Mir fehlt auch so ein wenig die Phantasie wie zwischen Widersprechenden und Nicht-Widersprechenden unterschieden werden soll. Sehr viele Beamte beschäftigen sich null mit dem Thema. Und dann soll der Tag X kommen an dem die Widersprüchler rückwirkend ein paar tausend Euro bekommen und der Rest schaut in die Röhre? Das hat für jene die sich nie damit befasst haben ja noch eine ganz andere Qualität als für jene die auf das Rundschreiben vertraut haben.
Das kann ich mir nicht vorstellen. Das gäbe Mord und Totschlag.
Auf Dich und das, was Du hier schreibst, war mein "Gesülz" gar nicht gemünzt, sondern auf Aussagen wie diese hier: "Ein Widerspruch ist doch nicht nötig (Schreiben des BMI)". Wer sich allerdings nicht mit dem Thema beschäftigt, verbleibt in der selbstverschuldeten Unmündigkeit und also abhängig von dem, wie der Dienstherr am Ende sein besagtes Rundschreiben auslegt (und auch diese Aussage ist eine allgemeine und nicht auf Dich bezogen). Denn dabei bleibt festzuhalten, dass das besagte Rundschreiben vom 14.06.2021 (
http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_14062021_D3302009421.htm) an keiner Stelle explizit einräumt, dass die gewährte Alimentation nicht amtsangemessen sei. Regelungszweck jenes Rundschreibens ist der "
Umgang mit erhobenen Widersprüchen bzw. geltend gemachten Ansprüchen". Aus dem Inhalt des Rundschreibens nun ableiten zu wollen, das BMI habe mit ihm eingestanden, dass die Alimentation nicht verfassungskonform sei, dürfte mindestens zweifelhaft sein.
Was folgt daraus?
1. Wer Widerspruch einlegt, hemmt mit dem statthaften Rechtsbehelf die Rechtswirksamkeit des Verwaltungsakts. Er kann sich auf diese Hemmung später berufen. Für ihn gilt ausnahmslos das, was das Bundesverfassungsgericht in der aktuellen Entscheidung 2 BvL 4/18 in den Rn. 182 f. unmissverständlich entschieden hat: Eine rückwirkende Behebung der Unvereinbarkeit einer Norm oder mehrerer Normen mit dem Grundgesetz ist sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte (sowie entsprechend hinsichtlich etwaiger Beamten) erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend entschieden worden ist, wobei es nicht darauf ankommt, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt. Dahingegen ist darüber hinaus ebenso zu beachten, dass eine allgemeine rückwirkende Behebung des Verfassungsverstoßes mit Blick auf die Besonderheiten des Richter- und Beamtenverhältnisses i.d.R. nicht geboten ist. Aus diesem Grund - das sachliche Ziel, den Haushaltsgesetzgeber nicht im Unklaren darüber zu lassen, in wie vielen Fällen es möglicherweise zu Nachzahlungen kommen wird - hat der Beamte sich hinsichtlich seiner Besoldung aktiv um seine Belange zu kümmern, um eventuelle Ansprüche nicht verfallen zu lassen.
2. Wer keinen Widerspruch einlegt, lässt am Ende des Jahres ggf. vorhandene Ansprüche verfallen, da mit jenem Datum die Frist für einen statthaften Rechtsbehelf endet. Entsprechend verbleibt er abhängig davon, wie der Dienstherr nun zukünftig das genannte Rundschreiben interpetieren wird. Dabei bleibt festzuhalten, dass das Rundschreiben ggf. eine auch im Bund nicht amtsangemessene Alimentation andeutet; sie wird aber an keiner Stelle und auch für keine konkrete Besoldungsgruppe oder Erfahrungsstufe eingestanden, sodass der Dienstherr offensichtlich weiterhin im Unklaren darüber sein dürfte, in wie vielen Fällen es möglicherweise zu Nachzahlungen kommen wird. Denn
der Regelungszweck des Rundschreibens ist nicht der Umgang mit dem Zustand einer verfassungswidrigen Alimentation, sondern er
ist eine Empfehlung, wie mit Widersprüchen umzugehen ist. Entsprechend hebt das Rundschreiben hervor, dass zur Sicherstellung einer einheitlichen Verfahrensweise der dargelegte Umgang mit Widersprüchen in Bezug auf die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation
empfohlen werde. Eine Empfehlung bleibt aber ein unbestimmter Rechtsbegriff - nachgeordnete Behörden sind an sie entsprechend nicht gebunden. So verstanden ergibt sich folgende allgemeine Bindungswirkung:
"Zur Sicherstellung einer einheitlichen Verfahrensweise
empfehle ich die nachfolgend dargestellten Verfahrensweisen für den Umgang mit Widersprüchen in Bezug auf die Gewährung einer amtsangemessenen Alimentation: [...] Angesichts der ausstehenden Anpassung des Bundesbesoldungsgesetzes an die Maßstäbe des BVerfG ab dem Jahr 2021 verzichtet der Bund gegenüber allen Besoldungs- und Versorgungsberechtigten des Bundes auf das Erfordernis einer haushaltsjahrnahen Geltendmachung wie auch auf die Erhebung der Einrede der Verjährung ab diesem Jahr. Widersprüche gegen die Höhe der Besoldung oder Versorgung sind also ab dem Jahr 2021 nicht mehr erforderlich."
3. Letztlich kann man nun also darüber streiten, ob mit dem letzten Satz des Zitats Widersprüche tatsächlich nicht mehr notwendig seien - oder ob hier formuliert wird, dass empfohlen werde, dass Widersprüche nicht mehr erforderlich seien. Diese Folgerung kann man nun als spitzfindig empfinden. Man sollte dabei aber als warnendes Beispiel die Hamburger Erfahrungen nicht vergessen:
https://www.komba-hamburg.de/artikel-hh/wichtige-information-fuer-alle-beamtinnen-und-beamten-sowie-versorgungesempfaenger.htmlhttps://www.dbb-hamburg.de/aktuelles/news/bescheiderteilung-zu-den-widerspruechen-antraegen-amtsangemessene-alimentation-im-dezember-2020/https://www.dbb-hamburg.de/aktuelles/news/sachstand-zu-den-widerspruchs-und-klageverfahren-zur-amtsangemessenen-alimentation-der-beamtinnen-und-beamten/https://www.dbb.de/artikel/amtsangemessene-alimentation-senat-bleibt-auf-konfrontationskurs.htmlWenn Dir also "ein wenig die Phantasie, wie zwischen Widersprechenden und Nicht-Widersprechenden unterschieden werden" solle, fehle, dann bleibt es zunächst dabei, die genannten Rn. 182 f. der aktuellen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung machen mit ausnahmslos bestimmten Rechtsbegriffen klar, dass vom Dienstherrn erwartet wird, dass er i.d.R. eine solche Unterscheidung vornimmt (Hintergrund ist, dass es um Gemeinwohlinteressen geht, die das Bundesverfassungsgericht hier stärkt: Ein Beamter, der sich nicht aktiv um seine Belange kümmert, verwirkt mit Ende eines Jahres selbstverschuldet ggf. noch vorhandene Ansprüche, da er offensichtlich die Rechtmäßigkeit der ihm gewährten Alimentation nicht hinreichend gewissenhaft geprüft hat; hätte er eine entsprechend wenig gewissenhafte Rechtsprüfung gegenüber Dritten vollzogen, könnte er damit rechnen, dass er damit ggf. ein Dienstvergehen vollzieht, da er strikt an das Gesetz gebunden ist und also in jedem Fall die Gesetzmäßigkeit seines Handelns garantieren muss. So wie er für ein Dienstvergehen und seine Folgen belangt werden kann, muss ihm entsprechend klar sein, dass selbstverschuldet verwirkte Ansprüche nicht mehr nachträglich einforderbar sind).
Darüber hinaus begibt sich der Beamte, indem er davon ausgeht, dass ein Widerspruch nicht nötig sei, in die von mir in meinen letzten Beitrag beschriebene selbstverschuldete Machtlosigkeit, da er ohne die von ihm herbeigeführte Hemmung qua eines statthaften Rechtsbehelfs wie beschrieben ggf. von der zukünftigen Interpretation seines Dienstherrn abhängig bleibt, wie auch immer diese aussehen mag. Dieses Ergebnis kann man nun als Gesülz empfinden - aber mit einigem Pech wird es sich nicht als solches erweisen. Denn wie Du richtig schreibst: "Sehr viele Beamte beschäftigen sich null mit dem Thema" - und das bleibt auf Grundlage der genannten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ihr Problem und nicht das ihres Dienstherrn. Wer deshalb Mord und Totschlag vollziehen wollte, wanderte in den Knast und würde aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden - und ich kann nicht sagen, dass ich diese Konsequenzen für falsch hielte. Denn als die die staatliche Gewalt exekutierenden Beamten sind wir der strikten Bindung sowohl an das Recht als auch dem Gemeinwohl unterworfen und sind entsprechend dazu verpflichtet, ein gesundes Misstrauen auch gegenüber unserem Dienstherrn walten zu lassen, sollten uns also nicht vertrauensselig "null mit dem Thema" wie auch mit allen anderen Themen, die unser Dienstverhältnis betreffen, beschäftigen, denke ich:
"War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es,
Verfassung und Gesetz im Interesse der Bürger auch und gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Die Übernahme der funktionswesentlichen tradierten Grundstrukturen des Berufsbeamtentums in das Grundgesetz beruht auf einer Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums als Institution, die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und damit
einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden soll. Die institutionelle Einrichtungsgarantie des Art. 33 Abs. 5 GG trägt gleichzeitig der Tatsache Rechnung, dass im demokratischen Staatswesen Herrschaft stets nur auf Zeit vergeben wird und die Verwaltung schon im Hinblick auf die wechselnde politische Ausrichtung der jeweiligen Staatsführung neutral sein muss. Insoweit kann die strikte Bindung an Recht und Gemeinwohl, auf die die historische Ausformung des deutschen Berufsbeamtentums ausgerichtet ist, auch als Funktionsbedingung der Demokratie begriffen werden. Seine Aufgabe kann das Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn es rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist und
die Bereitschaft zu Kritik und nötigenfalls Widerspruch nicht das Risiko einer Bedrohung der Lebensgrundlagen des Amtsträgers und seiner Familie in sich birgt, kann realistischerweise erwartet werden,
dass ein Beamter auch dann auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-) politisch unerwünscht sein sollte [...]. Die Verpflichtung des Dienstherrn zu einer amtsangemessenen Alimentation des sich mit seiner ganzen Arbeitskraft seinem Amt widmenden Richters und Beamten besteht also nicht allein in dessen persönlichem Interesse, sondern dient zugleich dem Allgemeininteresse an einer fachlich leistungsfähigen, rechtsstaatlichen und unparteiischen Rechtspflege und öffentlichen Verwaltung, hat also auch eine qualitätssichernde Funktion" (BVerfG, Beschluss v. 04.05.2020 - 2 BvL 6/17 -, Rn. 28; Hervorhebungen durch mich).