden soll, offensichtlich sachlich nicht hinreichend und also entsprechend nicht sachgerecht zu begründen, was ebenfalls in der Gesamtabwägung zu betrachten wäre. Denn die Beihilfeleistungen sind kein Teil des Besoldungsniveaus, auf das das Bundesverfassungsgericht aber - wie gerade gezeigt - spätestens bei einer eklantanten Verletzung des Besoldungsniveaus abstellt, indem es seine umso spürbarere Anhebung fordert, je eklatanter sich indiziell die Verletzung der Besoldungsordnung zeigt. Das Beihilferecht kann bis zu einem gewissen Grad dazu beitragen, dass die eklatante Unteralimentation überwunden wird. Aber das Hauptaugenmerk ist auf das Besoldungsniveau und als Folge der eklatanten Verletzung der Besoldungsordnung und deren Systematik auf die Grundgehaltssätze zu legen, so wie das die gerade gezeigten Zitate offenbaren - denn anders kann der Qualitätserhalt, der sich aus dem Leistungsprinzip ergibt, nicht gewährleistet werden.
Wen es genauer interessiert, sollte den ZBR-Beitrag aus dem Mai des letzten Jahres lesen, in dem die hier nur skizzierte Begründung methodisch deutlich tiefergehend dargelegt wird. Ebenso verhält es sich mit dem im Verlauf der nächsten Monate weiterhin erscheinenden ZBR-Beitrag, der wiederum die enge Verzahnung beider Abstandsgebote vertieft, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung entwickelt hat.