Wegen dieser wiederkehrenden Diskussion habe ich die letzten Tage länger auf Rentenonkel geantwortet: Es muss grundsätzlich zwischen der gesetzgeberischen Gestaltungsdirektive und dem verfassungsgerichtlichen Prüfunngs- und Kontrollauftrag unterschieden werden (vgl. die Nr. 5738, 5743 und 5754). Diesen Unterschied zu durchdringen, ist wichtig, um zu verstehen, was hinsichtlich des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens schiefläuft. Ich versuche es hier noch einmal konzentriert:
a) Die auf evidente Sachwidrigkeit beschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle
Es ist grundsätzlich so, dass das Bundesverfassungsgericht die jeweilig geltende Gesetzeslage hinsichtlich des jeweils zu kontrollierenden Jahres prüft. Von daher sollten wir uns, da wir hier die Rechtslage betrachten und nicht wissen, wie es weitergeht, für 2023 an der heute bestehenden Rechtslage orientieren (die sich noch ändern kann). Für die vergangenen Jahre ist dann ebenfalls die jeweils geltende Rechtslage zu prüfen. Die Prüfung erfolgt - wie die Tage dargelegt - auf evidente Sachwidrigkeit hin und betrachtet, ob die gewährte Nettoalimentation ggf. evident unzureichend ist. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass das Bundesverfassungsgericht eine zurückhaltende, auf den Maßstab evidenter Sachwidrigkeit beschränkte verfassungsgerichtliche Kontrolle durchführt (LS. 3 der aktuellen Entscheidung, hierbei handelt es sich um eine ständige Rechtsprechung).
b) Der den Gesetzgeber treffende verfassungsrechtliche Gestaltungsauftrag
Der Gesetzgeber wiederum hat eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren. Dass er eine amtsangemessene Alimentation gewährt, hat er im Gesetzgebungsverfahren sachgerecht zu begründen, da eine amtsangemessene Alimentation der Verfassung nicht unmittelbar, als fester und exakt bezifferbarer Betrag zu entnehmen ist (Rn. 26 der akutellen Entscheidung, hierbei handelt es sich ebenfalls um eine ständige Rechtsprechung). Er hat dafür grundsätzlich einen verfassungsrechtlich weiten Entscheidungsspielraum, weshalb das Bundesverfassungsgericht nicht kontrollieren kann, ob der Gesetzgeber dabei die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat (Rn. 27, ebenfalls ständige Rechtsprechung). Der weite Entscheidungsspielraum gilt sowohl hinsichtlich der Struktur als auch hinsichtlich der Höhe der Besoldung. In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass die in Art. 33 Abs. 5 GG enthaltene Garantie eines „amtsangemessenen“ Unterhalts lediglich eine den Besoldungsgesetzgeber in die Pflicht nehmende verfassungsrechtliche Gestaltungsdirektive darstellt, wie sie aus Art. 33 Abs. 5 GG resultiert (Rn. 26, ebenfalls ständige Rechtsprechung). Innerhalb des ihm zukommenden Entscheidungsspielraums muss der Gesetzgeber das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anpassen. Die von ihm jeweils gewählte Lösung – hinsichtlich Struktur und Höhe der Alimentation – unterliegt allerdings der gerichtlichen Kontrolle (ebd., gleichfalls ständige Rechtsprechung).
Dabei sind die Parameter des bundesverfassungsgerichtslichen Prüfungshefts methodisch ungeeignet, die Höhe eine amtsangemessenen Alimentation mathematisch zu bestimmen, da die Begründungspflicht des Gesetzgebers sich nicht auf mathematische Operationen erstrecken kann, sondern eine sachgerechte Betrachtung beinhalten muss - denn es liegt ob des weiten Entscheidungsspielraums, über den er verfügt, in seiner eigenen Hand, die Gesetzeslage so zu verändern, wie er das für sachgerecht hält. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn das Bundesverfassungsgericht hervorhebt: "Die Parameter sind weder dazu bestimmt noch geeignet, aus ihnen mit mathematischer Exaktheit eine Aussage darüber abzuleiten, welcher Betrag für eine verfassungsmäßige Besoldung erforderlich ist. Ein solches Verständnis würde die methodische Zielrichtung der Besoldungsrechtsprechung des Senats verkennen." (Rn. 30)
c) Folgen
Es ist letztlich völlig unerheblich - auch wenn das die Besoldungsgesetzgeber weiterhin in der Regel nicht zur Kenntnis nehmen -, ob der Gesetzgeber innerhalb des Begründungsverfahrens mit welchen Mitteln auch immer zu einem mathematischen Ergebnis gelangt, das zeigte, dass die zu gewährende Nettoalimentation am Ende in der untersten Besoldungsgruppe mindestens 15 % oberhalb des Grundsicherungsniveaus läge. Denn wie gerade zitiert und zuvor dargelegt, ist auch der vierte Parameter der ersten Prüfungsstufe des bundesverfassungsgerichtlichen Prüfungshefts nicht geeignet, hinreichende Aussagen über die zukünftig vorzunehmende Gestaltung einer amtsangemessenen Alimentation zu machen. Es dient vielmehr nur der nachträglichen Prüfung und Kontrolle des ggf. amtsangemessenen Gehalts vonseiten der Gerichtsbarkeit.
In diesem Sinne ist es zu verstehen, dass der wiederkehrende Versuch der Gesetzgeber, sich an die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation mittels der Mindestalimentation heranzurechnen, regelmäßig die aus Art. 33 Abs. 5 GG resultierende Gestaltungsperspektive verfehlt, nämlich das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Die Pflicht des Dienstherrn in seiner Gestalt als Besoldungsgesetzgebers ist es hingegen
- Beamte, Richtern und Staatsanwälte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren (Rn. 23, st.Rspr.)
- dabei den Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, herzustellen (ebd., st.Rspr.)
- zugleich im Rahmen seiner Verpflichtung zu einer dem Amt angemessenen Alimentation auch (a) die Attraktivität der Dienstverhältnisse von Beamten, Richtern und Staatsanwälten für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, (b) das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft, (c) die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen (Rn. 25, st.Rspr.)
- innerhalb des ihm zukommenden Entscheidungsspielraums das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse anzupassen.
Sofern der Gesetzgeber also bspw. untere Besoldungsgruppen streichen will (wie nun ebenso der Bund), dann kann er das nicht mit dem Ziel rechtfertigen, damit in der untersten Besoldungsgruppe eine amtsangemessene Alimentation gewähren zu wollen - denn das ist kein innerdienstliches, unmittelbar amtsbezogenes Kriterium, das der Dienstherr aber als Folge aus Art. 33 Abs. 2 - dem Leistungsprinzip - zu beachten hat, um zu garantieren, dass die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind (Rn. 43, st.Rspr.).
Entsprechend könnte er ein solches Streichen sachlich mit bspw. gestiegenen Anforderungen an das Amt oder der Attraktivität der Dienstverhältnisse von Beamten für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte begründen. Dabei hätte er dann allerdings gleichfalls zu beachten, dass die prägenden Strukturmerkmale des Berufsbeamtentums nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern eng aufeinander bezogen sind (Rn. 24, st.Rspr.). Eines dieser Strukturmerkmale ist der zu beachtende hergebrachte Grundsatz des Abstandsgebots zwischen den Besoldungsgruppen (Rn. 45). Sofern der Gesetzgeber untere Besoldungsgruppen streicht, hat er zu berücksichtigen, dass er damit die Besoldungssystematik verändert und dass er dabei entsprechend das Leistungsprinzip zu beachten hat. Denn für die entsprechend übergeleiteten Beamten wirkt ein solches Streichen wie ein Beförderungserfolg - der Gesetzgeber hat von daher in diesen Fällen regelmäßig sachgerecht zu begründen, dass diese Überleitung innerhalb der Rechtslage keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG beinhaltet.
Da also ein solches Streichen sachlich keinerlei Zusammenhang mit dem Mindestabstandsgebot aufweisen kann - jenes ist wie gesagt kein innerdienstlichse, unmittelbar amtsbezogenes Kriterium -, hat der Gesetzgeber, sofern er untere Besoldungsgruppen streichen wollte, darüber hinaus zu beachten, dass sich der 15 %ige Abstand zum Grundsicherungsniveau auf den einfachen Dienst bezieht, da es sich ja bei den Empfängern von Grundsicherungsleistungen um Arbeitssuchende handelt. Wenn nun also durch ein solches Streichen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen verändert werden - was zwangsläufige Folge solcher Entscheidungen ist -, dann hat der Gesetzgeber weiterhin zu garantieren, dass unter Beachtung des Leistungsprinzips jedem Beamten weiterhin eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren ist, dass also die Bezüge entsprechend der unterschiedlichen Wertigkeit der Ämter abgestuft sind, da jedem Amt eine Wertigkeit immanent ist, die sich in der Besoldungshöhe widerspiegeln muss, und da die Wertigkeit insbesondere durch die Verantwortung des Amtes und die Inanspruchnahme des Amtsinhabers bestimmt wird (Rn. 43).
Wenn nun also einem entsprechend übergeleiteten Beamten bei nicht veränderter Leistungsfähigkeit (eine größere Leistungsfähigkeit könnte ggf. durch Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen erzielt werden, die hier aber nicht erfolgen, da die Überleitung in diesen Fällen zwangsläufig geschehen muss) regelmäßig sowohl ein höheres Amt zugewiesen als auch damit verbunden eine höhere Besoldung gewährt wird, dann spricht vieles dafür, dass hier ein Verstoß gegen das allgemeine Abstandsgebot vorliegt, da offensichtlich kein innerdienstliches, unmittelbar amtsbezogenes Kriterium der Grund der hier nun gewährten höheren Besoldung sein kann, sondern offensichtlich wiederum der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau - und damit läge auch hier eine sachwidrige Begründung vor, da es auch hier dann erneut nur darum ginge, sich an die Mindestalimentation heranzurechnen. Eine solche "Mathematisierung" ist aber wie oben zitiert nicht sachgerecht und ebenso auch nicht hinreichend, da die Heranziehung der volkswirtschaftlichen Parameter im Prüfungsheft des Bundesverfassungsgerichts vor allem der Rationalisierung der verfassungsrechtlichen Prüfung dient und von daher eben nicht dahingehend missverstanden werden kann, dass sich die Höhe der amtsangemessenen Besoldung unter Rückgriff auf statistische Daten exakt berechnen ließe (Rn. 28).
Nun gut, das war nun wieder etwas länger - und ließe sich bspw. auch hinsichtlich der Frage nach der zugrundezulegenden Steuerklasse fortführen (das Bundesverfassungsgericht legt bei der Prüfung regelmäßig die Steuerklasse 3 zugrunde und wird das bei nicht veränderter steuerrechtlicher Gesetzgebung weiterhin nicht verändern); ich denke aber, dass deutlich wird, wieso es wichtig ist, zwischen dem bundesverfassungsgerichtlichen Prüfprogramm, das der Prüfung und Kontrolle dient, und der gesetzgeberischen Gestaltungsdirektive zu unterscheiden, die dem Gesetzgeber sehr viel mehr Pflichten auferlegt, als einfach nur das Prüfprogramm im Begründungsverfahren nachzuvollziehen. Er hat jede wesentliche Veränderung des Besoldungsrecht verhältnismäßig zu den damit erzielten Ergebnissen sachgerecht zu begründen und dabei die dafür notwendigen innerdienstlichen, unmittelbar amtsbezogenen Kriterien in den Blick zu nehmen.
@ PolareuD
Hab Dank für die dargelegten Daten - ich halte es für wahrscheinlich, dass die Mietobergrenze von 1444 € sowie die Heiz- und Warmwasserkosten von 364 € nicht so ohne Weiteres heranzuziehen sein werden, da hier ggf. außergewöhnliche Höchstwerte vorlägen, die das Bundesverfassungsgericht aber ausschließen will, da es sie als ggf. nicht realitätsgerecht betrachtet, sondern als statistische Ausreißer, die auf außergewöhnlichen Lebenssituationen beruhen, weshalb es das 95 %-Perzentil für die kalten Unterkunftskosten heranzieht und die Heizspiegel für die Heizkosten (vgl. die Rn. 59; entsprechend bin ich bei meinen Berechnungen vorgegangen, wobei mir das aktuelle 95 %-Perzentil nicht vorliegt; es dürfte ggf. erst im Verlauf des nächsten Monats und dann auch nur für 2022 vorliegen). Aber die Frage zu beantworten, bliebe müßig - denn die Prüfung mit den von mir herangezogenen geringeren Beträgen zeigt schon für sich den eklatanten Gehalt der Unteralimentation - und auch darin zeigt sich der prinzipielle Unterschied zwischen der Prüfung und gerichtlichen Kontrolle auf der einen Seite und der gesetzgeberischen Gestaltungsperspektive auf der anderen. Denn sofern selbst bei nicht hinreichender Datenlage die Kontrolle zu dem Ergebnis kommt, dass eine gewährte Alimentation evident unzureichend und damit nicht amtsangemessen, also verfassungswidrig ist, bedarf es hier keiner Betrachtung ggf. weiterer Bedarfsposten, da eine verfassungswidrige Unteralimentation dadurch nicht noch verfassungswidriger werden würde. Die gerichtliche Kontrolle kann am Ende prinizipiell zu nur zwei Ergebnissen kommen: entweder ist eine gewährte Alimentation amtsangemessen und damit verfassungskonform oder sie ist es nicht, was zum Ergebnis führt, dass sie verfassungswidrig ist - auch eine ggf. gerade noch amtsangemessene Alimentation wäre noch verfassungskonform.
Dahingegen hat der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Alimentation zu gewährleisten. Er kann sich also nicht darum herumdrücken, seiner Verpflichtung zur Anpassung der Besoldung an die Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse nachzukommen, indem er diese Entwicklung nicht sachgerecht zur Kenntnis nähme. Denn seine Pflicht ist es, die Besoldung der Beamten, Richter und Staatsanwälte zu der Einkommenssituation und -entwicklung der Gesamtbevölkerung in Bezug zu setzen, um so tatsächlich gewährleisten zu können, dass er ihnen eine amtsangemessene Alimentation gewährt. Im Hinblick auf diese prinzipielle Unterscheidung der gerichtlichen Kontrolle von der gesetzgeberischen Gestaltungsdirektive führt das Bundesverfassungsgericht bezüglich der Sozialtarife entsprechend aus:
"Weil die gewährten Vorteile überwiegend regional und nach den Lebensumständen der Betroffenen höchst unterschiedlich ausfallen, ist es für Gerichte kaum möglich, hierzu – zumal rückwirkend – Feststellungen zu treffen. Hinzu kommt, dass noch aufzuklären wäre, inwiefern bei der Ermittlung der Regelsätze diese Vergünstigungen berücksichtigt worden sind. Solange aber auch ohne Berücksichtigung etwaiger geldwerter Vorteile feststeht, dass der Mindestabstand zum Grundsicherungsniveau nicht gewahrt ist, sind Feststellungen zu Art und Umfang der genannten geldwerten Vorteile mangels Entscheidungserheblichkeit entbehrlich. Auch insoweit ist in erster Linie der Besoldungsgesetzgeber gefordert, die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten, um Art und Ausmaß der geldwerten Vorteile zu ermitteln und die Höhe der Besoldung diesen kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen" (Rn. 71).